Braunschweig. Disko zu, aber die Osterfeuer lodern: Betrachtungen zur Geschichte von Karfreitag und Ostern und welche Bedeutung sie heute haben können.

Die Schlacht um die dicksten Goldhasen ist geschlagen, bald lodern wieder die Osterfeuer an viel zu vielen Orten. Die Kommerzialisierung der christlichen Hochfeste geht seit Jahren mit einer verstärkten Re-Heidnisierung einher. Da karrt der Weihnachtsmann als cocacolakonformes Väterchen Frost im Rentierschlitten unter Blitzlichtorgien haufenweise Geschenke heran, und der echte Hase muss zu Ostern aufpassen, dass er sich im lodernden Reisighaufen nicht das Stummelschwänzchen verbrennt oder im CO2-Ausstoß verhustet.

Richtig ist, dass die Wintersonnenwende wie die Tagnachtgleiche zum Frühlingsanfang in allen Zeiten und Kulturen kultische Handlungen hervorriefen. Dass die christlichen Hochfeste auf diese Daten fallen, ist nun freilich nicht taktische Willkür, sondern ergibt sich aus den Lebensdaten des Mannes, um den es in dieser Religion geht – Jesus von Nazareth: Dessen Kreuzigung kurz vorm jüdischen Passahfest führt zu einer Datierung seiner Auferstehung, die an Ostern gefeiert wird, auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling. Durch die Verwendung verschiedener Kalender ergeben sich dabei geringe Abweichungen zwischen Passahfest, westlichen und östlichen Kirchen.

Geburt zur Wintersonnenwende

Für Weihnachten als Fest der Geburt Jesu nun ging man gemäß der Tradition, dass große Propheten als Zeichen der Vollkommenheit an einem Jahrestag ihrer Geburt sterben, zunächst auch von jenem Osterdatum aus. Allerdings wird da die Verkündigung der Empfängnis Jesu an Maria angesetzt, also quasi das Zeugungsdatum als Ursprung der Menschwerdung. Und so landet man dann bei der Geburt neun Monate später zur Wintersonnenwende. Was passend auf den römischen Kult des Sonnengottes Sol invictus fiel, denn auch mit Christus geht ja quasi in winterlicher Dunkelheit die Sonne der Erlösungshoffnung auf.

Vor Ostern und die Freude über die Auferstehung ist freilich die Passionszeit gesetzt, jene Karwoche, von althochdeutsch „kar“ für Klage, Kummer, in der Jesus seiner Kreuzigung entgegengeht. Es passt zu unserer Spaßgesellschaft, dass man damit in der Öffentlichkeit weit weniger anfangen kann. In Osterode hat es die Stadtverwaltung schlicht übersehen, dass ihr verkaufsoffener Sonntag auf dem Beginn dieser Karwoche, dem Palmsonntag, liegt. Und die Einschränkungen für Tanzveranstaltungen und mithin auch Diskotheken zumindest für die Kernzeit von Karfreitag und Karsonnabend muss auch immer wieder erklärt werden.

Wanderprediger und Wunderheiler

Es ist ja auch ein sperriges Gedenken, das die Kirche hier verlangt. Von Ungerechtigkeit und Folter, Niederschlagung unliebsamer Freiheitsbewegungen und Hinrichtungen hören wir nachgerade genug aus der realen Gegenwart. Und um all das geht es in der Geschichte Jesu Christi: Der Wanderprediger und Wunderheiler bekommt am Palmsonntag einen triumphalen Empfang in Jerusalem, das Volk huldigt ihm mit Palmzweigen und Hosianna-Rufen. Wenig später, als er der Priesterhierarchie zu gefährlich geworden ist, bei der römischen Besatzungsmacht angeschwärzt, gefoltert und zum Tode verurteilt wurde, ruft das Volk „Kreuziget ihn“.

Juden sind übrigens – außer den Römern – alle in dieser Geschichte, Jesus, die Jünger, der Verräter, die Priester, das vielfältige Volk, da braucht man gar nicht erst mit antisemitischen Ressentiments zu kommen, so läuft es immer unter allen Völkern, überall.

Am Karfreitag also erfolgt die Kreuzigung, eine der grausamsten Hinrichtungsarten. Am Ostersonntag aber ist das Grab, in das man ihn vorm Passahfest schnell noch gebettet hat, damit nicht am hohen Feiertag eine Leiche auf dem Galgenberg von Golgatha hängt, plötzlich leer!

Spürbare Gegenwart des geliebten Freundes

Die Evangelien betonen, dass Jesus tot war, gekreuzigt und durch den Lanzenstoß in die Seite sicher umgebracht. Und sie betonen, dass er auferstanden und seinen Jüngern leiblich erschienen ist: Im Garten Maria Magdalena, der er verbietet, ihn zu berühren. Später den Jüngern dreimal, wobei der ungläubige Thomas sogar die Finger in seine Wunde legen darf, weil er nur glauben kann, was er sieht und erfasst.

Wie körperlich-wirklich man das heute verstehen will, bleibt dem Gläubigen überlassen. Die Jüngerinnen und Jünger spürten offenbar eine so intensive Gegenwart ihres geliebten Freundes, spürten den Geist seines Handelns und Verkündens, den er ihnen ja als nachkörperliche Äußerungsform des Göttlichen auch versprochen hatte, dass sie in seinem Geiste weiterwirkten, für eine solidarische und angstfreie Welt zu sorgen.

Selbstkritik statt Selbstgerechtigkeit

Das Spannende, Berührende, am Ende Tröstliche des Christgeschehens, besonders wenn man es in einer der musikalischen Deutungen Johann Sebastian Bachs wieder durchlebt, ist, dass es in jeder Figur wirklich immer wir selbst sind, die da mit hoffen, straucheln, verraten, verzweifeln, weinen, den Tod akzeptieren müssen und doch das Weiterleben spüren.

Heute, wo so viele Menschen vor Selbstgerechtigkeit bersten, in allen anderen nur Betrüger, sich selbst als einzig Belastete sehen, könnte die Passionszeit mal zum Innehalten führen: Bin ich nicht der Petrus, der seinen Freund verleugnet, als Mächtigere sich an ihm vergreifen. Bin ich nicht Judas, der ihn womöglich aus höheren Idealen oder Ehrgeiz heraus verrät, weil seine Bewegung zu langsam vorangeht. Bin ich nicht Thomas, der im Einsatz für das Gute so schnell resigniert, weil er keine Fakten sieht. „Hab ich Unrecht heut’ getan, sieh es, lieber Gott, nicht an“, hieß mein Kindergebet. „Deine Gnad‘ und Jesu Blut machen allen Schaden gut.“

Religion des Mitleidens, nicht des Triumphes

Mancher ereifert sich heute wohlmeinend, dass ein liebender Gott seinen Sohn nicht so grausam hätte hinrichten lassen dürfen. Aber umgekehrt ist dadurch das Christentum nicht eine Religion des Triumphes, sondern des Mitleidens: Dass Gott in Jesus einmal auch dieses Menschenschicksal durchleiden musste. Dass seither aber Gnade waltet für alle menschliche Unzulänglichkeit. Und deshalb Bach fröhlich singen kann: „Tod, Teufel, Sünd‘ und Hölle sind ganz und gar geschwächt, bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.“

Sicher muss man manchmal einfach wie Maria und Johannes weinen um den Sohn oder Freund, Tochter, Eltern oder Freundin, wie es die sogenannten Pietà-Darstellungen zeigen, in denen entweder Maria oder Johannes den toten Christus auf dem Schoß bergen. Ich sehe darin auch Mutter Navalnaja, die von einem Despoten mutig den Leichnam ihres Sohnes ertrotzt hat.

Interessanterweise nimmt in Michael Sturmingers Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen der Tod selbst in Frauengestalt die Pietà-Haltung für den sterbenden Jedermann ein. Es zeigt, wie der Tote nun geborgen ist im Tod, der Leben bedeutet in neuer Seinsform. In Gnaden angenommen, ohne Strafregister. Darauf ein Osterei!