Wolfsburg. Das Berliner Ensemble zeigt den Popstar als zerbrechliche Frau, die sich ihr Leben zurück erkämpft. So war der Theaterabend.

Britney Spears: tragische Heldin, zerbrechliche Pop-Prinzessin, Symbol des modernen Feminismus. Das Berliner Ensemble hat ihr in der Inszenierung „It‘s Britney, Bitch!“ ein Denkmal gesetzt. Am Samstag war es damit im Wolfsburger Scharoun-Theaterzu Gast. Spears wird darin in all ihrer Gegensätzlichkeit gefeiert, sie wird zur Stellvertreterin einer ganzen Generation von Frauen, die ihren Platz in einer Gesellschaft suchen, in der sie ständig unter Beobachtung stehen. Sina Martens klagt in ihrer Rolle als „größter Popstar der Welt“ aber auch an: Warum wurde Britney so lange als passive Puppe gesehen, und nicht als handelnde Person? Die Inszenierung jedenfalls will ihr späte Gerechtigkeit zuteil werden lassen.

Und das mit Erfolg. Collagenhaft reihen Regisseurin Lena Brasch und Dramaturgin Karolin Trachte Episoden aus Spears‘ Karriere und Privatleben aneinander. Eingefügt sind immer wieder Betrachtungen über die strukturellen Ungerechtigkeiten, für die Spears‘ Behandlung in einer patriarchal geprägten Welt steht. Und dann die Musikeinlagen: Düstere, melancholische Fassungen der größten Hits der Sängerin.

Berliner Ensemble zeigt Britney Spears als raumfüllende Persönlichkeit

Das Stück erzählt knapp, was vielen im ungewohnt jungen und weiblichen Publikum im Theater noch präsent sein dürfte: Als junger Teenager begann Spears eine beispiellose Karriere. Sie wurde von Millionen gefeiert, geliebt, manipuliert, degradiert, sexualisiert, dämonisiert, immer vor den Augen der Öffentlichkeit. Fotos von Partyeskapaden gingen um die ganze Welt. Spears war noch keine 18, als sie Fragen zu ihrer Jungfräulichkeit und zur Echtheit ihrer Brüste beantworten musste. Das Ende ihrer ersten Liebe, ihre 55-stündige erste Ehe, ihre Mutterschaft: Das Private schien nie ganz ihr selbst zu gehören. Der Höhepunkt dieser Ära hat längst Kultstatus erreicht. Wer kennt nicht das Foto der kahlrasierten Britney aus dem Jahr 2007?

Sina Martens springt zwischen Spears‘ Lebensstationen hin und her, singt ihre Songs mit ungewohnter Ernsthaftigkeit und wettert gegen die unfaire Behandlung von Frauen im Kunstbetrieb im Allgemeinen und Britney Spears im Speziellen. Die Inszenierung wirkt so erratisch wie die Sängerin selbst, die auf ihrem Instagram-Kanal mal wilde Tanzvideos, Fotos von Blumen, Nacktfotos oder so wütende wie wirre Monologe über ihre Familie postet. All das ist so raumgreifend, dass es keine weiteren Charaktere auf der Bühne braucht.

Berliner Ensemble in Wolfsburg: Aus Verletzlichkeit wird Wut

So wird der Popstar Spears als Mensch, nicht nur als schöne, singende Puppe fühlbar. 13 Jahre lang lebt sie unter der Vormundschaft ihres Vaters, der ihr seine Liebe vorenthält, aber ihren Körper und ihre Stimme für seine Zwecke missbraucht. Vom Vater ungeliebt, strebt sie nach nichts so sehr wie nach Anerkennung und Liebe, auch wenn es die völlige Selbstaufgabe bedeutet. „I was born to make you happy“, singt Sina Martens auf dem Treppchen zur Solo-Bühne kauernd, die wie ein Käfig mit silbern glitzernden Vorhängen aussieht.

Ihre Verletzlichkeit bricht sich schließlich in fulminanter Wut Bahn. Aus „Ich liebe dich“ wird ein aufbrausendes: „Lieb mich. Lieb mich. LIEB MICH!“, das der Star seinem Publikum entgegenschreit. „Ich will zuende geliebt werden.“ Sie drischt zu Flackerlicht wie wild mit dem Regenschirm auf die Bühne ein, um danach an deren Rand zusammenzusacken und in mattem Ton zu sagen: „Ich wäre gern mal wieder so richtig wütend. Ich habe das verlernt.“

Sina Martens spielt und spricht über Britney Spears

Sina Martens wechselt dabei fließend zwischen der Perspektive des Stars und einer Anklägerin. Sie ergreift dabei nicht nur für Britney Spears Partei, sondern für eine ganze Generation, die in den 1990er und 2000er Jahren in einer frauenverachtenden Doppelmoral aufwuchs, die Frauen zugleich verrucht erotisch und mädchenhaft unschuldig sehen wollte. „Mit 17 habe ich mir Clearasil ins Gesicht gerieben und keine Schimpfworte so sehr gefürchtet wie Nutte, Hure oder, am schlimmsten, Dorfmatratze“, sagt Martens in dieser Rolle.

Aus derselben Generation blickt man heute auf Britney Spears‘ Jugend, die auch die eigene war, mit den Maßgaben des modernen Feminismus. Und fragt sich: Warum zur Hölle haben wir das mit uns machen lassen? Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn sie selbst ihre erfolgreichsten Frauen erniedrigen und bloßstellen muss? Originalaufnahmen von Interviews aus den späten 1990er Jahren werden eingespielt. In einer wird Justin Timberlake gefragt, ob er Britney eigentlich gevögelt habe. „Na gut, ja, habe ich“, antwortet er lachend unter johlenden Triumphrufen. Da weiß man als Zuschauer gar nicht, ob man lieber heulen oder schreien will.

Am Ende bleibt die Frage: Wie viel Britney steckt in jedem von uns?

Und so zeichnet die Inszenierung Britney Spears sehr wirkungsvoll als zugleich tragische und heroische Projektionsfigur des modernen Feminismus. Sie steht für das Streben nach Unabhängigkeit, nach Wahlfreiheit, nach dem Gefühl, die Hauptrolle im eigenen Leben zu spielen. Für die Fähigkeit, sich selbst aus Zwängen zu befreien, ob sie nun von außen angelegt werden oder von innen kommen.

Nach 13 Jahren Vormundschaft, in der sie nach eigener Aussage von ihrer Familie zum Arbeiten gezwungen wurde, befreit sie sich schließlich nach einem jahrelangen Rechtsstreit aus ihren Fesseln. Vor Gericht spricht sie 23 Minuten lang über ihre jahrelange Tortur. Sina Martens trägt Auszüge daraus vor. „Ma‘am, ich bin nicht hier, um irgendjemandes Sklave zu sein“, sagt sie mit zitternder Stimme. Es ist das erste Mal, dass sie öffentlich für sich einsteht.

Die dichte Inszenierung gibt der Figur Britney Spears angenehm viel Raum, ohne sich dabei auf eine eindeutige Lesart ihrer Protagonistin zu reduzieren. Wer ist die Britney, die in ihrem Leben so oft fremdbestimmt handeln musste, eigentlich wirklich? War es tatsächlich ein mentaler Zusammenbruch, der sie 2007 ihre Haare abrasieren ließ, oder nicht viel eher ein Wunsch nach Selbstermächtigung? „Wenn Britney 2007 überleben kann, kannst Du diesen Tag überleben“ heißt ein Spruch, der als Internetmeme Karriere machte. Vorgetragen von Sina Martens Im Scharoun-Theater klingt er nicht herablassend, sondern ehrlich Mut machend. Vielleicht steckt in vielen von uns ein Stück Britney, das „zuende geliebt“ werden will.

Mehr wichtige Nachrichten aus Wolfsburg lesen:

  • Handyverbot im Wolfsburger Badeland?
  • Diese Wolfsburger Kita hat noch freie Plätze
  • VW plant neuen Bestseller unter dem Arbeitstitel „ID Golf“
  • So genervt sind Wolfsburger vom Pop-up-Radweg
  • Parkplatz-Ärger: VfL-Fans sauer auf die Stadt Wolfsburg
  • Schützenfest-Vorfreude in Wolfsburg: Der Aufbau hat begonnen

Täglich wissen, was in Wolfsburg passiert: