Hannover. „Lear“ ist ein Schlüsselwerk der Moderne und findet an der Staatsoper Hannover in Michael Kupfer-Radecky einen packenden Interpreten.

Hier weiß man, warum Schlagwerk Schlagwerk heißt. Geradezu physisch dringt Aribert Reimanns Musik auf einen ein, Trommelschläge bis hin zu Gewehrsalven, metallisches Hämmern wie unter Maschinen, dazu ein wildes Durcheinanderspielen aller anderen Instrumente des Orchesters in sogenannten Clustern. In Lears Kopf explodiert eine Welt. Im Wahnsinn wird er sich seiner vergeblichen Machtpolitik, wird er sich seiner Vergänglichkeit bewusst: „Der nackte Mensch ist nichts weiter als ein armseliges, gespaltenes Tier.“

Shakespeares bis heute schonungslos direkte Thesen haben in Reimanns Musik 1978 eine so kongeniale Ausdrucksform gefunden, dass seine Oper wohl ebenso überdauern wird wie die dramatische Vorlage. In Braunschweig hat sie Hannovers damaliger Opernintendant Hans Peter Lehmann schon 1985 als Gast inszeniert, jetzt folgte die Staatsoper Hannover.

Der König weint, und atonale Streicher trauern mit

Nicht nur die expressiv aufrüttelnden Szenen wirken bei Reimann, sondern mindestens ebenso die merkwürdige Zärtlichkeit in den Gesangslinien der liebenden Tochter Cordelia, die Lear dann in ebensolchen herzergreifenden Tönen zu Tode weint, untermalt von einem dicken Streicherteppich, der atonal, doch trotzdem weich und bergend ist.

Am Ende, nach allem Wüten und Wirren, wird Lear (Michael Kupfer-Radecky) weise und nimmt bewegend Abschied von der Welt.
Am Ende, nach allem Wüten und Wirren, wird Lear (Michael Kupfer-Radecky) weise und nimmt bewegend Abschied von der Welt. © Staatsoper Hannover | Sandra Then

Und aller existentialistischen Geworfenheit zum Trotz lassen sich die irisierend aufsteigenden Linien bei Lears Tod doch nicht anders denn als Verwandlung in eine andere Seinsform deuten. Nachdem er die Welt um und in sich zerstört hat, ist er befreit, schwerelos, ein Seelenhauch.

Ein Bariton, der erschütternd wütet und erschütternd rührt

Michael Kupfer-Radecky weiß dies mit einem unermüdlich kräftigen, aber bis zum Ende immer auch melosfähigen Bariton erschütternd auszudrücken – erschütternd dramatisch, wütend, wirrend, und erschütternd schön, verletzlich, ja anrührend. Ihm zur Seite der entrechtete Edgar von Nils Wanderer auf klarer Counterlinie und der geblendete Gloster von Frank Schneiders: Das Orchester schreit förmlich, als die fiesen Lear-Töchter ihm die Augen ausdrücken, leider lässt sie Regisseur Joe Hill-Gibbins dazu mit Kunstblutflaschen spritzen.

Auch die sanfte verstoßene Cordelia, die Meredith Wohlgemuth mit lyrischem Ausdruck singt, wird von ihren Schwestern zerstört. Die große Angela Denoke zeigt als Goneril mit noch immer klarem Sopran klare Kante, während sich Kiandra Howarth als Regan mit Verve durch die unangenehmen Koloraturen windet. Und Robert Künzli mit Heldentenor farbenreich den Intriganten Edmund gibt.

Die Welt aus Pappkartons stürzt ein

Das Bühnenbild von Tom Scutt zeigt passend eine Welt aus Pappkartons, die bald schon in sich zusammenstürzt. Die Regie lässt die Figuren mehr und mehr wie Säulen herumstehen, das ist weniger überzeugend. Aber hier wirkt mehr das Bild. Und natürlich die sprechende, von Stephan Zilias mit klaren Gesten kontrastreich und effektvoll umgesetzte Musik. Hinfahren!

Wieder 3., 8., 10., 21. März.
Karten: (0511) 99991111.