Hannover. Thorleifur Örn Arnarssons „Parsifal“-Regie an der Staatsoper Hannover startet im Endzeit-Setting, aber findet keinen Ausgang, Wagners Musik schon.

Verkohlte Bäume, Menschen, denen Wunden wie platzende Eingeweide aus dem korrekten Anzug treten, Neon-Metallkonstrukte: Thorleifur Örn Arnarssons „Parsifal“ an der Staatsoper Hannover startet im an sich selbst krepierenden Kapitalismus des nachindustriellen Zeitalters, wie sie Wagners Endzeitvisionen entspricht.

Arnarssons Geschäftsleute aber tragen Stier- und Widderhörner, wie wir sie auch von Trumps Proud Boys kennen, und scheinen den letzten Bäumen Säfte abzuzapfen, die sie nochmal mit archetypischen Weisheiten rückkoppeln sollen. Verwalter des Kults, Menschenopfer und Erlöser ist dabei Amfortas, der zur Gralsfeier wie ein Christus in die Höhe gezogen wird.

MIssion verraten für einen geilen Moment

Nun geht es in Wagners Bühnenweihfestspiel zwar auch um eingefahrene Riten, aber vor allem um Schuld und Sühne und Erlösung. Worin aber liegt in Arnarssons Deutung Amfortas’ Schuld? Immerhin besetzt er Amfortas und Klingsor mit demselben Sänger: Amfortas, der sich ein Gewissen daraus macht, für einen geilen Moment mit Kundry seine Sendung verraten zu haben. Während sich Zauberer Klingsor an der Scheinheiligkeit seiner Ex-Kumpanen rächen will. Michael Kupfer-Radetzky singt beide mit seinem schönen, machtvollen Bariton eher als Leidensgestalten.

Der Regisseur entwickelt jedenfalls aus dieser Doppelbesetzung nichts. Das liegt auch daran, dass Erotik offenbar kein Thema ist in Arnarssons postmoderner Welt. Da lungern die Blumenmädchen in Kleidern mit nacktem Ganzkörperaufdruck wie unsinnliche Avatare rum. Natürlich kann man sagen, Sex ist längst keine Sünde mehr. Aber ohne erotische Spannung sind die Dialoge von Kundry und Parsifal eine wenig fesselnde Erörterung von Schuldfragen, die keinen Anlass mehr haben. Entsprechend langweilig fällt die Szene denn in Hannover auch aus. Dabei hat Irene Roberts einen glutvollen Mezzo, mit dem sie ihrer Lust an Sex und Selbstbezichtigung durchaus saftig Ausdruck gibt. Marco Jentzschs Tenor als Parsifal klingt sauber, fein, auch höhenstark, aber etwas brav.

Wohlfeile Religionskritik führt in Sackgasse

Arnarssons Versagen in der Personenführung, sein Desinteresse an Psychologie lassen das konzeptuelle Dilemma seiner Inszenierung nur noch mehr hervortreten. Sicher, die Macht des Ritus besteht in der Verweigerung von Veränderung. Parsifal aber ist bei Wagner der Veränderer, der den Inhalt des Ritus im Handeln neu beglaubigt, so wie Wagner die Religion durch Kunst wieder zu ihrem Auftrag führen wollte. Es ist daher etwas wohlfeile Religionskritik, wenn Arnarssons Kundry sich die Taufe gleich wieder vom Kopf wischt, sie ist das Zeichen elementarer Veränderung, nicht-gewinnorientierten, fürsorglichen Lebens. Und wenn Parsifal sich bei Arnarsson selbst mit dem Knüppel verletzt, gerät er wieder in die falsche Imitatio Christi wie vorher Amfortas.

Am Ende steht ein Knabe allein auf der Bühne. Das ist dann so das übliche Bild für die biologische Zukunftshoffnung, Wagner ging es um eine geistig-politische Veränderung. Die fiel dann wohl leider aus. Hoffentlich fällt Arnarsson zu „Tristan und Isolde“ nächstes Jahr in Bayreuth Bewegenderes ein.

Wie viel Spannung noch in Wagners Alterswerk liegt, zeigte eindringlich Dirigent Stephan Zilias, der die Schmerzen einer unerlösten Welt in starken Schärfungen und Aufwallungen spürbar werden ließ.

Wieder 3., 8., 15., 22., 31. Oktober. Karten unter Telefon (0511) 9999 1111.