Braunschweig. Larissa Semke und Lina Witte spielen im Staatstheater-Weihnachtsstück Kästners „Das doppelte Lottchen“ und setzen auf Zusammenhalt.

Erich Kästners Kinderbuchklassiker „Das doppelte Lottchen“ ist in diesem Jahr das Weihnachtsstück des Braunschweiger Staatstheaters. Es geht um getrennt aufwachsende Zwillinge, eine lebt beim Vater, eine bei der Mutter. In Braunschweig spielen Larissa Lemke und Lina Witte die Geschwister und erklären im Gespräch, warum besonders ihr Größenunterschied kein Problem ist.

Larissa Semke, Sie sind noch gut in Erinnerung als Honey in Albees Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, das vor Corona im Staatstheater lief. Sie haben dann das Ensemble verlassen und kommen nun nach Braunschweig zurück. Was war in der Zwischenzeit?

Larissa Semke: Ich komme jetzt als Gast wieder, wohne inzwischen auf einem Dorf im Weserbergland und unterrichte Yoga. Ich genieße das Geschenk des Freischaffendseins. 13 Monate bin ich mit meinem Freund 10.000 Kilometer mit dem Fahrrad nach Indonesien gefahren. Nur Afghanistan haben wir übersprungen.

Wie nimmt man nach einer solche Reise das unter seinen Krisen stöhnende Europa wahr?

Semke: Wir haben einen unheimlichen Reichtum der Kulturen erlebt. Es wurde auch nie gefährlich, aber wir wissen natürlich zu schätzen, wie privilegiert wir hier in Deutschland in Sachen Sicherheit leben. Jetzt freue ich mich umso mehr, wieder mit den Kolleginnen Theater spielen zu dürfen. Ich schaue eigentlich mit einem liebevollen Blick auf diese zwei Realitäten. Ich erzähle natürlich meine Geschichten, und mein Kleiderschrank sieht womöglich sehr leer aus im Vergleich zu anderen in Westeuropa. Aber ich kann nicht erwarten, dass meine Gesprächspartner meine Informationen und Erfahrungen haben, also versuche ich, die verschiedenen Wirklichkeiten so zu akzeptieren, auch wenn mich natürlich manches ärgert, so eine vollendete Buddhistin bin ich auch wieder nicht.

Lina Witte, Sie haben gerade sehr eindringlich eine der jungen Frauen in dem Geschichtsdrama „Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili gespielt. Und nun ein Kinderstück. Wie gelingt der Wechsel aus den Gegenwartskatastrophen in kindliche Zuversicht?

Lina Witte: Der thematische Sprung hat einfach gutgetan. Bei Erich Kästner kann man durchatmen. Auch mal rumblödeln.

Semke: Wir konnten bei den Proben auch mal Quatsch machen, was ausprobieren, dürfen singen und tanzen, das macht Spaß.

In dem Stück leben die Eltern getrennt, die Mutter ist berufstätig und alleinerziehend, zumindest für ein Kind. Das war 1949 sehr modern gedacht. Aber heute kommt es einem so merkwürdig vor, dass im Buch alles nur darauf hinausläuft, dass die traditionelle Familiensituation wiederhergestellt wird. Als seien die Kinder nur der Katalysator für die erneuerte Ehe.

Semke: Das ging uns beim Lesen erstmal auch so. Jörg Wesemüller hat die Familiensituation in seiner Inszenierung daher auch auf heute angepasst. Es ist eben eine Patchworkfamilie, und das ist okay so.

Witte: Im Publikum können sich ja auch viele Kinder befinden, deren Eltern getrennt leben, denen wollen wir ja nicht vorspielen, dass das eine unglückliche Situation ist. Unsere Inszenierung hebt nicht so sehr darauf ab, was die Eltern machen, sondern wir wollen die Kinder bestärken, ihnen zeigen, dass sie ein Recht darauf haben, glücklich zu sein, wie wichtig der Zusammenhalt unter Geschwistern und Freunden ist. Für die Zwillinge ist die Hauptsache, dass sie zusammen bleiben. Sie sind eigentlich emotional reifer als die Eltern, die immer nur an sich und ihre Karriere denken.

Im Buch sehen sich die Zwillinge zum Verwechseln ähnlich, daher können sie auch mal ihren Wohnort bei Vater oder Mutter tauschen. Sie aber sehen nun ganz verschieden aus, was bedeutet das für Ihr Spiel?

Witte: Durch Perücken und Kleidung werden wir schon noch ähnlich gemacht. Aber der Größenunterschied bleibt natürlich. Das ist dann der Theaterfantasie überlassen und Teil der Verabredung: Wir spielen Rollen, das wissen auch die Kinder.

Semke: Und es ist sogar gut, dass sie im Gegensatz zu den Eltern im Stück immer wissen, wer wer ist, dadurch werden sie bei unserem Tausch der Wohnorte Mitwisser.

Witte: Die Kollegen spielen natürlich immer, dass wir uns so ähnlich sehen, und betonen das wiederholt. Und weil das offensichtlich nicht so ist, entsteht Komik, die auch den Kindern sicher Spaß macht.

Haben Sie Geschwister? Zwillinge wohl eher nicht, das ist ja selten.

Witte: Ich habe einen Bruder. Als Kinder waren unsere Stimmen ähnlich, daraus haben wir uns am Telefon oft einen Spaß gemacht.

Semke: Ich habe eine Schwester. Wir haben uns in den Reiterferien mal als Zwillinge ausgegeben und gleich angezogen, das war schon faszinierend. Auch mit Freundinnen hat man sich ja schon mal gleich angezogen, das erzeugt so ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das man zu der Zeit sucht.

Nun sind Sie ja nicht nur nicht Zwillinge, sondern auch nicht mehr elf wie Kästners Mädchen...

Witte: Kinder zu spielen ist wirklich nicht leicht. Ich will ja meine Figur ernst nehmen. Und den Kindern nicht so was Klischeehaftes vorspielen.

Semke: Ich glaube, dann fühlen sich die Kinder auch veräppelt. ich weiß einfach nicht mehr, wie man mit elf ist. Aber ich kann meine kindliche Fantasie rauslassen beim Spielen. Man kann ganz viel über die Bewegungen suggerieren, auch umgekehrt, wenn man viel ältere Leute spielen muss.

Witte: Auch hier gilt wieder die Theaterverabredung: Wir als Zuschauende glauben euch jetzt einfach mal, dass ihr diese Kinder seid. Wir haben uns übrigens auch ein paar gleiche Bewegungen für die Zwillinge ausgedacht, das betont auch noch mal unsere Zusammengehörigkeit. Wir haben da in der Arbeit eng zueinandergefunden und uns immer wieder gegenseitig inspiriert.

Für Lina Witte kommt nach dem Kinderstück die nächste Rolle im Staatstheater. Wie geht es bei Ihnen weiter, Larissa Semke?

Semke: Spruchreifes kann ich noch nicht sagen. Als Freischaffende muss ich eben aushalten, dass ich auf weitere Engagements vertrauen muss. Ich brauche diese Freiheit gerade.