Berlin. Bei „Anne Will“ ging es um Klimaschutz. Lindner und Habeck waren sich überraschend einig. Spitzen verteilte der Grüne gegen Scholz.

Die einen nennen es „Verbote“, die anderen „ordnungsrechtlicher Rahmen“. Für Robert Habeck war beides dasselbe. Schließlich wollten alle Parteien einen gesetzlichen Rahmen, der beim Klimaschutz festlegte, was danach nicht mehr erlaubt sein sollte. „Dass wir Grünen uns für die Übersetzung ins normale Deutsch rechtfertigen müssen, ist ein Treppenwitz dieses Wahlkampfs“, mokierte er sich bei „Anne Will“.

Keiner aber konnte so klipp und klar erklären, worauf es den Grünen bei dieser Wahl ankam, wie ihr Parteichef: „Es ist die existentielle Aufgabe unserer politischen Generation. Also können wir keine Koalition eingehen, die nicht den Weg des Paris-Pfads beschreitet“, beantwortete er die Frage von Anne Will, wieweit er in Koalitionsgesprächen bereit wäre zu gehen, um mitzuregieren.

Das bedeutete für die Grünen vor allem einen früheren Kohleausstieg, weil der den größten Minderungseffekt hatte: 2038, wie von der amtierenden Bundesregierung beschlossen, sei einfach „zu lasch“.

Bei Moderatorin Anne Will diskutierten die Parteichefinnen und -chefs über den richtigen Klimaschutz.
Bei Moderatorin Anne Will diskutierten die Parteichefinnen und -chefs über den richtigen Klimaschutz. © NDR/Wolfgang Borrs | NDR/Wolfgang Borrs

"Anne Will": Diese Gäste waren dabei:

  • Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender
  • Robert Habeck (Grüne), Parteivorsitzender
  • Volker Bouffier (CDU), Hessens Ministerpräsident und Stellvertretender Parteivorsitzender
  • Saskia Esken (SPD), Parteivorsitzende
  • Cerstin Gammelin, Journalistin von der "Süddeutschen Zeitung"

Klimaziel erreicht, Wirtschaft entscheidet

Schon 2040, also nur zwei Jahre später, rechnete Robert Habeck vor, sollte Deutschland seine CO-Emissionen um knapp 90 Prozent gesenkt haben – also innerhalb der nächsten 18 Jahre in allen Kernbereichen – Mobilität, Heizen, Industrie, Energieproduktion usw. – klimaneutral werden. Das wäre nicht bloß eine gigantische Umbau-Aufgabe, das ginge mit einem Kohle-Aus 2038 schon rein rechnerisch nicht auf: „Das ist einfach Quatsch“, kommentierte er.

Große Überraschung für Anne Will: Christian Linder sah das ähnlich, wenn auch aus anderen Gründen: „Der europäische CO-Handel wird die Verstromung von Braunkohle in naher Zukunft unrentabel machen“, sah er selbstgewiss voraus. Mit anderen Worten: Schon im Laufe der 2020er Jahre würden private Betreiber ihre Kohlekraftwerke von selbst, eben „aus betriebswirtschaftlichen Gründen“ vom Netz nehmen. Klimaziel erreicht, Wirtschaft entscheidet …

Nur noch eine Woche bis zur Bundestagswahl. Und das „wichtigste Thema dieser Wahl“ stand an. Gleich im Anschluss an das dritte Triell, diesmal bei der privaten TV-Konkurrenz von Sat.1, hatte „Anne Will“ an diesem Sonntagabend die Vorsitzenden der Ton angebenden Parteien in ihrem Berliner Studio zusammengerufen: „Wer passt mit wem zusammen in der Klimapolitik?“

Bundestagswahl: Menschen wollen mehr Klimaschutz

Umfragen zeigen, fasste ein Trailer zu Beginn zusammen, dass die meisten Wählerinnen und Wähler Maßnahmen zum Klimaschutz befürworten – weniger aber Verzicht und Einschränkungen.

Die Zeit drängte: Die Erwärmung des Planeten um maximal 1,5 Grad würde voraussichtlich schon zehn Jahre früher erreicht, als beim Pariser Klimaschutzabkommen angenommen. Die ökologischen Folgekosten bewegten sich in Billionenhöhe. Wessen Parteiprogramm enthielt die praktikabelsten und finanzierbarsten Vorschläge, sollte die Sendung außerdem klären. Lesen Sie auch: TV-Triell - Warum es hier einen Überraschungssieger gab

Sehr weit kam Anne Will mit ihren Fragen zu konkreten Maßnahmen trotzdem nicht. Für Cerstin Gammelin, stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der "Süddeutschen Zeitung", passte sowieso kein Klima-Wahlprogramm zur Realität. Vor allem ließen alle Parteien außer Acht, wie sie zu einem „gesellschaftlichen Konsens“ kommen wollten, bemängelte sie: „Keiner sagt, Klimaschutz kostet Geld, kostet auch Verhaltensänderung. Aber er kostet natürlich Geld.“

Umwelt: Lindner und Habeck fordern Flächen für Windkraft

FDP und Grüne waren dabei womöglich gar nicht so weit auseinander, wie Anne Will erwartet hatte. Trotz unterschiedlicher Akzente und einem handfesten Dissens, ob die notwendigen Investitionen von privater oder staatlicher Seite kommen sollten, konnten beiden unterschreiben, dass beide auch „die Kreativität des Marktes“ nutzen wollten. „Wir sind ein Land der Ingenieure und Techniker“, lobte Christian Lindner den deutschen Erfindergeist, „wer sonst könnte technologische Alternativen erfinden, die auch für China oder Afrika zukunftsweisend sein würden?“

Christian Lindner und Robert Habeck waren sich bei Anne Will häufiger einig als erwartet.
Christian Lindner und Robert Habeck waren sich bei Anne Will häufiger einig als erwartet. © NDR/Wolfgang Borrs | NDR/Wolfgang Borrs

Aber auch, was den Ersatz aus Erneuerbaren Energien angeht, lagen beide Parteichefs dicht beieinander: Der FDP-Parteichef wünschte sich – genauso wie der der Grünen – zwei Prozent der Flächen für Windkraftanlagen, off- und on-shore, die möglichst schnell ausgewiesen werden sollten.

Dazu allerdings – statt einer einseitigen Festlegung auf Elektro-Mobilität wie bei den Grünen – Investitionen in E-Fuel, also synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff. „Das ist gegenwärtig noch zu teuer“, gab er Robert Habeck recht. „Wir waren aber schon immer ein Energie-Importland“, wandte er ein, deshalb sollte seiner Ansicht nach ein Ziel sein, „Energie aus Quellen zu beziehen, wo es wirtschaftlich ist.“

Bundestagswahl: CDU will Emissionen reduzieren und Wohlstand sichern

Deutlich größer scheinen die Unterschiede zwischen SPD und CDU zu sein. Das lag nicht nur an den unterschiedlichen Einschätzungen, inwieweit die Bürgerbeteiligung bei zukünftigen Genehmigungsverfahren eingeschränkt (CDU) werden sollte oder nicht (SPD).

„Wir müssen bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller werden“, war tatsächlich das Einzige, was Volker Bouffier konkret zum Klimaschutz vorzuschlagen hatte. Stattdessen verwahrte sich der hessische Ministerpräsident, zugleich stellvertretender Parteivorsitzender der CDU, gegen den Eindruck, bisher wäre nichts passiert.

Deutschland ist schon ziemlich weit“, glaubte er. Andere Länder, wie Russland, China, Indien, gingen in eine andere Richtung, sprich: bauten neue Kohlekraftwerke. Man müsse hierzulande stattdessen im Blick behalten, wie der Dreiklang gehalten werden könnte – gleichzeitig schädliche Emissionen reduzieren, Arbeitsplätze erhalten und Wohlstand sichern: „Kein Land wird uns folgen, wenn wir den Wohlstand nicht erhalten.“

Klimaschutz: Robert Habeck kritisiert die SPD

Aber ob Grüne und SPD einfach so in einer Koalition zusammenkommen, wie Annalena Baerbock im Sat.1-Triell schon den Eindruck vermittelte?

Nach dieser „Anne Will“ ist das so eindeutig nicht: Robert Habeck jedenfalls wunderte sich über Saskia Esken – und fiel ihr gegen Schluss dauernd schroff ins Wort, sie teile nicht die Auffassungen ihres eignen Kanzlerkandidaten. Er halte „Olaf Scholz ja für einen fähigen Bürgermeister von Hamburg“, spottete er, aber für einen Klimakanzler, wie die SPD ihn in diesem Wahlkampf plakatierte, dann doch nicht.

Dabei hatte die SPD-Parteichefin Olaf Scholz nicht nur lobend hervorgehoben, weil er so früh wie kein anderes Regierungsmitglied auf den gigantischen Strombedarf hingewiesen hatte, der in Zukunft nötig sein würde. Und auch, weil das SPD-Wahlprogramm jährlich 50 Milliarden Euro an Investitionen für den Energieumbau kalkulierte. Sie war auch bereit, vor 2038 aus der Kohle auszusteigen, falls „dann auch der nötige Strukturwandel fertig ist.“

Das waren die vergangenen Sendungen "Anne Will"