Braunschweig. Christian Kohn berichtet von vielen Anrufern, denen die Bilder von Gewalt und Leid sehr zusetzen. Der Pfarrer weiß, was die Furcht lindern kann.

Putins Krieg in der Ukraine kriecht in die Köpfe und in die Seelen. Auch die Braunschweiger Telefonseelsorge erlebt hautnah, wie sehr das Thema die Menschen beschäftigt und erschüttert. Christian Kohn, Leiter der Einrichtung, sagt: „Unsere Anrufer berichten von existenziellen Ängsten. Sie fragen sich besorgt: Was bringt die Zukunft? Eskaliert der Krieg noch weiter? Wie nah kommt er an uns heran? Wird er noch brutaler und mit Atomwaffen geführt werden?“ Die Furcht sei groß.

Rund ein Fünftel der derzeitigen Anrufer wollen über den Krieg sprechen. Die Telefone sind im Dauereinsatz. „Die Zahl der Anrufer ist ganz offenbar gestiegen. Wir hören immer wieder, dass es schwer sei, bei uns durchzukommen“, sagt Kohn. Geduld sei gefragt und Frustrationstoleranz. Kohn bittet um Verständnis. Die Ehrenamtlichen sind längst an ihre Grenzen gestoßen.

Berichterstattung über den Krieg macht vielen Angst

Viele ältere Anrufer berichten von ihren eigenen Kriegserlebnissen. Das Grauen bricht sich aus der Erinnerung erneut Bahn. Alte Wunden brechen auf. Retraumatisierung nennen das die Psychologen.

Jüngere Anrufer kennen Krieg nur aus Erzählungen. „Denen macht die Berichterstattung Angst“, sagt Kohn. Die Bilder von Leid und Zerstörung fahren allen in die Glieder. „Manche fragen auch, wie sie sich schützen könnten, wenn der Krieg uns nahe käme.“

Die Kriegsangst kommt auf die Pandemie noch obendrauf

All diese Sorgen, all diese Ängste kämen noch mal obendrauf auf die Pandemie. Kohn denkt auch an die enorme Belastung seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter. „Das macht unsere Arbeit nicht leichter.“ Alle säßen im selben Boot. Die Isolation durch die Pandemie sei ein großes Problem. „Weil die Menschen ihre Ängste dadurch nicht teilen können.“ Viele scheuten beispielsweise die Teilnahme an Friedensgebeten oder Demonstrationen, und somit fehle ihnen das Gefühl der Solidarität und Verbundenheit, die Geborgenheit in einer Gruppe von Gleichgesinnten.

„Die Vorsicht bremst aus“, sagt Kohn und er bedauert, dass auch die Kirchen durch die Abstandsregeln weniger Platz bieten könnten. Das mache alles komplizierter. Kirchen seien in Krisen stets Zufluchtsorte. Und wir alle brauchen jetzt Tankstellen für die Seele. „Wenn es etwas gibt, das schwer zu ertragen ist, ist es Hilflosigkeit“, meint Kohn.

Die Welle der Solidarität spendet Trost

Andererseits sei es aufbauend, dass die Menschen auf den Krieg mit einer Welle der Solidarität reagierten. Kohn verweist auf Spendensammlungen und Hilfstransporte. „Jeder kann sich auf seine Weise und mit seinen Mitteln einbringen.“

Was kann der Mensch tun gegen seine Ängste, seine Hilflosigkeit? „Reden hilft!“, sagt Kohn. Und Nachrichtenfasten. „Ein Zuviel an beängstigenden Informationen ist nicht gut. Man sollte sich Zeitfenster setzen, um keinen Tunnelblick zu bekommen, bei dem man nichts mehr wahrnimmt, was sonst so um einen herum geschieht. Und raus in die Natur, bestenfalls bei Sonnenschein! „Wir sollten uns auch nicht aus den Augen verlieren, gut aufeinander acht geben und nichts in uns hineinfressen!“ Und auch Lachen sei erlaubt. Dafür müsse man sich in Kriegs- und Krisenzeiten nicht schämen.

Die Telefonseelsorge

Zu erreichen unter den kostenfreien Telefonnummern 0800/ 111 0 111 oder 0800/ 111 0 222.

Chat- sowie Mailseelsorge sind im Internet möglich unter: https://www.telefonseelsorge-braunschweig.de.

Die Telefonseelsorge Braunschweig ist eine Einrichtung der evangelisch-lutherischen Propstei Braunschweig. Für die finanzielle Grundausstattung stellt die Landeskirche Braunschweig Mittel zur Verfügung. Zur Sicherung der Qualität und Verlässlichkeit der Arbeit ist die Telefonseelsorge darüber hinaus auf Spenden angewiesen. Ungeachtet des kirchlichen Trägers ist sie offen für jeden Menschen, der sich an sie wenden möchte.

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