Essehof. Im Tierpark Essehof leben Seramas, die kleinste Hühnerrasse der Welt. Die geringe Körpergröße scheint ihrem Ego nicht zu schaden.

Ohne Ei kein Ostern! Und kein Ei ohne Huhn – oder war es doch genau anders herum? Egal, darauf kommt es an dieser Stelle wirklich nicht an. Eine Hühnergeschichte zu Ostern soll es werden, eine aus Essehof. Denn in dem Tierpark in der Gemeinde Lehre im Landkreis Helmstedt leben die kleinsten ausgewachsenen Hühner unserer Region, die Seramas. Die Mini-Rasse aus Malaysia gilt als kleinste und leichteste Hühnerart der Welt.

Doch wo sind sie überhaupt, die acht gefiederten Zwerge? Linda Wilhelm, ausgestattet mit einem Teller voll Federvieh-Delikatessen – Blattsalat, Getreide, kleingeschnittenes hartgekochtes Ei, sich windende Mehlwürmer – steht am Hühnerhaus mitten im Zoo und pfeift. Aus allen Himmelsrichtungen kommen Hühner angewetzt: braune, schwarz-weiße, gescheckte, Hühner in allen Größen – vom kleinen Chabo-Zwerghuhn bis zur großen silberschwarz gestreiften Wyandotten oder der weißgrauen Brahma-Henne mit den puscheligen Federfüßen. Doch die Allerkleinsten fehlen: weit und breit keine Seramas.

Die temperamentvollen Winzlinge bleiben unter sich, damit es nicht zum Streit kommt

Zusammen mit der 23-jährigen Tierpflegerin, die im väterlichen Betrieb arbeitet, geht es auf die Suche. Auf einer abseits gelegenen Rasenpflege in einer anderen Ecke des Tierpark-Geländes werden wir fündig. Hier picken und scharren die gesuchten Winzlinge: sieben Hennen unterschiedlichster Farbe und Gefieder-Musterung und ein stolzer Hahn. Oder besser: ein Hähnchen. Denn die Seramas sind kaum größer als Stadttauben in der Fußgängerzone. Selten bringen sie mehr als ein Pfund auf die Waage.

Eine Handvoll Huhn. Die Seramas sind kaum großer als Stadttauben.
Eine Handvoll Huhn. Die Seramas sind kaum großer als Stadttauben. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Dass die Seramas abseits der anderen Hühner unter sich bleiben, liegt an eben diesem Hahn. Während die 28-köpfige, aus 15 verschiedenen Rassen, buntgemischte Schar am Hühnerhaus einträchtig unter einem Hahn zusammenlebt, haben die Seramas ihren eigenen Beschützer. Und der hat „ein bisschen mehr Temperament“, wie Linda Wilhelm erklärt. „Man könnte auch sagen, er macht ordentlich Terz.“ Wirklich? Trotz aufrechter Haltung, angeschwollenem Brustkorb und steil aufragender blau schimmernder Schwanzfiederung macht der Hahn einen etwas schüchternen Eindruck. Die dargebotenen lebenden Mehlwürmer pickt er etwas zögerlicher aus der Hand als die Serama-Hennen. Statt die aufgepickten Insektenlarven selbst zu fressen, legt er immer wieder mal eine abseits ins Gras und bietet sie den anderen an. „Damit zeigt der Hahn, dass er für seine Hennen sorgen kann“, erklärt die Tierpflegerin.

Tierpflegerin Linda Wilhelm: „Da denkt der Kleinste dann, er wär‘ der Größte“

Hier zeigt der Serama-Häuptling sich von einer fürsorglichen Seite. Das ändert sich aber schlagartig, wenn ein anderer Hahn auftaucht. „Spätestens dann kommt sein volles Temperament zum Vorschein“, sagt Wilhelm und spricht dabei aus zehn Jahren Esseroder Serama-Erfahrung. „Da denkt der Kleinste dann, er wär‘ der Größte. Die wissen genau, was sie wollen.“ In solchen Fällen müsse man den Serama-Hahn manchmal vor der eigenen Courage schützen, denn natürlich hätte er keine Chance, wenn es im Streit mit der um ein Vielfaches größeren Verwandtschaft hart auf hart ginge.

Wie sie einen so energisch angucken, den Kopf schief legen! Und dann dieser fragende Blick: Futter?
Linda Wilhelm - Tierpflegerin im Tierpark Essehof (23)

Auch beim Krähen bricht sich das Serama-Temperament Bahn. Zwar reicht das Stimmvolumen des Winzlings nicht an das seiner großen Artgenossen heran, „trotzdem krähen sie sehr viel“, sagt Wilhelm, die hier „ein gewisses Streitpotenzial“ in der Nachbarschaft von Serama-Haltern sieht. Insbesondere im Sommer: Da legen die Hähnchen wegen des frühen Sonnenaufgangs nicht selten schon um 4 Uhr los.

Die Mini-Hühner können auch auf engem Raum gehalten werden

Bleibt noch die Frage, warum die Seramas eigentlich so winzig sind. Linda Wilhelm erklärt: Um sie auch in beengten, ärmlichen Behausungen in Malaysia halten zu können, wurden die Hühner dort so klein gezüchtet. Auch für wenig bemittelte Hühnerhalter waren die Tiere dadurch interessant. „Hühner sind ohnehin wenig anspruchsvoll beim Futter, aber so ein kleines Tier frisst noch mal weniger“, sagt sie, „und liefert trotzdem regelmäßig Eier“.

Skeptisch beäugt dieses Zwerghuhn das große blaugrüne Ei eines Emus.
Skeptisch beäugt dieses Zwerghuhn das große blaugrüne Ei eines Emus. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Im Schnitt alle zwei Tage legen die Seramas ein Ei, im Herbst und im Winter etwas seltener. Wie die Eier der anderen Vögel des Tierparks – Wilhelm präsentiert ein frischgelegtes dunkelgrünes Emu-Ei mit krisselig-rauher Oberläche – wandern auch die Hühnereier in die Futternäpfe, etwa von Affe, Waschbär und Erdmännchen.

Eier wandern in den Futternapf – Nachzucht nur nach Bedarf

Nur hin und wieder lassen die Esseroder die Hennen ihre Eier fertig ausbrüten. Nachzucht ist etwa nötig, wenn Füchse oder Greifvögel die Reihen wieder einmal allzu stark gelichtet haben. Hin und wieder werden auch Küken gekauft. Auch zu Ostern sollen die Besucher Jungvögel bestaunen können, kündigt Wilhelm an.

„Hühner sind eine Leidenschaft von mir. Auch deshalb bin ich Tierpflegerin geworden“, sagt die 23-Jährige. Warum? Weil die Tiere zugleich lustig und treu seien. „Sie können einem den Tag versüßen“, sagt sie und beschreibt das herzerwärmende Gefühl, „wenn man morgens die Klappe öffnet und die Tiere aus dem Stall kommen“.

Auf die Frage, was denn genau lustig an einem Huhn sei, sagt sie: „Wie sie einen so energisch angucken, den Kopf schief legen! Und dann dieser fragende Blick: Futter?“ Oder vorm Schlafengehen: „Wenn man sie abends reinholen will, gibt es immer ein Huhn, das noch nicht will. Dem muss man dann mindestens drei Runden um den Stall hinterherlaufen, bis es sich bequemt, den anderen zu folgen.“

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