Washington. In New York werden über zwei Millionen Nager vermutet. Bürgermeister Adams will die Stadt von den “schmutzigen Kreaturen“ befreien.

Nicht, dass Ratten in der Stadt, die niemals schläft, ein wirklich neues Problem wären. New Yorker klagen quasi seit post-kolonialen Zeiten über die raffinierten Nagetiere, die heute in der dicht besiedelten Metropole mit ihrer archaischen Müllabfuhr-Kultur (Plastiktütenberge auf dem Bürgersteig) und 25 000 Restaurants, die tonnenweise Speisereste hinterlassen, ein nie versiegendes All-you-can-eat-Buffet vorfinden.

Auf knapp neun Millionen Einwohner, so hat es ein kluger Kopf der Columbia-Universität vor acht Jahren hochgerechnet, kommen cirka zwei Millionen der braun-pelzigen Biester, Typus "rattus norvegicus". Ob die Zahl noch stimmt, wird inzwischen bezweifelt. Ein Rattenweibchen kann zeitlebens drei bis zwölf Würfe gebären; mit jeweils bis zu 22 Jungtieren.

Schon 16 000 Ratten-Fälle bis zur Jahresmitte

Mit nahezu jedem Bürgermeister-Wechsel startet in NY ein neuer Anlauf, ein neues Versprechen, der Plage Herr zu werden, die aus Erfahrung von Ortsansässigen während der Corona-Pandemie zugenommen hat. Schon zur Jahresmitte wurden der Stadtverwaltung über 16 000 "Ratten-Fälle" gemeldet.

Eric Adams, der starke Mann in City Hall, hat der Bekämpfung nun einen neuen Stellenwert gegeben. Für bis zu 170 000 Dollar Jahresgehalt wird seit dieser Woche ein "Direktor zur Nagetier-Kontrolle" gesucht. Der so genannte "Ratten-Zar" soll gemäß Stellenausschreibung "Killer-Instinkt" und eine "generell knallharte Aura” besitzen. Auch eine "draufgängerische Haltung" und "schlauer Humor" werden erwartet.

Die "Pizza-Ratte" wurde zum Internet-Star

Von Sekundär-Tugenden wie "Beherrschung von Excel und Powerpoint" und der Bereitschaft, Tag und Nacht "mit innovativen Methoden" dem langschwänzigen Feind nachzustellen, gar nicht erst zu reden.

Adams, der lange Zeit federführend im Stadtteil Brooklyn tätig war und mit den "Boomtown Rats" (nein, nicht die von Bob Geldof) vertraut ist, gibt die Linie vor: "Ich hasse nichts mehr als Ratten. Die Straßen von diesen schmutzigen Kreaturen zu befreien, ist der Schlüssel zum Aufschwung."

Damit ist klar: Die Zeiten als Ratten im "Big Apple" zur Internet-Berühmtheit aufstiegen, wie das noch 2015 der Fall war, sind wohl vorbei. Damals wurde ein wackerer Nager in einer U-Bahn-Station im East Village dabei gefilmt, wie er ein viel zu großes Stück Pizza in aller Seelenruhe die Treppenstufen herunterschleppte. Weit über zehn Millionen klickten das Video auf YouTube an. Die "Pizza Rat" wurde, typisch newyorkerisch-lokalpatriotisch, für ihre coole Zielstrebigkeit gefeiert.

«Ratten werden dieses Jobangebot hassen», heißt es in einer Stellenausschreibung der New Yorker Stadtverwaltung.
«Ratten werden dieses Jobangebot hassen», heißt es in einer Stellenausschreibung der New Yorker Stadtverwaltung. © Bernd von Jutrczenka/dpa

"Ich will Rattenleichen sehen"

Bei Adams Vorgänger Bill de Blasio hatte sich die Anti-Ratten-Strategie so angehört: "Ich will Rattenleichen sehen." Der Demokrat erinnerte daran, dass Ratten bis zu 120 unterschiedliche Krankheiten übertragen können. Er versprach seiner Zeit, die Population um 70 Prozent zu dezimieren. Dafür wurden binnen eines Jahres über 30 Millionen Dollar ausgegeben. Ohne schlagenden Erfolg.

Dabei wurde schon vorher so gut wie alles ausprobiert. Mal versuchte man, die Ratten-Weibchen mit vergifteten Ködern zu sterilisieren. Fehlschuss. Auch ein Experiment mit verwilderten Hauskatzen, denen man fälschlicherweise Ratten-Terminator-Gelüste unterstellte, brachte nicht viel. Trockeneis, um die Tiere zu ersticken, war ebenfalls nicht der Renner. Auch interessant: US-Senat: Demokrat Warnock gewinnt Stichwahl in Georgia

In der Rangliste der "Rattiest Cities", der rattenreichsten Metropolen, die der Schädlingsbekämpfer Orkin nach saloppen Kriterien zusammenstellt, rangiert seit fast einem Jahrzehnt Chicago konstant vor New York. Washington DC, Los Angeles und San Francisco sind auch immer unter den ersten Zehn.

Krieg gegen Ratten als Dauer-Aufgabe

Experten sehen das Unterfangen von Bürgermeister Adams skeptisch. Bei weit über 30 Millionen Tonnen Müll im Jahr, von dem nicht viel mehr als ein Viertel recycelt wird, finde die Ratte in New York "einfach paradiesische Lebensbedingungen vor."

Schädlingsbekämpfer sagen, dass man die enorm anpassungsfähigen und gerissenen Tiere nie mit einem einzigen generalstabsmäßigen Angriff ausschalten könne. Der "war on rats", der Krieg gegen die Ratten, müsse zur kommunalen Daueraufgabe werden. Ob Bürgermeister Adams dafür den nötigen Atem hat?

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.