Braunschweig. Landtagsmitglieder unserer Region kommentieren die neuesten Corona-Regeln. Politologe Bandelow: Gesamtstrategie ist nicht erkennbar.

Eine klare, nachvollziehbare Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie – nicht mehr und nicht weniger hatten sich viele von der jüngsten Bund Länder-Runde erhofft. Am späten Mittwochabend wurden die Beschlüsse bekanntgegeben: Fortsetzung des Lockdowns bis zum 28. März, begrenzte Lockerungen, Ausweitung der Impfungen, kostenlose Selbsttests, stärker ausdifferenzierte Regeln beim Anlegen der Inzidenz-Maßstäbe.

Ob diese Ergebnisse tatsächlich Infektionsschutz und eine „realistische Öffnungsperspektive für alle Bereiche der Gesellschaft“ unter einen Hut bringen, wie Ministerpräsident Stephan Weil nach der Einigung verkündet hat, daran scheiden sich die Geister. Wir fragten Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Parteien aus unserer Region, wie sie die Ergebnisse des Videogipfels bewerten.

Christos Pantazis, SPD

Aus Sicht des Braunschweiger Abgeordneten Christos Pantazis bietet die Einigung „Licht und Schatten“. Den beschlossenen Stufenplan hin zu mehr Öffnungen lobt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion vorsichtig als Schritt in die richtige Richtung. Er befürwortet den Wechsel vom „Social Distancing“ zum „Smart Distancing“, weil hierdurch die Nutzung des Einzelhandels, kultureller Einrichtungen und der Sport wieder grundsätzlich möglich werde.

Gleichzeitig mahnt er, das Impfen zu beschleunigen, die Nutzung von Corona-Tests auszuweiten und die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten per App sicherzustellen. Und: „Was das Thema impfen betrifft, begrüße ich, dass auch die Hausärzte in die Impfstrategie eingebunden werden“, so Pantazis.

Frank Oesterhelweg, CDU

Auch Frank Oesterhelweg, Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Braunschweig äußert sich zunächst anerkennend: „Es ist gut, dass es zumindest einen groben Ablaufplan gibt, wie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben – unter Beachtung der geltenden Verhaltensregeln – wieder hochgefahren werden soll.“ Wenig nachvollziehbar ist für den Landtagsvizepräsidenten aber, „dass etwa der Einzelhandel in seiner Gesamtheit noch nicht wieder am Start ist, obwohl es in weiten Teilen schlüssige und nachvollziehbare Konzepte für eine Wiederaufnahme des Betriebes gibt“.

Wenn es darum gehe, sich auf ein „Leben mit Corona“ einzustellen, „dann müssen wir dieses Leben auch organisiert ermöglichen“, so Oesterhelweg. Die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung sei nur erreichbar, wenn die Maßnahmen verständlich, ausgewogen und nachvollziehbar seien. Der CDU-Politiker macht sich für technische Lösungen im Umgang mit der Pandemie stark und fordert „eindeutige Empfehlungen für geprüfte Luftreinigungssysteme“.

Imke Byl, Grüne

Enttäuscht zeigt sich die Grünen-Abgeordnete Imke Byl: „Es kann doch nicht sein, dass die Testoffensive schon wieder vertagt wird.“ Nur mit Schnell- und Selbsttests gebe es die Chance, „dass die ersehnten Lockerungen auch gelingen und wir in den nächsten Monaten den Weg zurück in eine gewisse Form von Normalität finden“. Die erneute Zusage der Bundesregierung vom Donnerstag, schnell ausreichende Test-Kapazitäten zu schaffen, reicht der Gifhornerin nicht aus. Sie sieht auch die Landesregierung gefragt, „und die hat für Tests bisher überhaupt nicht vorgesorgt“.

Die sozialen Folgen der Pandemie seien dramatisch, so Byl: „Insbesondere junge Menschen, Familien, Geschäftstreibende und Kulturschaffende werden wieder links liegengelassen. Für Schulen und Kitas gibt es immer noch keine Perspektive. Während regional Konzepte mit Substanz erarbeitet werden, fischen Bundes- und Landesregierung weiter im Trüben.“

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Susanne Schütz, FDP

Auch Susanne Schütz vermisst bei den Beschlüssen die erhoffte Perspektive und Planungssicherheit. Am vereinbarten Stufenmodell für Lockerungen kritisierte die Braunschweiger FDP-Abgeordnete: „Wir halten es für falsch, sich alleine an den Inzidenzen als Richtwerten zu orientieren.“ Ihre Partei fordere schon länger, auch andere Kriterien wie den Impffortschritt oder die Belastung des Gesundheitssystems in die Lagebeurteilung einzubeziehen.

Aus Schütz’ Sicht werden die Möglichkeiten der Digitalisierung noch nicht hinreichend genutzt. Gerade im Bereich einer Schnelltest-Strategie müsse das Land „dringend liefern“, gleiches gelte für mehr Tempo beim Impfen.

Stefan Wirtz, AfD

„Was wie eine Strategie aussehen soll, ist nur weiterhin zaghaftes Steuern auf Sicht, eine längerfristige Perspektive bietet das nicht“, lautet das Fazit des Braunschweiger AfD-Abgeordneten Stefan Wirtz zu den Beschlüssen. Trotz Erleichterungen für Handel und Gastronomie fürchtet er unvermeidliche Pleiten durch den „endlosen“ Lockdown. Der Preis der Maßnahmen sei unverhältnismäßig: „Reihenweise Existenzen zu vernichten, um möglicherweise Leben zu retten, verdient die Bezeichnung Krisenmanagement jedenfalls nicht.“ Bei den Öffnungsregeln kritisiert auch der fraktionslose AfD-Abgeordnete die „einseitige“ Orientierung an „beliebig gewählten Inzidenzwerten“. Zudem bezweifelt Wirtz den Nutzen von Corona-Schnelltests. Diese seien zu ungenau, ihre Aussagekraft zu gering.

Politologe: Strategie wird nicht nachvollziehbar kommuniziert

Auf Bitten unserer Zeitung äußert sich auch der Politikwissenschaftler Nils Bandelow von der TU Braunschweig skeptisch zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Runde – ohne diese im Einzelnen zu bewerten. Nach wie vor fehle eine „nachvollziehbar kommunizierte Gesamtstrategie“. Die Beschlüsse seien zu kompliziert, um langfristig in der Bevölkerung auf Zustimmung zu stoßen.

Angesichts des angelaufenen „Superwahljahres“ 2021 sieht Bandelow die Politik unter besonderem Druck. Im Vergleich zum Vorjahr, in dem viele Entscheidungen auf Grundlage medizinisch-epidemiologischer Argumente getroffen wurden, sei „die Beschlussfindung jetzt sichtbarer von der politischen Logik“ bestimmt. Hierin sieht Bandelow auch die vorhandenen Probleme bei der Impfstrategie begründet: „Der Wettbewerb um politische Ämter erschwert eine fachlich begründete Lösung.“