Berlin. Der Rücktritt der Verteidigungsministerin ist eine Niederlage für Scholz. Reagiert der Kanzler mit einer großen Kabinettsumbildung?

Der Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist auch eine Niederlage von Olaf Scholz. Als der Kanzler im Dezember 2021 in der SPD-Parteizentrale die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister vorstellte, empfahl er sie als „eine erfahrene Politikerin, eine erfahrene Ministerin“. Die Bundeswehr habe jemanden an der Spitze verdient, „die es auch kann – und das ist bei Christine Lambrecht exakt der Fall“, sagte Scholz. „Sie wird eine ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland sein.“

Scholz hat sich gründlich geirrt. Lambrecht selbst hat erkannt, dass sie trotz ihrer vorherigen Leistung als Justizministerin keine erstklassige Chefin des Verteidigungsressorts war – und auch keine bedeutende Verteidigungsministerin mehr werden wird. Zu lang ist die Liste ihrer Pannen und Ungeschicklichkeiten, zu vergiftet die Stimmung im Ministerium.

Olaf Scholz bei der Vorstellung der SPD-Kabinettsmitglieder im Dezember 2021.
Olaf Scholz bei der Vorstellung der SPD-Kabinettsmitglieder im Dezember 2021. © AFP | ODD ANDERSEN

Scholz: Kein Wort zu Lambrecht am Wochenende

Deswegen bat sie ihn am Montag um ihre Entlassung. Schon seit Freitag kursierten entsprechende Meldungen. Lambrecht hatte sich am Wochenende dazu nicht geäußert, sie tauchte unter. Ein skurriler Schwebezustand.

Der Kanzler hätte die Chance gehabt, Lambrecht noch einmal den Rücken zu stärken. Oder der Parteifreundin für ihre Arbeit zu danken. Oder eine schnelle Lösung für die Besetzung des schwierigen Ressorts anzukündigen. Doch als Scholz am Samstag ein neues Flüssiggas-Terminal in Lubmin an der Ostsee eröffnete, überhörte er Reporterfragen zu Lambrecht und einer Neubesetzung. Kein Wort zu den Turbulenzen in seiner Regierung.

Leopard-2-Debatte: Ausgerechnet jetzt ist das Verteidigungsressort ohne Führung

Sollte der Termin an der Ostsee die Handlungsfähigkeit des Kanzlers und seiner Regierung in der aktuellen Krise demonstrieren, machte er das Vakuum an der Spitze des Verteidigungsministeriums und die damit verbundenen Probleme des Kanzlers besonders deutlich.

In Europa herrscht Krieg, mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russlands Machthaber Wladimir Putin nicht nur alle scheinbaren Gewissheiten zur politischen Ordnung auf dem Kontinent erschüttert, sondern auch den Europäern und ganz besonders Deutschland brutal vorgeführt, wie schlecht sie militärisch für derartige Bedrohungen gerüstet sind. In dieser Lage fehlt ausgerechnet dem größten Land Europas die Führung im Verteidigungsressort. Und das auch noch in einem Moment, in dem die Scholz-Regierung unter dem Druck der Partner steht, der Weitergabe von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 an die Ukraine zuzustimmen. Der Kanzler ist in der Frage bisher zurückhaltend.

Wehrbeauftragte Eva Högl: Wird sie Lambrechts Nachfolgerin?

Am kommenden Freitag richtet die US-Regierung die nächste Ramstein-Konferenz aus: Auf der gleichnamigen US-Militärbasis in Rheinland-Pfalz werden die internationalen Waffenlieferungen an die Ukraine koordiniert. Der Termin gilt als entscheidend dafür, ob eine Koalition von Ländern die Panzer aus deutscher Produktion mit Einverständnis der Bundesregierung an die ukrainischen Streitkräfte liefern kann. Bis dahin sollte die Besetzung der Ministeriumsspitze geklärt sein.

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Ihr werden gute Chancen auf die Lambrecht-Nahfolge eingeräumt: Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags.
Ihr werden gute Chancen auf die Lambrecht-Nahfolge eingeräumt: Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags. © dpa | Michael Kappeler

Scholz kann sich keinen weiteren Fehlgriff leisten. Als eine Option gilt die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl. Die 54-jährige trat am Wochenende mit einem – lange vor den Meldungen über den Lambrecht-Rücktritt vereinbarten – Interview in Erscheinung, in dem sie nicht nur forderte, das Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr auf 300 Milliarden Euro zu verdreifachen. Zu der Panzerdebatte sagte Högl der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ außerdem: „Leopard-2-Panzer würden der Ukraine sicher entscheidend helfen.“ Die Fachkenntnis Högls ist unbestritten, sie gilt als beliebt in der Truppe – aber wäre sie dem Kanzler mit solchen klaren Positionen zu unbequem?

Klingbeil, Schmidt, Heil werden als Kandidaten gehandelt

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil wird als möglicher Nachfolger Lambrechts gehandelt. Der Parteichef stammt aus einer Soldatenfamilie und hat sich über Jahre im Verteidigungsausschuss des Bundestags mit der Bundeswehr beschäftigt. Sein Verhältnis zu Scholz ist eng.

Bisher waren in der SPD aber alle zufrieden damit, dass die Parteichefs Klingbeil und Saskia Esken nicht dem Kabinett angehören. Eine Überraschungslösung, für die Scholz auch gut ist, wäre die 39-jährige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Siemtje Möller.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Bundeskanzler in der angespannten Lage auf Erfahrung setzt. Damit richtet sich der Blick auf Wolfgang Schmidt, den langjährigen Scholz-Vertrauten und Kanzleramtschef. Eine Alternative wäre Arbeitsminister Hubertus Heil, den Scholz bei der Vorstellung der SPD-Minister vor gut einem Jahr als „Schlachtross“ lobte. Scholz hat allerdings versprochen, seine Regierungsmannschaft zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen.

Kabinettsumbildung könnte größer ausfallen – was wird aus Lauterbach?

FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte den Kanzler in der „Bild am Sonntag“ zwar auf, in der Frage der Lambrecht-Nachfolge nicht „nach Geschlechtern, sondern nur nach Kompetenz“ zu entscheiden. Aus der SPD ist allerdings zu hören, dass an dem Prinzip der Parität festgehalten werden solle. Das spräche für Högl. Wagen sich entweder Heil oder Schmidt auf den Schleudersitz im Verteidigungsministerium, müssten ihre Posten mit einer Frau nachbesetzt werden. Macht es Klingbeil, müsste ein Mann im Kabinett weichen. Einziger weiterer Minister mit SPD-Parteibuch: der nicht unumstrittene Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

Die Probleme an der Spitze des Verteidigungsministeriums kommen für Kanzler Olaf Scholz in schwierigen Zeiten.
Die Probleme an der Spitze des Verteidigungsministeriums kommen für Kanzler Olaf Scholz in schwierigen Zeiten. © AFP | Ronny Hartmann

Scholz ist durch die Personalie Lambrecht also gezwungen, sich über ein kompliziertes Personalpuzzle zu beugen. Direkte Nachbesetzung Lambrechts oder eine größere Rochade? Beides wird in der SPD für möglich gehalten. Zumal auf einem weiteren Puzzleteil auch das Gesicht von Nancy Faeser zu sehen ist: Die Bundesinnenministerin ist Chefin des hessischen SPD-Landesverbandes und die nur offiziell noch nicht gekürte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Herbst.

Nancy Faeser erschwert das Personalpuzzle

Die Entscheidung über Faesers Kandidatur sollte bisher Anfang Februar verkündet werden. Spätestens dann wäre es auch darum gegangen, wie lange die Sozialdemokratin trotz ihres Engagements in Hessen im Ampel-Kabinett bleiben will und kann. Scholz steht nun vor der Frage, ob er die Debatte um eine Neubesetzung innerhalb weniger Wochen zweimal führen will – oder ob er nun eine Gesamtlösung präsentiert.

Die Union nutzte die Bredouille des Kanzlers, um Druck auf Scholz zu machen. Die Gerüchte um Lambrechts Rücktritt müssten „endlich mit einer Entscheidung des Bundeskanzlers abgeschlossen“ werden, forderte Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz. „Auch mit diesem Wabern und diesem Abwarten und diesem Zögern schadet man der Bundeswehr.“