Washington. Ein Untersuchungsausschuss macht Ex-Präsident Trump schwere Vorwürfe. Womöglich muss er unter Eid zum Sturm auf das Kapitol aussagen.

Auf der Zielgeraden monatelanger Untersuchungen über die Hintergründe des Sturms auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 durch Anhänger von Donald Trump nimmt der neunköpfige Parlamentarische Untersuchungs-Ausschuss die Schlüsselfigur ins Visier: Der Ex-Präsident soll per Zwangsvorladung mit Strafandrohung (subpoena) – unter Eid – zum Reden gebracht werden. Das wurde am Donnerstag einstimmig entschieden. Sollte Trump sich weigern, könnte er strafrechtlich belangt werden.

Im Stil eines Best-Of-Albums aus den vorangegangenen, ebenfalls live im Fernsehen übertragenen Sitzungen wurden zuvor zig Ex-Top-Regierungsvertreter der Trump-Ära, darunter Außen- und Justizminister, Generalstabschefs und Top-Juristen mit Sätzen zitiert, die alle einen Kern haben: Trump hätte weit vor Ende des Jahres 2020 klipp und klar dem Recht folgen und seine Wahlniederlage gegen den heutigen Präsidenten Joe Biden offiziell eingestehen müssen. "Aber er machte die bewusste Entscheidung, das Gesetz zu ignorieren und im Amt zu bleiben”, erklärte der Abgeordnete Adam Kinzinger.

Trump: Ex-Präsident handelte wider besseres Wissen

Etliche Zeugen, die unter Eid vernommen wurden, beglaubigten, dass Trump nach der Wahl 2020 zwei Gesichter hatte. Nach innen signalisierte er im kleinen Kreis früh, dass er das Nachsehen gegen Biden hatte. "Wir müssen das den nächsten Kerl machen lassen”, wurde er zitiert. Gemeint war Biden.

Nach außen, vor allem für seine Anhänger, hielt er zwischen Anfang November 2020 und dem Quasi-Umsturzversuch im Januar 2021 jedoch an der Mär eines gigantischen Wahlbetruges zu seinen Lasten fest; obwohl über 60 Gerichtsverfahren gegen ihn ausgegangen waren.

Trump: Leute sollen nicht wissen, "dass wir verloren haben”

Cassidy Hutchinson, Schlüssel-Zeugin und ehemals rechte Hand von Trumps Stabschef Mark Meadows, zitierte den Präsidenten in einer Weise, die bislang öffentlich nicht bekannt war: "Ich will nicht, dass die Leute wissen, dass wir verloren haben, Mark. Das ist peinlich. Lass Dir was einfallen.”

Einen nachdrücklichen Eindruck hinterließ erneut die einzige Republikanerin im Gremium, Liz Cheney. Nach ihren Worten wäre der 6. Januar 2021 ohne Trump definitiv nicht möglich gewesen. "Er war persönlich und substanziell involviert.”

Trump konnte es nicht ertragen, dass Joe Biden ihn in einer Wahl geschlagen hat und US-Präsident wurde.
Trump konnte es nicht ertragen, dass Joe Biden ihn in einer Wahl geschlagen hat und US-Präsident wurde.

Der Ex-Präsident habe schon lange vor der Wahl im November 2020 einen "vorsätzlichen Plan” gehabt, die Ergebnisse anzugreifen. Später wurde Trump-Berater Brad Parscale mit dem Satz zitiert, dass Trump bereits Monate vor der Wahl entschieden habe, sich zum Sieger zu erklären – ungeachtet des Wahlausgangs.

Sturm aufs Kapitol: "Wir können nicht nur die Fußsoldaten belangen”

Laut Cheney haben die fast ausschließlich von republikanischen Funktionsträgern und dem inneren Zirkel Trumps stammenden Zeugenaussagen ergeben, dass er Amerika von Anfang an zum Narren gehalten hat: "Trump war sehr bewusst, dass er verloren hat. Trump wusste, dass die Wahl nicht gestohlen war.” Dennoch habe er zielgerichtet und unbeirrt den Versuch unternommen, die amerikanische Demokratie ihrem bis dahin größten Stresstest zu unterziehen und die Zertifizierung des Wahlsieges von Biden im Kongress zu hintertreiben.

Cheney stellte heraus, dass der Sturm aufs Kapitol nur durch Zufall nicht in einem Staatsstreich geendet ist. "Unsere Institutionen halten nur, wenn Männer und Frauen guten Glauben dies gewährleisten”, sagte Cheney rückblickend, "ungeachtet der politischen Kosten. Wir haben keine Garantie, dass diese Männer und Frauen beim nächsten Mal zur Verfügung stehen.” Gemeint war die nächste Präsidentschaftswahl 2024.

Die zuletzt von ihrer Partei und den Wählern in ihrem Heimatbundesstaat Wyoming abgestrafte Politikerin warb indirekt dafür, Trump persönlich strafrechtlich verfolgen zu lassen. Cheney: "Wir können nicht nur die Fußsoldaten belangen.”

Secret Service: "Ihr Plan ist es, wirklich Menschen zu töten”

Besonders verwerflich aus Sicht des Abgeordneten Adam Schiff: Laut Secret Service gab es weit vor dem 6. Januar 2021 viele geheimdienstliche Hinweise auf bewaffnete Demonstranten, bevorstehende Gewalt und eine geplante Invasion des Kapitols. Auslöser?Der direkte Aufruf Trumps an seine Anhänger, nach Washington zu kommen und dort "wie der Teufel zu kämpfen” - und so zu verhindern, dass der Wahlsieg Bidens formal im Kongress bestätigt wird.

"Ihr Plan ist es, wirklich Menschen zu töten”, schrieb ein Agent des Secret Service kurz nach Weihnachten 2020 an die interne Hierarchie über das Geraune in rechtsradikalen Trump-Kreisen, "bitte nehmt diesen Hinweis ernst und ermittelt weiter.”

Wird der Ausschuss strafrechtliche Ermittlungen empfehlen?

Bei dem Angriff auf die Herzkammer der amerikanischen Demokratie wurden 140 Beamte der Kapitols-Polizei teils schwer verletzt. Es gab mehrere Tote, darunter auch eine Demonstrantin.

Über 880 Aufrührer wurden verhaftet und angeklagt. Es gibt bisher 400 Schuldeingeständnisse; auch von Kadern rechtsradikaler Milizen wie den "Oath Keepers” und den "Proud Boys”. Die verhängten Gefängnisstrafen betragen bis zu zehn Jahren.

Die Sitzung des von Trump als "Hexenjagd der Demokraten” abqualifizierten U-Ausschusses fand zu einem heiklen Zeitpunkt statt. In knapp drei Wochen sind Kongresswahlen. Erringen die Republikaner im Repräsentantenhaus die Mehrheit, wie Umfragen nahelegen, wird dieser Untersuchung-Ausschuss höchstwahrscheinlich im Januar aufgelöst. Vorher will das Gremium einen umfassenden Abschlussbericht vorlegen. Samt Handlungs-Empfehlungen für das Parlament, "damit sich der 6. Januar 2021 niemals wiederholen kann”.

Offen blieb einstweilen, ob der U-Ausschuss dem dafür zuständigen Justizministerium offiziell empfehlen wird, strafrechtlich gegen Trump vorzugehen. Es wäre eine Premiere in der über 240-jährigen Geschichte der Vereinigten Staaten. Minister Merrick Garland hat sich offiziell noch nicht erklärt, aber mehrfach betont: "Niemand in den USA steht über dem Gesetz."

Ein Rückschlag erlitt Trump auch im Streit um in seiner Villa beschlagnahmte offizielle Dokumente. Der Supreme Court lehnte seinen Antrag ab, sich in den Fall einzuschalten, wie das Gericht mitteilte. Konkret ging es um die Frage, ob ein Sondergutachter Zugriff auf rund hundert in Trumps Luxusanwesen Mar-a-Lago im Bundesstaat Florida beschlagnahmte Geheimdokumente erhält.

Ermittler der Bundespolizei FBI hatten Mar-a-Lago am 8. August durchsucht und tausende Dokumente beschlagnahmt. Dabei handelt es sich um Papiere, die Trump zum Ende seiner Amtszeit aus dem Weißen Haus mit nach Mar-a-Lago genommen hatte, obwohl scheidende Präsidenten alle offiziellen Unterlagen dem Nationalarchiv übergeben müssen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de