Washington. Das erzkonservative US-Umfrageninstitut Rasmussen liefert Präsident Biden Zahlen, die von einer politischen Wiederauferstehung künden.

Lagen die Zustimmungswerte von US-Präsident Joe Biden vor einem Monat noch im prekären Bereich von 36 Prozent, so rangiert der Demokrat aktuell bei 47 Prozent; Tendenz steigend. Weil auch die Demokraten als Regierungspartei deutlich besser dastehen als zu Beginn des Sommers, sind die Chancen für eine "rote Welle", sprich einen Kantersieg der Republikaner bei den Zwischenwahlen zum Kongress im Herbst, bei den Buchmachern drastisch gesunken.

Dass die "Grand Old Party" das Repräsentantenhaus und auch den Senat zurückerobern würden, galt bis vor Kurzem als Gewissheit bei Washingtoner Steh-Empfängen. Zu sehr hätten Inflation, Tankstellen-Preise und innerdemokratische Selbstblockaden an der Reputation der Demokraten und des Weißen Hauses genagt, hieß es allenthalben.

Joe Biden legt in Umfragen zu – Demokraten wittern Chancen bei Zwischenwahlen

Die Vorab-Siegesbekundungen für die "Grand Old Party" sind nahezu verstummt. Konservative Medien wie das "Wall Street Journal" warnen vor einem bösen Erwachen, wenn am 8. November die Stimmen ausgezählt werden. Die Faustregel, wonach die Partei des Präsidenten bei den "Midterms" abgewatscht wird, drohe nicht mehr zu ziehen.

Der Wetterumschwung folgt - neben den jüngsten semi-kriminellen Dokumenten-Versteckspielen Trumps mit dem FBI - politischen Meteorologen nach zu urteilen einer Reihe von Errungenschaften, die sich Biden und die Demokraten durchaus ans Revers heften können: das (obwohl abgespeckte) mit rund 440 Milliarden US-Dollar immer noch historisch größte Konjunkturpaket für Soziales und Klimaschutz in der US-Geschichte, ein staatliches 280 Milliarden-Dollar-Programm zur Fertigung von Halbleitern in den USA, um der Abhängigkeit asiatischer Hersteller zu entgehen. Dazu seit Wochen sinkende Benzinpreise und außenpolitische Fleißkärtchen wie die Liquidierung des Osama Bin-Laden-Erben Aiman al-Sawahiri.

Investition in Umwelt und Soziales fruchten – "Midterms" wieder umkämpft

Auch das frischeste Beispiel für Biden'schen Tatendrang könnte aus Sicht von Analysten die Wahl im November zugunsten der Demokraten beeinflussen: Ein Schuldenerlass für Ex-Studenten, die ihre Hochschulausbildung via bundesstaatliche Kredite auf Pump finanziert haben. Zwischen 10.000 und 20.000 Dollar werden ihnen gestundet, hat Biden am Mittwoch verkündet, sofern ein Jahreseinkommen von 125.000 Dollar (bzw. 250.000 Dollar für Verheiratete) nicht überschritten wird. Potenzielle Profiteure? Rund 30 Millionen Amerikaner/-innen.

Nach Hochrechnungen diverser Institute verzichtet der Fiskus damit auf Summen zwischen 300 Milliarden und 600 Milliarden Dollar. "Sozialistische Beglückung, um jüngere Wähler an die Urnen zu locken", geifern die Republikaner. Und drohen mit Klagen, weil Biden das Ding auf dem Verordnungsweg allein durchgezogen hat. Der Kongress blieb bisher außen vor.

Der Mythos Donald Trump bröckelt – Interne Kämpfe lähmen Republikaner

Dort wurden zuletzt von höchster republikanischer Stelle Zweifel an der eigenen Eignung laut. Der von Donald Trump gehasste mächtigste Mann im Senat, Mitch McConnell, sagte kaum verklausuliert, dass es seiner Partei schlicht an Kandidaten von allgemein gut vermittelbarem Format fehlt, um im "Oberhaus" zur bestimmenden Kraft zu werden.

McConnells diplomatisch formulierte Invektive zielte auf Dutzende radikal-extreme "Trumpisten", die der frühere Präsident persönlich gefördert hat, weil sie seine Lüge vom Wahlbetrug 2020, mit der Trump täglich hausieren geht, in ihr Wahlprogramm integriert haben.

Urteil über Abtreibungen fällt Konservativen auf die Füße

Dazu zählen Leute wie Dr. Mehmet Oz. Der ehemalige Fernseh-Quacksalber will mit irrlichternden Ansichten für Pennsylvania in den Senat einziehen. Sein demokratischer Widersacher John Fetterman, der noch an den Folgen eines Schlaganfalls laboriert, rangiert deutlich vor Oz. Was Trump zunehmend verdrießlich stimmt. Der Mann verachtet Verlierer.

Wie ein Mühlstein am Hals hängt den Republikanern zudem der anfänglich fast flächendeckende parteiinterne Jubel über das Supreme-Court-Urteil zum Dauerbrenner Abtreibung.
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Weil konstant über 65 % der Amerikaner ein landesweit einheitlich-verlässliches Vorgehen bei der Frage von Schwangerschaftsabbrüchen für sinnvoll erachten, geraten etliche GOP-Kandidaten, die de facto einem Total-Verbot von Abtreibungen das Wort reden, ins Schleudern. Zuletzt nahm selbst Top-Leute wie Florida-Gouverneur Ron DeSantis das Wort "abortion" gar nicht mehr in den Mund. Im Bundesstaat New York hat am Mittwoch der Abtreibungsbefürworter Pat Ryan bei einer Nachwahl gar einen für die Republikaner bislang sicheren Wahlbezirk für die Demokraten erobert.

Tritt Joe Biden zur Wiederwahl an? Wahlsieg im Kongress zum 80. Geburtstag in Sicht

Für Joe Biden sind die frischen Hoffnungsschimmer aus den Umfragen potenziell existenzentscheidend. Bleibt der große Durchmarsch der "Reps" im November aus, behalten die "Dems" etwa im Senat das Heft des Handels in der Hand, könnte sich der im November die Demarkationslinie des 80. Lebensjahrs überschreitende Senior veranlasst sehen, kurz danach seine Wiederwahlkampagne für 2024 zu starten - obwohl eine Mehrheit im demokratischen Wählerlager ihn für entschieden zu alt hält und nach einer Frischzellenkur verlangt.

Bidens Argument von 2020, er sei ein Einmal-Bollwerk gegen Trump und ein Mann des Übergangs, ist ohnehin verstummt. Der langjährige Senator hält sich, darin bestätigt von Demoskopen und Meinungsbildnern, für den einzigen Mann auf der großen Bühne, der auch in 2024 wieder eine zahlenmäßig hinreichende Anti-Trump-Allianz an die Wahlurnen bringen könnte. Ob es so kommt, steht dahin. Umfragen sind flüchtig, betonen Analysten. "Bis November können Biden und die Demokraten ihre Zugewinne auch schnell wieder abgeben."

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.