Berlin. Die Sorgen der Bürger wegen der Energiepreise sind groß, wie eine Umfrage zeigt. Die Koalition will bald neue Entlastungen beschließen.

Das Ende des Sommers in Deutschland wird von großen Sorgen überschattet: Gibt es im Winter ausreichend Gas zum Heizen? Lässt sich eine warme Wohnung angesichts der dramatischen Preissteigerungen überhaupt noch bezahlen?

Eine exklusive Umfrage des Forschungsinstituts Civey für unsere Redaktion zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger beunruhigt auf die kommenden Monate blicken. Von der Bundesregierung erhoffen sie sich weitere Entlastungen – doch am politischen Krisenmanagement gibt es große Zweifel. Weitere Entlastungen will die Ampel-Koalition in Kürze beschließen.

Gefragt nach der aktuell größten Sorge angesichts der steigenden Energiepreise gaben 61 Prozent der Teilnehmer an, dass sie fehlende politische Lösungen befürchten. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) fürchtet mögliche gesellschaftliche Konflikte. Große Sorgen machen sich viele Menschen auch um ihre persönliche Situation: 44 Prozent befürchten finanzielle Engpässe, 28 Prozent befürchten, dass sie im Winter nicht heizen können. Acht Prozent der Bürger macht sich Sorgen, auf Konsum verzichten zu müssen.

Inflation und Gaskrise lösen Sorgen aus

Die Preise für Sprit, Gas, aber auch Lebensmittel sind auch als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stark gestiegen, weitere Preissteigerungen besonders für Energie sind zu befürchten. Die Inflation lag im Juli bei 7,5 Prozent. Die Energiepreise lagen im vergangenen Monat sogar 35,7 Prozent höher als im Vorjahresmonat.

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Vor dem Herbst und Winter wird zudem befürchtet, dass Russland wegen der Unterstützung Deutschlands für die Ukraine seine Gaslieferungen massiv drosseln oder ganz einschränken könnte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verspricht weitere Entlastungen, die auch Rentnern helfen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verspricht weitere Entlastungen, die auch Rentnern helfen. © Getty Images | Pool

Die Bundesregierung bemüht sich daher darum, vor dem Winter die Gasspeicher zu füllen – und ruft die Bevölkerung zum Energiesparen auf. Mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger handelt entsprechend: 56 Prozent der Umfrageteilnehmer gaben an, ihren Energieverbrauch bereits zu verringern.

Viele Menschen sparen aber als Reaktion auf die hohen Energiepreise auch an anderen Stellen. Fast vier von zehn Bürgern (37 Prozent) schränken sich bei Freizeitaktivitäten ein, dazu zählen auch Ausgaben für den Urlaub. Ein Drittel schiebt große Investitionen wie etwa den Kauf eines Autos auf.

Entlastungen: Was plant die Bundesregierung?

Jeweils rund ein Fünftel der Menschen spart beim Einkauf von Lebensmitteln wie Brot oder Gemüse sowie beim Kauf von Genussmitteln wie Kaffee. Ihre Ausgaben für Spenden reduzieren 29 Prozent, für Geschenke geben 21 Prozent der Umfrage zufolge weniger aus. Es gaben aber auch 18 Prozent an, sich wegen der steigenden Energiepreise bisher nicht anders zu verhalten.

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Als Reaktion auf die dramatischen Preissteigerungen hatte die Bundesregierung zwei Entlastungspakete beschlossen, das erste bereits kurz vor Kriegsbeginn vor einem halben Jahr. Darin enthalten waren etwa verschiedene Einmalzahlungen, Steuersenkungen, Extrazahlungen für Familien mit Kindern sowie der bis Ende August befristete Tankrabatt und das ebenfalls am Monatsende auslaufende 9-Euro-Ticket.

Beide Pakete summieren sich auf etwa 30 Milliarden Euro. Da ein Ende der Belastungen durch die hohen Preissteigerungen derzeit nicht abzusehen ist, arbeitet die Koalition derzeit an einem dritten Paket.

„Viele Menschen machen sich jetzt schon Sorgen, wie sie im Herbst und Winter ihre Rechnungen bezahlen sollen“, sagte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang unserer Redaktion. Gleichzeitig drohe Russlands Staatschef Wladimir Putin wieder mit einem Pausieren der Gaslieferungen. „Umso wichtiger ist, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen und dass wir die unterstützen, die die Preissteigerungen besonders deutlich spüren.“ Bisher sind die Pläne der Regierung aber unklar.

Ein Drittel der Bürger wünscht sich eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets.
Ein Drittel der Bürger wünscht sich eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets. © dpa | Boris Roessler

Steuersenkungen: Die Hälfte der Bürger ist dafür

Die Hälfte der Bürger fordert laut der Civey-Umfrage für unsere Redaktion weitere Steuersenkungen. Jeweils rund ein Drittel wünscht sich eine Ausweitung der Sozialleistungen und eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets. Für die Fortführung des Tankrabatts sprechen sich 29 Prozent der Bürgerinnen und Bürger aus, weitere Einmalzahlungen fordern 27 Prozent. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale befürworten 22 Prozent der Bevölkerung.

Sozialverbände kritisieren, dass etwa Rentner zu wenig von den bisherigen Entlastungen profitiert hätten. Sie fordern wegen der zu erwartenden Preissteigerungen für Gas zudem schnelle und direkte Hilfen für Geringverdiener. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach nun: „Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir sicherstellen, dass alle unterstützt werden, die Unterstützung brauchen.“

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SPD-Chef Lars Klingbeil kündigt „pragmatische Lösungen“ an, mit denen „vor allem kleine und mittlere Einkommen“ in den Blick genommen werden sollen. „Auch Rentnerinnen und Rentner und Studierende müssen davon profitieren“, sagte Klingbeil unserer Redaktion. Der SPD-Vorsitzende nennt Veränderungen beim Wohngeld und „weitere Einmalzahlungen, die schnell helfen“.

Bürgergeld soll Hartz-IV ablösen

Die Koalition will ab Beginn des kommenden Jahres mehr Menschen das Wohngeld zahlen. Das Wohngeld ist ein Mietzuschuss vom Staat für Menschen, die sehr wenig verdienen, aber sonst keine Sozialleistungen beziehen, die Wohnkosten bereits berücksichtigen. Mit dem neuen Bürgergeld will die Koalition ebenfalls ab Jahreswechsel das bisherige Hartz-IV-System ablösen – und nach dem Willen von SPD und Grünen die Zahlungen deutlich aufstocken.

Das lehnt die FDP bisher ab. Zu den von Klingbeil in Aussicht gestellten Einmalzahlungen sagt FDP-Fraktionschef Christian Dürr unserer Redaktion: „Weitere Einmalzahlungen helfen nur bedingt.“

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Die Partei von Bundesfinanzminister Christian Lindner setzt vor allem auf steuerliche Entlastungen. Dies bedeute: „Der Staat nimmt weniger. Nicht: Er nimmt viel und verteilt dann“, sagt Dürr und verweist auf Lindners Pläne für Steuersenkungen: „Gehaltserhöhungen, die allein die Folgen der Inflation ausgleichen, dürfen nicht zu einer höheren Besteuerung führen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) setzt auf Steuersenkungen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) setzt auf Steuersenkungen. © dpa | Fabian Sommer

Der FDP-Politiker fordert: „Wir müssen an die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft denken.“

9-Euro-Ticket: Keine bundesweite Anschlusslösung

Absehbar ist, dass es nach Ende August zumindest keine bundesweite Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket geben wird. Auch der Tankrabatt in seiner bisherigen Form wird auslaufen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert deutete in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ aber weitere Hilfen für Pendler an.

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SPD-Chef Klingbeil hofft trotz des Widerstandes der FDP weiterhin auf die Einführung einer Übergewinnsteuer: „Zufallsgewinne von großen Unternehmen können wir an die Menschen mit 1500, 2000 oder 3000 Euro Einkommen umverteilen.“

In Kürze könnten die Pläne der Koalition klarer werden. „In wenigen Tagen wird das neue Entlastungspaket auf dem Tisch liegen“, zeigte sich Kühnert zuversichtlich. Grünen-Chefin Lang kündigte an, das dritte Paket werde „zeitnah“ kommen. Scholz und seine Ministerinnen und Minister beraten am Dienstag und Mittwoch in einer Kabinettsklausur miteinander. Ob dann das neue Paket bereits steht, ist nach Angaben aus der Koalition aber unsicher. Noch sei viel im Fluss, heißt es.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt