Hannover. Niedersachsens Ministerpräsident Weil hat klare Forderungen an die Ampel-Koalition in Berlin: Neue Entlastungen müssten schnell kommen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist im Wahlkampf. Am 9. Oktober will der SPD-Politiker im Amt bestätigt werden. Von den Menschen hört er vor allem eine Sorge: Die hohen Energiepreise. Im Interview spricht Weil darüber, welche Entlastungen er von der Regierung in Berlin fordert.

Herr Weil, die Koalition hat weitere Entlastungen versprochen. Wie sollten die aussehen?

Stephan Weil: Das dritte Entlastungspaket muss den Schwerpunkt legen auf die Unterstützung von Menschen mit kleinen Einkommen. Die bisherigen Entlastungen mit dem sehr beachtlichen Volumen von 30 Milliarden Euro helfen bestimmten Gruppen gut, etwa Familien mit Kindern. Aber bei Geringverdienenden ist die Wirkung unterdurchschnittlich. Das kann nicht so bleiben. Wer ohnehin gerade mal so eben mit seinem Geld auskommt, kann die enormen Preissteigerungen alleine nicht stemmen.

Wie wollen Sie Geringverdienern helfen?

Weil: Für die mittlere Perspektive ist es gut, dass die Koalition mehr Menschen mit Wohngeld unterstützen will. Denn diese Sozialleistung dient dazu, dass auch bei kleinem Einkommen die Wohnung bezahlt werden kann einschließlich der Heizung. Aber: Würde das im normalen Verwaltungsverfahren umgesetzt, käme diese Hilfe für viele Millionen Menschen zu spät. Es könnten Monate vergehen, bis sie dann eines Tages ihre Entlastung auf dem Konto sehen. Meine klare Erwartung ist eine pragmatische und unbürokratische Lösung.

Und sonst?

Weil: Die Wohngeldreform soll zum 1. Januar kommen - schon das ist ein ambitionierter Zeitplan. Wir brauchen in der Übergangszeit dringend erneute Einmalzahlungen für Geringverdienende, insbesondere für Rentnerinnen und Rentner. Die Menschen erwarten rasche Antworten auf ihre immer größer werdenden Sorgen. Der Kanzler hat gesagt, dass keiner allein gelassen werde. Das ist die richtige Ansage, die nun durch Taten konkretisiert werden muss. Die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Gas auf 7 Prozent war ein wichtiger weiterer Schritt. Jetzt müssen noch gezielte Unterstützungsmaßnahmen für diejenigen folgen, die keinen eigenen finanziellen Puffer haben.

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Gasknappheit und dramatisch hohe Energiepreise: Fürchten Sie um die Stimmung im Land?

Weil: Die Menschen in Niedersachsen blicken mit Sorge, aber mit kühlem Kopf auf die Lage. Natürlich muss man dazu sagen, dass die meisten ihre Bescheide von den Stadtwerken über höhere Abschläge oder hohe Nachzahlungen noch nicht bekommen haben. Das wird erst in den nächsten Monaten der Fall sein. Ich möchte aber verhindern, dass hohe Rechnungen bei den besonders stark Betroffenen zu Panik führen. Sie müssen möglichst schnell wissen, dass und wie ihnen geholfen wird.

Stephan Weil ist seit 2013 Niedersächsischer Ministerpräsident.
Stephan Weil ist seit 2013 Niedersächsischer Ministerpräsident. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Das Szenario von Volksaufständen sehen Sie nicht?

Weil: Nein. Viele Menschen machen sich sehr ernsthafte persönliche Sorgen und sie haben auch allen Grund dazu. Die Menschen nehmen aber auch wahr, dass die Preissteigerungen ein internationales und kein deutsches Problem und dass die Ursache primär in dem russischen Angriff auf die Ukraine liegt.

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Kanzler Scholz will 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten. Eine Steuer auf Krisengewinne großer Konzerne lehnt er ab. Sie sind in beiden Punkten anderer Meinung, ist der Kanzler auf einem falschen Weg?

Weil: In der Bankenkrise haben wir gut daran getan, einen Staat zu haben, der massiv interveniert. Dieselbe Erfahrung haben wir in der Pandemie gemacht. Da hatten Experten eine Insolvenzwelle fest vorhergesagt. Diese Insolvenzwelle ist nicht eingetreten, weil der Staat aktiv und stark gewesen ist. Die Situation jetzt ist noch viel schwieriger als in der Pandemie. Mir berichten die Stadtwerke, dass sie sich ernste Sorgen machen, in sehr schwieriges Fahrwasser zu geraten. Sie brauchen Sicherheit und Bürgschaften ihrer Banken, um sehr teure Energie einzukaufen. Die Banken fragen wiederum, wo sie die Sicherheit herbekommen. Ich bin mir sehr sicher, dass wir einen staatlichen Schutzschirm nicht nur für Stadtwerke, sondern insgesamt für die Energiewirtschaft brauchen.

Was heißt das für die Schuldenbremse?

Weil: Ich bin der festen Überzeugung, dass über kurz oder lang auch in Berlin die Einsicht da sein wird: Wir müssen handeln. Niemand nimmt gerne Kredite auf. Ich sehe darin auch kein Allheilmittel. Aber ich mag mir nicht vorstellen, dass wir das nächste Jahr erleben ohne einen Staat, der – so wie wir das in Deutschland gewohnt sind – Verantwortung übernimmt. Olaf Scholz hat als Arbeitsminister eine herausragende Rolle in der Bankenkrise gehabt. Er war Finanzminister in der Pandemie und das Wort von der „Bazooka“ ist noch in guter Erinnerung. Deswegen bin ich guten Mutes, dass er als Kanzler auch entsprechend handelt.

Betrifft das auch eine Übergewinnsteuer?

Weil: Mir kommt es vor allem darauf an, dass wir etwas tun. Wenn die Regierung keine Übergewinnsteuer will, steigt der Druck in der Frage der Schuldenbremse umso mehr. Aber mit mir kann man auch gut über eine Übergewinnsteuer sprechen.

Das 9-Euro-Ticket läuft am Monatsende aus. Finanzminister Lindner sagt, er will eine Nachfolgelösung nicht bezahlen.

Weil: Die Länder können es nicht bezahlen. Eine Fortführung würde Niedersachsen eine Milliarde Euro im Jahr kosten. Das Geld haben wir nicht. Das wusste der Bund vor dem Start des 9-Euro-Tickets. Insofern ist das jetzt ein Problem mit Ansage. Der Bund ist finanziell in der Pflicht, wenn es um eine Nachfolgelösung geht. Mein Vorschlag: Schüler und Auszubildende sollten für 30 Euro im Monat überall fahren können. Eine gute Idee ist auch, dass Ehrenamtliche stark vergünstigte Tickets bekommen. Das wären die ersten beiden Schritte, die mir vorschweben. Die Popularität des Tickets ist aber nicht nur auf den Preis zurückzuführen, sondern auch darauf, dass es Schluss macht mit dem Tarifdschungel. Da müssen wir dranbleiben.

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Welchen Umgang empfehlen Sie Ihrer Partei mit Gerhard Schröder?

Weil: Die SPD hat eine ganz klare Position zum Krieg in der Ukraine: Dieser Angriffskrieg ist ein Verbrechen. Alles andere als Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und eine scharfe Kritik an Wladimir Putin kann es nicht geben. Es tut mir wirklich leid, dass Gerhard Schröder, der Deutschland vor dem ungerechten Irak-Krieg bewahrt hat, den ungerechten Krieg gegen die Ukraine nicht mit dieser Klarheit kritisiert. Wenn Gerd Schröder sagt, der Krieg sei ein Fehler, dann ist das einfach eine Verniedlichung. Fehler machen wir alle jeden Tag, aber dabei sterben keine Menschen. Gerd Schröder ist mit seiner Haltung in der SPD vollkommen isoliert.

Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler und SPD-Chef.
Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler und SPD-Chef. © dpa | Kay Nietfeld

Auf Bundesebene liegt die SPD in Umfragen unter 20 Prozent. Was heißt das für Ihren Wahlkampf?

Weil: Ich hatte noch nie einen Wahlkampf, bei dem ich Rückenwind aus Berlin hatte. Das war 2013 so und 2017 auch. Zur Lage jetzt: Wir hatten noch nie eine Bundesregierung, die gleichzeitig mit einer solchen Konzentration von Krisen konfrontiert gewesen ist, wie die jetzige Bundesregierung. Dass sich Kritik dann auch an der SPD als größter Regierungspartei festmacht, ist nur allzu natürlich. Die richtige Schlussfolgerung muss sein, dass wir bei den Entlastungen eine klare Politik machen: Die SPD ist die Partei, die für Menschen mit kleinem Geldbeutel da ist. Das müssen wir jetzt beweisen.

Wie beurteilen Sie die Vorschläge der Ampel-Koalition für die Corona-Regeln im Winter?

Weil: Im Großen und Ganzen kann ich da mitgehen. Es gibt einzelne Details, über die wir reden müssen. Ich halte es nicht für klug, dass eine Impfung drei Monate lang dazu berechtigen soll, Veranstaltungen ohne Maske und ohne aktuellen Test zu besuchen. Da brauchen wir eine praktikable und sinnvollere Regelung. Ich finde, alle sollten sich vor dem Besuch von Veranstaltungen testen – ob geimpft oder nicht. Sonst diskutieren wir darüber, warum sich jemand drei Monate und eine Woche nach der letzten Impfung testen lassen muss, der andere nur drei Monate nach der Impfung aber nicht. Das müssen wir frühzeitig ausräumen. Das würde sonst Gegenstand von Gerichtsverfahren. Und eine Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger können wir nicht gebrauchen.

Nicht nur die Bundesregierungen gehen ja durch einen Krisenmarathon, Sie sind sogar seit 2013 im Amt. In Ihrer zweiten Amtszeit kamen erst Corona, dann der Ukraine-Krieg und die Energiekrise. Die Rede war ja oft von einem „Weckruf“, durch Corona beispielsweise zur Digitalisierung der Schulen oder für ein besser ausgestattetes öffentliches Gesundheitswesen. Bei den Schulen scheint es immer noch mächtig zu haken, und die Gesundheitsämter sind vermutlich auch nicht gerade überbesetzt. Warum dauert das alles so lange, wie zufrieden sind Sie?

Weil: Zur Digitalisierung an Schulen haben wir 2019 den sogenannten Digitalpakt beschlossen. Danach steht für Niedersachsen über eine halbe Milliarde Euro an Investitionsmitteln für Digitalisierung an Schulen zur Verfügung. Ich muss nüchtern feststellen: Zweieinhalb Jahre später ist davon etwa die Hälfte abgeflossen. Die andere Hälfte eben nicht. Das kann niemanden zufrieden stellen. Ich höre auch keine überzeugende Antwort der kommunalen Schulträger, warum das so ist.

Weil die bürokratischen Hürden des Verfahrens hoch sind, heißt es, weil erstmal Medienkonzepte erarbeitet werden müssen…

Weil: Dem kann ich guten Gewissens widersprechen. Da werden keine Bibliotheken verlangt, sondern ein Stück Papier oder eine Datei mit den Schwerpunkten, die gesetzt werden sollen und mit einer Beschreibung, wie man vorgehen möchte. Gemeinden mit wenigen Verwaltungskräften sind in der Lage, ihre Mittel vollständig abzurufen. Es ist ein niedrigschwelliges Verfahren. Ich hoffe sehr, dass sich das zunehmend auflöst. Ich werbe überall, wo ich im Land unterwegs bin, dafür, endlich diese Mittel abzurufen und die Schulen mit W-Lan, Breitband et cetera auszustatten.

Auch das Thema Lehrermangel könnte Ihnen im Wahlkampf auf die Füße fallen. Grund-, Haupt- und Realschullehrer, die besonders fehlen, hätten Sie als Land bereits seit 2013 besser bezahlen können. Nun ist das ein großes Wahlversprechen – nicht nur der SPD.

Weil: Wir haben das in der Landesregierung diskutiert. Es hat sich nicht durchsetzen lassen, insbesondere mit Blick auf die reale Finanzlage. Ich hätte es gerne bereits eingeführt. Das gehört zu den vordringlichen Maßnahmen der nächsten Legislaturperiode.

Was wird noch im Mittelpunkt der nächsten Wahlperiode stehen?

Weil: Wir haben aktuell das Thema Energiepreise und Energieversorgungssicherheit. Beim letzteren Punkt spielt Niedersachsen eine herausragende Rolle. Wenn wir in Deutschland sehr schnell Flüssiggas importieren wollen, wird das nur über niedersächsische Häfen gelingen. Daran arbeiten wir mit hohem Druck. Im Kampf gegen den Klimawandel sind wir in der norddeutschen Tiefebene schon sehr weit gekommen. Niedersachsen ist bereits jetzt das Land der Windenergie und wir können diesen Rang noch einmal erheblich ausbauen. Wir werden das Land sein, dass in Deutschland mit Abstand am meisten erneuerbare Energie produziert. Das bietet die Chance, die eigene Wirtschaftskraft nochmal deutlich zu stärken, gerade in strukturschwachen Gegenden. Die Digitalisierung, auch im Bildungswesen, wird weitergehen. Und wir werden mehr investieren, vor allem in den sozialen Wohnungsbau, auch in Krankenhäuser.

Die SPD steht in Umfragen in Niedersachsen noch ganz gut da. Der Abstand zur CDU wird allerdings kleiner. In der SPD fürchtet man offenbar, dass Wahlkreise etwa in Hannover mit Erststimmenmehrheit an die Grünen fallen könnten.

Weil: Ich habe nie gedacht, dass die Wahl ein Selbstläufer wird. Ich bin aber gerade täglich rauf und runter unterwegs im Land unterwegs und habe gute Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern.

Sie haben jüngst mehrere Kabinettskollegen enthusiastisch gelobt: Olaf Lies, Boris Pistorius, Daniela Behrens. Trotzdem treten Sie ein drittes Mal zur Wahl an. Soll heißen: so gut wie ich kann’s halt doch kein anderer?

Weil: Ich bin weit entfernt davon, mich für eine Soloveranstaltung der niedersächsischen SPD zu halten. Wir haben ein sehr leistungsfähiges Team. Die gemeinsame Analyse in der niedersächsischen SPD war , dass es gut ist, wenn ich ein weiteres Mal vorweg gehe. Aber eben als Teil eines starken Teams.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Bernd Althusmann? Die CDU schließt eine „GroKo II“ unter CDU Führung nach der Wahl nicht aus.

Weil: Nach wir vor gut. Wir arbeiten vernünftig zusammen. Wir waren vom ersten Tag an bekennende Konkurrenten, er will meinen Job haben, ich möchte meinen Job behalten. Das prägt natürlich auch die Zusammenarbeit, aber nicht so, dass die Arbeit darunter leidet. Aber mit einer GroKo unter CDU Führung habe ich mich wirklich noch nicht beschäftigt (lacht).