Braunschweig. Der Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade betont: In vielen Betrieben fehlen zunehmend Fachkräfte.

Um im Wettbewerb um Fachkräfte mithalten zu können, macht sich Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, für attraktivere Arbeitsbedingungen im Handwerk stark. Dazu gehörten flexiblere Arbeitszeiten, sagte Bade im Interview mit unserer Zeitung. Zugleich forderte er eine Stärkung der Berufsbildung in den Schulen.

Herr Bade, wie geht es dem Handwerk in unserer Region?

Unsere jüngste Konjunkturumfrage hat gezeigt, dass das Handwerk insgesamt noch stabil und positiv dasteht. Allerdings trübt sich die Stimmung in vielen Betrieben ein, weil unsere Handwerker nicht mehr so positiv in die Zukunft gucken.

Weil die Auftragslage schlechter wird?

Ja, aber auch, weil viele Aufträge nicht zeitnah abgearbeitet werden können. Das liegt am Fachkräftemangel. Insgesamt nimmt in den Betrieben die Sorge zu, wie es künftig weitergehen soll.

Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, im Interview mit unserer Zeitung.
Detlef Bade, Präsident der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, im Interview mit unserer Zeitung. © FMN | Bernward Comes

Für welche Gewerke trifft dies besonders zu?

An erster Stelle für das Bauhandwerk. Es fehlen die Aufträge für Neubauten. Derzeit registrieren wir eine große Investitionszurückhaltung.

Von großen Bauträgern oder auch von privaten?

Das gilt sowohl für große Bauträger, die wegen der Preissteigerungen nicht wissen, wie und ob sie große Bauvorhaben so zu Ende führen können, wie sie es kalkuliert haben. Das gilt aber auch für private Bauherren. Junge Menschen, die sich vor wenigen Jahren noch ein Einfamilienhaus leisten konnten, stehen nun ebenfalls wegen der Preissteigerungen vor der Frage, wie sie ihren Lebensstandard halten können. Wegen der Zinsen, der hohen Bau- und Energiekosten sind sie unsicher, ob sie ein Eigenheim bezahlen können. Wir bemerken auch eine starke Zurückhaltung bei den Banken, die solche Projekte finanzieren. Sie verlangen von ihren Kunden eine viel höhere Eigenkapitalquote. Alle warten auf eine Zinssenkung, die ja auch diskutiert wird.

Was müsste geschehen, um die Lage im Bauhandwerk zu verbessern?

Ganz wichtig wäre eine sichere Energieversorgung zu sicheren Preisen. Die Unsicherheit ist groß: Was wird Energie in den nächsten Jahren kosten, wie entwickeln sich die Preise? Eine stabile Preislage würde die Unsicherheit beseitigen und die Investitionsbereitschaft erhöhen. Ein zweiter Punkt ist der bürokratische Aufwand. Wir sind froh, dass die niedersächsische Landesregierung die Bauordnung vereinfachen will. Das bietet die Chance, die Baukonjunktur anzukurbeln.

In welchen Bereichen läuft es noch gut?

Überall dort, wo es um Energie geht: Klima, Elektro, Dämmung. Dort stellen wir auch ein stärkeres Interesse von Fachkräften fest. Junge Menschen sagen: Da kann ich etwas für die Energiewende tun, deshalb könnte dieser Beruf etwas für mich sein. Die Betriebe wissen oft nicht, wie sie die Aufträge bewältigen sollen.

Stichwort Fachkräfte: Wie sind die Bewerberzahlen in anderen Gewerken?

Schwierig ist es immer noch in den Lebensmittel-Handwerken und auch in den körpernahen Dienstleistungen. Dazu gehören die Friseure.

Wie wollen Sie gegensteuern?

Das tun wir bereits seit vielen Jahren. Den Fachkräftemangel spürt jede Branche. Alle suchen passende Bewerber und Mitarbeiter. Hinzu kommt, dass junge Menschen heute anders denken als noch vor wenigen Jahren. Sie wollen ihre Leben anders gestalten, haben eine andere Lebenseinstellung. Das müssen wir überein kriegen mit den Anforderungen im Handwerk. Diesem Veränderungsprozess muss sich das Handwerk stellen. Das ist aber nicht einfach. Homeoffice im Handwerk zum Beispiel lässt sich oft nicht umsetzen, weil wir die Aufträge beim Kunden ausführen. Aus diesem Grund muss auch jeder Betrieb selbst entscheiden, inwieweit er beispielsweise die 4-Tage-Woche einführen kann oder nicht. Dennoch gilt, dass die Arbeitsbedingungen im Handwerk attraktiver werden müssen.

Woran denken Sie?

Zum Beispiel an flexiblere Arbeitszeiten. Die biete ich als Betriebsinhaber auch an. Ich beschäftige eine Mutter von zwei Kindern als Meisterin. Sie kann sich ihre Arbeitszeit flexibel einteilen, damit die Familie nicht zu kurz kommt.

Muss auch an der Lohnschraube gedreht werden?

Das müssen die Sozialpartner verhandeln. Aber ich wünsche mir schon, dass die Verbraucher ein Bewusstsein dafür haben, dass eine gute handwerkliche Arbeit ihren Preis hat. Wer eine schöne Frisur haben und leckere Brötchen essen möchte, sollte bereit sein, die entsprechende Lohnsumme zu bezahlen. Wegen des Fachkräftemangels zahlen viele Betriebe aber schon Löhne über dem Tarifniveau, um die Beschäftigten zu halten.

Müsste die Berufsorientierung in den Schulen gestärkt werden, um den Schulabgängern einen besseren Überblick über Ausbildungsberufe zu bieten?

Ja, ich wünsche mir eine wesentliche Ausweitung der Berufsorientierung, das gilt auch ausdrücklich für die Gymnasien. Denkbar wäre auch eine Praktikumsprämie, wie zum Beispiel in Sachsen-Anhalt. Junge Menschen, die in den Ferien ein Praktikum absolvieren, sollten vom Land eine kleine Entlohnung bekommen. Das ist ein guter Ansatz, weil damit die Berufsorientierung gefördert wird. So bekommen die Schülerinnen und Schüler schon vor dem Schulabschluss einen Einblick in Berufe, die sie interessieren. Berufsorientierung sollte sich aber nicht auf die Jugendlichen beschränken. Auch vielen Eltern fehlt der Überblick.

Wird das Handwerk und seine Ausbildung unterschätzt?

Nicht mehr. Wir haben in den letzten Krisen gezeigt, wie stark das Handwerk ist. Wir waren die Stütze in der Coronazeit, wir waren systemrelevant, wir waren in den Wohnungen, als die Menschen sich schützen mussten. Wir bieten den geflüchteten Ukrainern und den Geflüchteten aus anderen Ländern Berufsorientierung und Berufsweiterbildung. Ich glaube, jeder weiß, was das Handwerk leistet.

Wie sind Ihre Erfahrungen bei der Integration von Geflüchteten?

Wir haben insgesamt gute Erfahrung gemacht mit dem System, das wir 2015 bei der ersten Flüchtlingswelle aufgebaut haben. Damals ging es darum, den Menschen zu zeigen, was Handwerk ist, wie es funktioniert. Wir haben Praktika und Sprachkurse angeboten, damit die Menschen in Ausbildung kommen. Das lief nicht ohne Rückschläge, denn insbesondere die Fachsprache war eine große Herausforderung. Mittlerweile haben aber die ersten Geflüchteten ihren Meisterbrief und sich selbständig gemacht. Dieses System greift natürlich auch für Schüler, die keinen Schulabschluss haben. Ihnen wollen wir den Weg auf gleiche Weise bereiten. Das ist eine Zukunftsaufgabe.

Ist das für kleine Betriebe leistbar, die keine eigene Personalabteilung haben?

Das ist sicherlich schwierig, deshalb brauchen wir pädagogische Hilfe. Zugleich gilt, dass die einzelne Person im Kleinstbetrieb wesentlich stärker beachtet wird als in einem großen Betrieb. Das macht es leichter, eine Beziehung aufzubauen.

Wie ist das mit der Frauenquote im Handwerk?

Im Schnitt liegt sie über alle Gewerke hinweg bei 20 Prozent, da ist also noch Luft nach oben. Wir stellen aber fest, dass es eine steigende Zahl von Frauen in Gewerken gibt, in denen es früher gar keine Frauen gab – zum Beispiel Dachdecker und Zimmerer. In den Prüfungen erzielen die Frauen oft gute bis sehr gute Ergebnisse.

Wie wollen Sie die Frauenquote im Handwerk steigern?

Unsere Handwerkskammer hat als erste in Deutschland einen Frauen-Beirat gegründet. Dazu haben wir Fachleute aus unserem Umfeld und außerhalb des Handwerks gesucht. Der Beirat soll identifizieren, welche Hemmnisse es gibt, welche Verbesserungsmöglichkeiten.

Den jungen Menschen wird nachgesagt, weniger leistungsbereit zu sein als frühere Generationen. Teilen Sie diesen Eindruck?

Was wir den jungen Menschen beibringen müssen, ist das Bewusstsein, dass unser Wohlstand erarbeitet ist. Was nicht funktionieren wird, ist die Annahme, dass es mehr Wohlstand mit weniger Arbeit geben wird. Das wird nur gelingen, wenn entsprechend angepackt wird. Das, was Deutschland bislang ausgemacht hat, ist ja sein Fleiß. Der allein wird es aber auch nicht richten.

Sondern?

Wir bräuchten mehr Wirklichkeitsnähe der Bundesregierung. Sie sollte mehr auf die Wirtschaft und die Verbände zugehen und sie mitnehmen. Im Handwerk scheitern viele Betriebsübergaben daran, dass junge Handwerksmeister die e Selbstständigkeit scheuen, weil sie die Bürokratie und auch die Dokumentationen überfordern. Dafür verwenden Betriebsinhaber 25 Prozent ihrer Arbeitszeit. Das ist deutlich zu viel.