Braunschweig. Wenn Mittelständler expandieren wollen: In der IHK Braunschweig informieren in Asien tätige Juristen über die Chancen und Risiken.

Wer als Vertreter der Wirtschaft Asien sagt, meint oft China. Doch die Zeiten wandeln sich. „Asien ist im Umbruch“, sagt Michael Müller. Was er damit meint: Länder wie Indien etwa oder Malaysia werden selbstbewusster, wollen, dass ihre Wirtschaft wächst. Und damit werden sie interessanter nicht nur für große deutsche Unternehmen, sondern auch für deutsche Mittelständler: als Markt, als Produktionsstandort und wegen ihrer Fachkräfte. Müller ist Rechtsanwalt, der seit vielen Jahren in Japan lebt und arbeitet. 2016 hat er mit deutschen Kollegen die Allianz Deutscher Wirtschaftsanwälte in Asien (ADWA) gegründet. Am Dienstag, 19 März, informieren sie in der Industrie- und Handelskammer Braunschweig von 13 bis 18 Uhr über Chancen und Risiken auf asiatischen Märkten.

Warnung vor Alleingängen in Asien

Müller und seine Kollegen, allesamt selbständige Rechtsanwälte, warnen vor Alleingängen, sollten mittelständische Unternehmen die Expansion in ein asiatisches Land erwägen. Dabei geht es ihnen nicht allein um Sprachbarrieren, sondern um die unterschiedlichen Mentalitäten und Rechtssysteme. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Asien, ähnlich wie Europa, Amerika oder Afrika, von Land zu Land sehr unterschiedlich ist. „Mittelständler sollten daher bereits in einem frühen Stadium ihrer Überlegungen Rat einholen“, sagt Müller.

Das gelte zum Beispiel für das Lieferkettengesetz, das viele deutsche Unternehmen ohnehin wegen des aus ihrer Sicht großen bürokratischen Aufwands kritisieren. Das Gesetz gibt für Unternehmen, die mehr als 1000 Menschen beschäftigen, vor, dass auch in internationalen Geschäftsbeziehungen deutsche Standards eingehalten werden, wenn es um Umweltschutz und Menschenrechte geht.

Rechtsanwalt Michael Müller und einige seiner in Asien tätigen Kollegen informieren in der IHK Braunschweig über die Besonderheiten der einzelnen Länder.    
Rechtsanwalt Michael Müller und einige seiner in Asien tätigen Kollegen informieren in der IHK Braunschweig über die Besonderheiten der einzelnen Länder.     © Privat/FMN | Privat

Die Tücken des Lieferkettengesetzes in Asien

Rechtsanwalt Harald Sippel warnt etwa vor Reputationsschäden für deutsche Unternehmen oder Konflikte wegen des Lieferkettengesetzes, wenn sie zu blauäugig vorgingen. Dazu nennt er ein Beispiel aus Malaysia, wo er beruflich tätig ist. So würden viele Menschen aus dem Ausland, etwa Nepal oder Bangladesch, nach Malaysia strömen, um dort Arbeit zu finden. Dafür würden sie sich oft verschulden, um über zwielichtige Angebote in das Land zu kommen – um dann, festzustellen, dass diese Angebote Luftnummern sind.

Ein weiteres Beispiel, das Müller nennt: Die innerasiatischen Handelsverflechtungen würden immer vielschichtiger. So würden zum Beispiel chinesische Lieferanten Vorprodukte aus Ländern wie Vietnam beziehen. Das erschwere die vom Lieferkettengesetz geforderte Nachvollziehbarkeit der Produktionswege.

Asien ist nicht mehr gleich China

Nach Angaben Müllers verschiebt sich der Fokus deutscher mittelständischer Unternehmen, wenn sie eine Expansion nach Asien erwägen. Zwar spiele China immer noch eine große, aber nicht mehr die einzige Rolle. Das liegt nach Einschätzung von Rechtsanwalt Jörg Schendel, der in Indien tätig ist, unter anderem daran, dass der Wunsch der deutschen Unternehmen nach Diversifizierung größer wird.

So bedeuten neue Märkte weniger Abhängigkeit und stehen für neue Wachstumschancen. Daher gilt laut Rechtsanwalt Rainer Burkhardt, der in der chinesischen Millionenmetropole Shanghai tätig ist, zunehmend das Motto: In China für China produzieren, nicht mehr in China für die ganze Welt. Ein Prinzip, dem übrigens auch der Weltkonzern Volkswagen folgt.

In China wird nach wie vor investiert

Gleichwohl sagt Burkhardt, dass deutsche Unternehmen ihre Investitionen in China gegen den Trend erhöhen. So würden zum Beispiel Standorte verlagert, weil die einst neuen Werke auf der grünen Wiese inzwischen von den rasant wachsenden Städten umschlossen würden. Ein nach seinen Worten weiterer Trend: Habe es in der Vergangenheit vor allem Maschinenbauer und Unternehmen rund um die Autoindustrie nach China gezogen, seien es inzwischen Betriebe zum Beispiel aus der Nahrungsmittelindustrie und Medizintechnik.

Galt China in der Vergangenheit aus deutscher Perspektive als Wachstumsparadies, beginnt der Lack so langsam zu blättern. Burkhardt verweist etwa auf Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit und den kriselnden Immobiliensektor. „Die Wirtschaft läuft noch nicht wieder rund“, sagt er.

Wird Indien das neue China?

Zudem erwachsen China auf dem eigenen Kontinent Konkurrenten. Dazu gehört nach Einschätzung Schendels an erster Stelle Indien. Dessen Vorteile: Der Bevölkerungsreichtum verbunden mit Wachstumschancen, ein Richtung Westen orientiertes und damit diplomatisch geschicktes Agieren des Landes und ein an vielen Stellen hohes Bildungsniveau. Wie auch China setzte Indien verstärkt auf die Produktion im eigenen Land. Soll heißen: Wer das Land als neuen Markt erschließen will, sollte idealerweise dort produzieren.

Auch für Indien gilt: Es ist nicht alles Gold,was glänzt. Schendel verweist zum Beispiel auf den beträchtlichen Anteil der Analphabeten. „Von 0 bis 100 ist in Indien alles zu finden“, beschreibt er die Widersprüchlichkeit des Landes.

Juristen: Singapur löst Hongkong ab

Einig sind sich die Juristen in ihrer Einschätzung, dass die Millionenstadt Hongkong ihre Funktion als Brückenkopf verloren hat, wenn es darum geht, dass deutsche Unternehmen in Asien Fuß fassen wollen. Das führen sie auf die chinesische Politik um Umgang mit der einst britischen Kronkolonie zurück.

An die Stelle Hongkongs rücke nun Singapur. Weil aber der Stadtstaat nicht nur für ausländische Investoren interessanter werde, sondern auch von Experten – etwa aus Hongkong – als neues Domizil erkoren werde, explodierten dort die Mieten und Immobilienpreise, berichtet Sippel. „Eine Miete von 5000 Euro für eine Dreizimmerwohnung ist nicht ungewöhnlich“, sagt er. Auch damit müssten sich deutsche Unternehmen befassen, sollten sie den Sprung nach Asien wagen.

Mittelstands-Bund: Asien bleibt interessant

Aber wie sprungbereit sind deutsche Mittelständler in diesen wirtschaftlich angespannten Zeiten? Matthias Bianchi, Leiter Abteilung für öffentliche Angelegenheiten beim Deutschen Mittelstands-Bund, sagte unserer Zeitung: „Der asiatische Markt besitzt nach wie vor ein enormes – aber sich dynamisch wandelndes – Potenzial für deutsche Unternehmen aus dem Mittelstand. Insbesondere für innovationsstarke Unternehmen ist Asien zunehmend interessant.“

Allerdings sei der deutsche Mittelstand zurückhaltender geworden, vor allem wenn es um China gehe. Derzeit überwögen die Risiken, in China zu investieren, die Chancen. Bianchi: „Generell stellen wir zudem fest, dass gerade mittelständische Unternehmen aktuell sehr sicherheitsorientiert agieren und sich – wenn überhaupt – eher nach Nearshoring-Optionen umsehen.“ Gemeint sind Investitionen im benachbarten Ausland, etwa in Osteuropa.

Rechtsanwalt Müller ist dennoch von den Chancen der asiatischen Märkte überzeugt: „An Asien kommen Mittelständler immer weniger vorbei.“

Anmeldung zur Veranstaltung in der Industrie und Handelskammer Braunschweig unter https://veranstaltungen.braunschweig.ihk.de/b/?p=geschaeftsbeziehungen-zu-asien