Braunschweig. Tobias Hoffmann wurde zum IHK-Präsidenten gewählt. Seiner Meinung nach macht das Übermaß an Bürokratie die Selbständigkeit unattraktiv. Ein Interview.

Tobias Hoffmann wurde gerade erst von der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Braunschweig im Amt des Präsidenten bestätigt. Im Interview erläutert er unter anderem, warum die Bauernproteste zu einem Flächenbrand werden könnten.

Herr Hoffmann, Krisen, Krisen, Krisen: Wie ordnen Sie Ihre Wiederwahl vor diesem Hintergrund ein?

Ich war aufgeregt vor der Wahl, weil in diesen Zeiten nichts sicher ist.

Wie meinen Sie das?

In der Unternehmerschaft im ganzen Land, in Niedersachsen und selbstverständlich auch im Kammerbezirk macht sich ein sehr ungutes, diffuses Gefühl breit, das man nicht messen kann. Das verleitete mich dazu, mich unsicher zu fühlen, wie wohl die Wahl ausfällt.

Welches Gefühl meinen Sie?

Es ist das zunehmende Gefühl, dass das Vertrauen in die Zielgenauigkeit, in die Verlässlichkeit von Wirtschaftspolitik nachlässt. Und es ist inzwischen nicht nur ein Gefühl, wie das Beispiel der Bauern zeigt, denen der Kragen geplatzt ist. Sie haben vorweggenommen, was die produzierende Wirtschaft wahrscheinlich auch erleben wird.

Was haben die Bauern und die produzierende Wirtschaft in Ihrem Unmut gemein?

Den Bauern ist der Kragen nicht geplatzt wegen der Wegnahme der Diesel-Förderung. Das war der Tropfen auf dem heißen Stein. Die eigentlichen Gründe sind die überbordenden staatlichen Anforderungen an nicht produktive Tätigkeiten.

Zum Beispiel?

Damit meine ich Regularien, Markteingriffe, Bürokratie. Diese Faktoren betreffen auch die Unternehmerschaft. Wir beschweren uns auch darüber und können nicht erkennen, dass die Politik mit ihrer Wirtschaftspolitik darauf Rücksicht nimmt, wie die Unternehmen in diesen Zeiten durch Kriege, durch eine unsichere Energieversorgung und durch den Fachkräftemangel belastet werden. Stattdessen zieht sie ihre Agenda durch: Das Leben der Mitarbeiter soll besser werden, die Umwelt muss geschont und diverse andere Ziele sollen erreicht werden. All diese Dinge werden in den Betrieben zu weiterer Bürokratie führen. Die Politik geht davon aus, dass die Unternehmen das schon irgendwie schaffen werden. Dabei sind sie doch jetzt schon nicht nur durch die Bürokratie dauerbelastet, sondern auch durch die Unsicherheiten, wie sich der Energiepreis entwickeln und wie verlässlich die Energieversorgung in den nächsten Jahren sein wird. Hinzu kommen Sorgen um die Dauer der Kriege und damit um Absatzmärkte, um Lieferketten, um den Fachkräftemangel. Wir sind schier atemlos, erstaunt und erregt über dieses Vorgehen, über die Unzuverlässigkeit der Politik.

In welchen Punkten ist sie unzuverlässig?

Ich denke an Förderzusagen, die erst gegeben und dann wieder einkassiert werden. Antragsfristen werden quasi über Nacht für nichtig erklärt. Was soll das? Das überfordert schon Privatleute, das überfordert aber selbstverständlich auch Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle und Investitionsentscheidungen auch auf Förderkulissen hin ausrichten. Es fehlt in der Politik das Gespür, dass Unternehmen das Recht darauf haben, auf Basis von sicheren Grundlagen eine Geschäftsplanung aufzubauen. Das wird aber von der Politik komplett beiseitegeschoben.

Regierungspolitiker aller Parteien versprechen immer wieder den Abbau von Bürokratie. Glauben Sie noch daran?

Das ist utopisch. Bürokratieabbau wird zwar immer versprochen, aber er findet nicht statt. Das Lieferkettengesetz zum Beispiel sorgt für einen riesigen Aufwand an Bürokratie. Weil zwei oder drei Prozent der Betriebe Unfug treiben, werden die anderen 97 oder 98 Prozent mit diesem Aufwand belastet, der aber voraussichtlich keinen gewünschten Effekt hat. Genauso, wenn der Anspruch auf Homeoffice kommt. Niemand scheint zu überlegen, was dieser Anspruch für produzierende Betriebe bedeutet, die, wie ich als produzierender Unternehmer, ihre Leute gar nicht ins Homeoffice schicken können. Wenn es tatsächlich einen Rechtsanspruch geben würde, dann müsste ich mehr als der Hälfte meiner Mitarbeiter sagen, der Anspruch ist für euch unerfüllbar. Niemand in der Politik macht sich Gedanken darüber, was solche Entscheidungen bewirken, welche Stimmungen sie schaffen, welche Reibeflächen und Konflikte sie in den produzierenden Betrieben erzeugen.

Sie haben zahlreiche wunde Punkte genannt. Welches Problem wiegt am schwersten?

Unternehmer sind ja auch Menschen, deshalb gilt unter menschlichen Gesichtspunkten an erster Stelle: Die Kriege müssen aufhören! Als zweiten Punkt nenne ich das Fachkräfteproblem. Daran können wir unter demografischen Aspekten so schnell nichts ändern. Deshalb muss in der Politik wieder in einem zivilisierten Ton über das Thema gesprochen werden, konkret über die gezielte Zuwanderung von Fachkräften. Es steht fest, dass unsere Volkswirtschaft in den nächsten Jahren mit einem Verlust von Fachkräften konfrontiert sein wird. Erkennbar ist zugleich, wie groß der Bedarf an Fachkräften ist. Damit sind Planungsgrundlagen gegeben. Die Unternehmerschaft erwartet, dass die Politik diese Planungsgrundlagen für das Geschäftsmodell Gesellschaft nutzt. Aus unternehmerischer Sicht ist ein Staat nicht anders zu führen als ein gut und ausgewogen planendes Unternehmen.

Sie haben geschildert, wie schlecht die Stimmung unter den Unternehmern ist. Es gärt aber überall in der Gesellschaft – die Unzufriedenheit, mitunter auch die Überforderung der Menschen ist groß. Sehen Sie Unternehmer in der Vorbildfunktion, den Laden zusammenzuhalten? Können, wollen, müssen das Unternehmer leisten?

Selbstverständlich haben Unternehmer eine Vorbildfunktion. Ich bin überzeugt, dass der Großteil der Unternehmen, egal, ob es sie eigentümergeführt oder gemanagte Unternehmen sind, sich dessen bewusst sind. Denn als verantwortlicher Manager will ich mich im Betrieb, der stets ein sozialer Ort ist, wohlfühlen. Weil Unternehmen soziale Orte sind, haben wir den Auftrag, den Stress, die Risse und den Druck in der Gesellschaft nicht noch zusätzlich in den Betrieben aufbrechen zu lassen. Das betriebliche Miteinander ist traditionell gut sortiert und geprägt durch die gute alte Betriebsverfassung, Mitbestimmung, Arbeitsschutzgesetze und andere gesetzliche Regelungen. Trotzdem mache ich mir Sorgen.

Welche?

Die Neigung, sich mit einer beruflichen Selbstständigkeit zu beschäftigen oder einen Betrieb weiterzuführen, nimmt ab. Das ist ein Problem! Unsere Gesellschaft schrumpft, im Verhältnis dazu sinkt die Zahl der Unternehmer noch stärker.

Woran liegt das?

Am Bündel der staatlichen Maßnahmen, die das Unternehmertum immer reizloser machen. Dass ich als Unternehmer wegen der staatlichen Vorgaben immer weniger unternehmerisch handeln und entscheiden kann. Das hohe Maß an Bürokratie verhindert, dass ich meine eigentlichen Qualifikationen in vollem Umfang einbringen kann. Hinzu kommt das steigende Maß an Stress, dem die Gesellschaft durch all die Krisen ausgesetzt ist. Das zeigt sich an steigenden Krankenständen. Die Anforderungen des modernen Lebens und die Unsicherheiten hinterlassen Spuren in der Gesellschaft. Und sie hinterlassen Spuren in der Unternehmerschaft. Die Summe dieser Faktoren führt dazu, dass die Bereitschaft abnimmt, sich unternehmerisch zu betätigen. Damit steigt die Bereitschaft, sich in abhängige Beschäftigung zu begeben. Diese Entwicklung ist für eine Volkswirtschaft, die wie unsere noch leistungsstark ist und weltweit für ihre Struktur kleiner und mittelständischer Unternehmen bewundert wird, mittelfristig lebensgefährlich.

Bestätigen Sie die Beobachtung, dass es in unserer Gesellschaft insgesamt einen zunehmenden Trend gibt, Verantwortung zu delegieren?

Die Beobachtung ist richtig. Deshalb sollte die Politik wieder erkennbar mehr Verantwortung an die Betriebe abgeben. Wenn die Politik stattdessen weiterhin das Signal sendet, wirklich alles regeln zu müssen, dann bremst sie die Begeisterung für das Unternehmertum. Unternehmer wollen eine verlässliche Wirtschaftspolitik, verlässliche Fristen, eine verlässliche Zielsetzung. Sie wollen nicht, dass ihnen von der Politik alles vorgekaut wird. Das machen wir schon gerne selbst. Wir sind doch Unternehmer, weil wir es gelernt haben, schnell auf sich verändernde Marktsituationen zu reagieren. Wir sind aber ungern Unternehmer, wenn wir in die ungewohnte und unerfreulich Situation kommen, dass wir im Regelwerk auf unvorhergesehene Entscheidungen, auf unverständliche Entscheidungen und auf erwiesenermaßen sinnlose Entscheidungen stoßen. Und wenn wir uns nicht auf Rahmenbedingungen verlassen können.

Zum Beispiel?

Die Tatsache, dass ein Bundeshaushalt so auf Risiko angelegt ist, dass er auf höchstrichterlichen Beschluss gekippt werden kann und dann noch ein Plan B fehlt. Das ist aus unternehmerischer Sicht entsetzlich. Was ist denn das für eine Botschaft? Wir wünschen uns ja nicht von der Politik, dass sie uns hilft, unsere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Nein, wir erwarten doch nur, dass sie uns einen Rahmen setzt, von dem wir ausgehen können, dass er uns verlässliche Bedingungen bietet.

Sie fordern die gezielte Zuwanderung von Fachkräften. Müssten aber nicht auch die bereits in Deutschland lebenden Migranten viel schneller in den Arbeitsmarkt gebracht werden?

Das stimmt, zumal viele lernbereit, arbeitsfähig und arbeitswillig sind.

Aber?

Sie bewegen sich zum Teil in hermetischen Kanälen. Das heißt, im vorgegebenen Asylverfahren gibt es ab einem gewissen Punkt keine Abzweigung mehr, um diese Menschen als Arbeitskräfte zu gewinnen. Als Unternehmer würde ich das anders organisieren.

Was haben Sie während ihrer Präsidentschaft in der IHK vor?

Wir werden in diesem Jahr endlich die dafür aufgebaute Rücklage nutzen, um unser Gebäude auf den neuesten Stand zu bringen. Das gilt etwa für den Brandschutz. Zudem wird es freundlicher, heller, moderner. Ein weiterer Punkt ist, dass wir unsere Digitalisierung vorantreiben, das gilt natürlich auch für unsere Angebote. Zudem wollen wir das Hauptamt und das Ehrenamt bei uns in einen engeren Austausch bringen. Wir werden auch wieder Personal aufbauen. Wir wollen zum Beispiel unter den niedersächsischen Industrie- und Handelskammern perspektivisch die Federführung übernehmen für den Bereich Innovation. Das bietet sich wegen der Hochschul- und Forschungslandschaft in unserem Kammerbezirk an.

Im nächsten Jahr übernimmt die IHK Braunschweig den Vorsitz unter den niedersächsischen Industrie- und Handelskammern – was wird Ihr Schwerpunkt sein?

Unser Schwerpunkt soll das Thema Fachkräfte werden, mit dem wir auch das Land konfrontieren wollen. Dabei soll es unter anderem um die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt gehen, aber auch das Nutzen des riesigen Wissens- und Erfahrungsschatzes der Generation, die sich in den Ruhestand verabschiedet. Dieses Wissen könnte in Berufsschulen genutzt werden, um Fachkenntnisse zu vermitteln.

Nach all der Kritik: Haben Sie auch eine positive Botschaft?

Unternehmer sind von Hause aus Optimisten!