Wolfsburg. Greenpeace will, dass VW die Verbrenner-Produktion einstellt. Rechtsexperte: Darüber kann nur der Staat entscheiden, nicht Gerichte.

Die UmweltschutzorganisationGreenpeace, eine Klima-Aktivistin und ein Biobauer wollen VW mit Klagen dazu zwingen, das Geschäft mit Verbrenner-Autos einzustellen – aus Klimaschutzgründen. Vor den Landgerichten Braunschweig und Detmold scheiterten sie in erster Instanz, die Gerichte wiesen im Februar die Klagen als unbegründet zurück. Ein Schlusspunkt war das aber nicht, weil die Kläger in Berufung gingen. Daher werden sich nun in zweiter Instzanz die Oberlandesgerichte Braunschweig und Hamm mit den Klagen befassen. VW ist überzeugt: Auch dort werden die Kläger scheitern.

Der Autobauer untermauert seine Einschätzung mit einem Rechtsgutachten, das VW bei Professor Udo Di Fabio in Auftrag gegeben hat. Di Fabio arbeitete als Richter beim Bundesverfassungsgericht, ist heute Professor und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Seine Argumentation wurde vom C.H.-Beck-Verlag veröffentlicht.

„VW verschärft Klimakrise“

Die Kläger fordern von VW, den klimagerechten Umbau des Autobauers zu beschleunigen. VW verschärfe durch den millionenfachen Verkauf klimaschädlicher Autos die Klimakrise. Ein Ziel: Die Wolfsburger müssten „spätestens im Jahr 2030 aus der Produktion klimaschädlicher Verbrenner weltweit aussteigen“, wie es auf der Greenpeace-Homepage heißt. Die EU hat das Aus für neue Verbrenner unabhängig von dieser Forderung bereits auf 2035 terminiert.

Di Fabio ist allerdings überzeugt, dass das Thema Klimaschutz viel zu vielschichtig ist, um es im Rahmen des privaten Haftungsrechts von Zivilgerichten klären lassen zu können. Stattdessen sei es Aufgabe der Politik und des demokratisch gewählten Gesetzgebers, die entsprechenden Abwägungen und Entscheidungen zu treffen. Di Fabio: „Der globale Klimawandel ist dadurch gekennzeichnet, dass eine unüberschaubare Vielzahl von Emittenten einer ebenso unüberschaubaren Zahl Betroffener gegenübersteht, wobei alle Betroffenen zugleich Emittenten und alle Emittenten zugleich Betroffene des Klimawandels sind. Ein solches Übermaß an Beteiligten und Ursachenzusammenhängen lässt sich nicht auf das Zweipersonenverhältnis eines Zivilprozesses reduzieren.“

„Zivilprozess nicht geeignet“

Allein der Staat verfüge über die Mittel und Planungsinstrumente, die ein abgestimmtes Vorgehen in Sachen Klimaschutz möglich machen. Der Staat agiere zudem auch auf internationaler Ebene. Di Fabio: „Der Zivilprozess dagegen ist schon funktionell nicht geeignet, hier steuernd in einer interessenausgleichenden Art und Weise zu agieren.“ Die Herausforderungen der Klimakrise verlangten Leitplanken, die allein der Gesetzgeber setzen könne.

Udo di Fabio, Ex-Richter am Bundesverfassungsgericht, spricht 2016 als Gastredner in  beim Neujahrsempfang der NRW-FDP. Sein Gutachten zur Klimaschutzklage kommt zu dem Schluss, dass Zivilprozesse für solche Klagen nicht der geeignete Rahmen sind.
Udo di Fabio, Ex-Richter am Bundesverfassungsgericht, spricht 2016 als Gastredner in beim Neujahrsempfang der NRW-FDP. Sein Gutachten zur Klimaschutzklage kommt zu dem Schluss, dass Zivilprozesse für solche Klagen nicht der geeignete Rahmen sind. © dpa | Maja Hitij

„Es sind Verteilungsentscheidungen zu treffen, wer wann wie viel Treibhausgase zu reduzieren hat, die eine umfassende Abwägung aller betroffenen umweltpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Belange erfordert. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen müssen politisch abgewogen werden – und zwar vom parlamentarischen Gesetzgeber. Das folgt zwingend aus dem Demokratiegrundsatz“, betont Di Fabio. Nur der Gesetzgeber, nicht Gerichte, sei zuständig für das Auferlegen von Reduktionspflichten auf Privatpersonen oder Unternehmen.

Klimaschutzgesetz ist der zentrale Rahmen

Der Staat habe mit dem Klimaschutzgesetz den zentralen nationalen Rahmen gescheffen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Di Fabio: „Verpflichtet werden dort der Staat und ganz bewusst nicht Unternehmen als private Akteure. Über diese gesetzgeberischen Wertungen darf sich ein Gericht nicht hinwegsetzen. Würde ein Zivilgericht konkrete Treibhausgasbudgets gleichwohl bestimmten Unternehmen zuordnen wollen – und damit letztlich die Entscheidung treffen, wem noch wie viel oder wenig CO2-Ausstoß zustehe – so würde das Gericht eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Entscheidung treffen.“

Vor dem Hintergrund, dass VW die E-Mobilität ausbauen wolle, wies er darauf hin, dass es Sache des Gesetzgebers sei, mit verlässlichen Rahmenvorgaben Rechtsklarheit für Produktion oder Vertrieb herzustellen. „Diese Entscheidung gehört in den politisch parlamentarischen Raum und nicht vor die Schranken der Zivilgerichte.“

Wichtig sei Verlässlichkeit

Ein weiterer Aspekt in seiner Argumentation: Wird ein Unternehmen wie Volkswagen herausgegriffen und für ein gesamtgesellschaftliches und international praktiziertes Verhalten verantwortlich gemacht, sei dies geeignet, das System der Eigenverantwortlichkeit zu zerstören. Ein Unternehmen agiere in einem dichten Geflecht von behördlichen Erlaubnissen und Vorgaben. Darauf müsse es sich verlassen können.

Dieses verfassungsrechtlich geschützte Vertrauen werde jedoch verletzt, wenn die gesetzlich zugelassene Produktion und der gesetzlich zugelassene Vertrieb von Autos von Zivilgerichten desselben Staates im Zusammenhang mit dem Klimawandel als unzulässig eingestuft würde. Weil VW sich unternehmerisch gesetzestreu verhalte, schließe es die Verfassung aus, dass die Wolfsburger für diese Tätigkeit aus Gründen des Klimawandels haften sollen.

EU hat bereits Entscheidung getroffen

Ohnehin würden die Produktion und der Vertrieb von Verbrennungsmotoren auf europäischer Ebene seit Jahren diskutiert und geregelt. Davon zeuge das für 2035 geplante Aus für neue Verbrennermotoren in der EU. „Es besteht kein Raum für ein deutsches Zivilgericht, an dieser grundlegenden Entscheidung vorbei ein vorzeitiges Verbrennerverbot durchzusetzen“, meint Di Fabio.

Ein Termin für die Verhandlung des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandsgericht Braunschweig steht noch nicht fest.