Die Nachfrage nach Gas sinkt, viele Stadtwerke rüsten um. Wird die Gasheizung damit schneller zum Auslaufmodell, als von vielen gedacht?

  • Gazheizungen stehen in einigen Regionen Deutschlands vor dem Aus
  • Während das Gasnetz teilweise abgeschaltet wird, entsteht eine neue Energie-Zukunft
  • Die Folgen für Privatkunden und Unternehmen sind tiefgreifend

Berlin. Grüner Wasserstoff zum Heizen – wie soll das funktionieren? 214 Privathaushalte werden demnächst damit beliefert. Es ist ein erster praktischer Versuch, mit dem die Stadtwerke Heide diesen Weg in die Energie-Zukunft auskundschaften. Allerdings werden sie dem normalen Erdgas vorläufig nur 20 Prozent des ökologisch produzierten Wasserstoffes beimischen.

Dennoch hoffen die Stadtwerke der 22.000-Einwohner-Stadt in Schleswig-Holstein, technische und ökonomische Erfahrungen zu sammeln. Ein Windpark soll den Ökostrom liefern, der in einem Elektrolyseur Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Dieser wird dann in ein separates Netz eingespeist und dient in den Wohnungen als klimaneutrale Heizenergie – im Gegensatz zum klimaschädlichen, fossilen Erdgas.

Gasheizung: Teile des Gasnetzes werden stillgelegt

Der Versuch zeigt im Kleinen, wo die Reise im Großen hingeht. Bis 2045 wird sich Deutschland größtenteils von konventionellen Energiequellen verabschieden. Das bringt auch tiefgreifende Konsequenzen für die Gasanschlüsse, die Gasnetze, die Privatkunden und die Unternehmen mit sich.

Eine Technikerin und ein Techniker stehen vor einem Hydrocracker auf dem Firmengelände der Raffinerie Heide. Im Rahmen des Projekts „Westküste100“ soll in Heide grüner Wasserstoff erzeugt werden.
Eine Technikerin und ein Techniker stehen vor einem Hydrocracker auf dem Firmengelände der Raffinerie Heide. Im Rahmen des Projekts „Westküste100“ soll in Heide grüner Wasserstoff erzeugt werden. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

„Perspektivisch werden wir Teile unseres Gasnetzes stilllegen“, sagt Stefan Vergo, der Geschäftsführer der Stadtwerke Heide. Wobei die verbleibenden Privathaushalte, die auch später noch mit Gas heizen wollen, nicht einfach abgekoppelt würden, so Vergo. Er gehe aber „davon aus, dass die Kunden zum Beispiel auf Fernwärme umsteigen, wenn diese Alternative attraktiver wird“.

Heizen: Anteil von Wasserstoff wird gering bleiben

Dies ordnet Andreas Hein im gemeinsamen Gespräch in einen größeren Zusammenhang ein. Er ist CDU-Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein und Aufsichtsrats-Chef der Stadtwerke. „Wir prognostizieren, dass die Wärmeversorgung in Heide später zu deutlich mehr als 50 Prozent über Fernwärme läuft.“ Wasserstoff und andere grüne Gase würden dann vielleicht zehn bis 20 Prozent ausmachen. „Wärmepumpen decken den Rest ab“, sagt Hein.

Die H2-ready-Gasheizung

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    Solche Aussagen mögen manchen erschrecken. Aber sie zeigen den großen Plan, den die Praktiker in den Energieunternehmen weitgehend teilen. Heute verbrennt fast jede zweite Hausheizung Erdgas. Der Anteil in 20 Jahren wird viel geringer sein, der von Wasserstoff auch.

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    Agora Energiewende sieht für 90 Prozent der Gasverteilnetze keine Verwendung mehr

    Das sind keine Spinnereien grüner Energieminister, sondern die Konsequenzen der seit Jahren praktizierten Bundespolitik. Und es entspricht der Einschätzung des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU), in dem die Stadtwerke zusammengeschlossen sind, die Dutzende Millionen Bürgerinnen und Bürger mit Energie versorgen. „Nach unseren Erwartungen wird in der Zukunft in Deutschland zu 40 bis 45 Prozent mit Fernwärme geheizt, zu 40 Prozent mit Wärmepumpen, und allenfalls 15, höchstens 20 Prozent mit Wasserstoff“, sagte VKU-Geschäftsführer Ingbert Liebing in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

    In Zukunft wird es daher immer weniger Gasheizungen geben, in einigen Regionen schreitet die Abschaltung des Gasnetzes bereits voran.
    In Zukunft wird es daher immer weniger Gasheizungen geben, in einigen Regionen schreitet die Abschaltung des Gasnetzes bereits voran. © sestovic/iStock

    Andere Experten spitzen das zu. „Mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 besteht für über 90 Prozent der bestehenden Gasverteilnetze absehbar keine Verwendung mehr“, schreibt die Organisation Agora Energiewende.

    Hintergrund: Wärmepumpe versus Gasheizung: Kosten-Analyse erstaunt

    Kosten für bestehende Gasanschlüsse dürften steigen

    Das betrachtet der VKU aber als übertrieben: „Die Annahme, dass nur zehn Prozent übrigbleiben werden, teilen wir nicht.“ Gleichwohl sagte eine VKU-Sprecherin: „Man kann davon ausgehen, dass die heutigen Gasnetze teilweise außer Betrieb genommen werden.“ In welchem Umfang, lasse sich derzeit jedoch schwer abschätzen. Der Stadtwerke-Verband betont: „Grundsätzlich wird Wasserstoff beispielsweise in solchen Gebäuden eine Rolle spielen, in denen der Ersatz einer Gasheizung zu kostspielig wäre, und wo kein Anschluss an ein Fernwärmenetz möglich ist.“

    Und was könnte es praktisch bedeuten, wenn weniger Gase verheizt werden als heute? Die Kosten für die noch verbleibenden Gasanschlüsse dürften erheblich steigen. Nicht nur nimmt wohl der Preis des Brennstoffs zu, etwa infolge der Kohlendioxid-Bepreisung. Sondern die individuellen Aufwendungen für die Netzanschlüsse könnten ebenfalls wachsen. Wenn weniger Leute über eine Leitung versorgt werden, müssen die Übrigbleibenden höhere Anteile zahlen.

    Nicht nur die Stadtwerke in Heide, sondern die meisten Energieversorger in Deutschland beschäftigen sich mit ähnlichen Szenarien. So erklären die Stadtwerke der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt: „In Düsseldorf kommt bei der Wärmewende der Fernwärme eine Schlüsselrolle für die Erreichung der Klimaschutzziele zu.“ Außerdem stelle man sich darauf ein, die „dezentrale Wärmeerzeugung, wie die Wärmepumpen, in den kommenden Jahren massiv auszurollen“. Aber auch grüner Wasserstoff werde eine gewisse Bedeutung haben. „Insofern halten wir die Einschätzung des VKU aufgrund der angestrebten Diversifizierung der Wärmequellen für realistisch.“