Braunschweig. Der Vorstandsvorsitzende der VW Financial Services AG, Christian Dahlheim, über seinen Weg in die Finanzbranche und die Zukunft der Mobilität.

Was macht der Vorsitzende eines Milliardenunternehmens? Wie stark wird die Arbeit durch seine Biografie geprägt? Angelina Friedel und Niklas Eppert haben im Rahmen einer Hospitationswoche der Volontäre und Volontärinnen der BZ bei Volkswagen Financial Services (VW FS) mit dem CEO Christian Dahlheim gesprochen, der 1968 in Berlin geboren ist.

Nehmen wir mal an, Sie haben ein sechsjähriges Enkelkind. Wie würden Sie Ihren Job beschreiben?

Mein Job ist es, innerhalb von Volkswagen dafür zu sorgen, dass die Menschen, die ein Auto haben möchten, sich das auch leisten können. Das heißt, dass sich Kunden Geld für ihr Auto leihen können. Darüber hinaus ist es natürlich meine Aufgabe, Volkswagen Financial Services weiterzuentwickeln und die richtigen Menschen auszuwählen, die in diesem Unternehmen arbeiten.

Im Rahmen einer Hospitation haben die Volontäre der Braunschweiger Zeitung VW Financial Services besucht. 
Im Rahmen einer Hospitation haben die Volontäre der Braunschweiger Zeitung VW Financial Services besucht.  © FMN | Daria Brabanski

Studiert haben Sie zunächst Physik. Was führte Sie in die Finanzbranche?

Nach meinem Physikstudium habe ich erstmal als Ingenieur bei Procter & Gamble gearbeitet. Dort war ich für die Orangensaft-Abfüllanlage verantwortlich. Über einen Master of Business Administration bin ich dann zur Unternehmensberatung gekommen. Die haben mich damals auf Projekte gesetzt, bei denen ich Banken beraten sollte. Ich fand Banken zunächst uninteressant, habe aber allmählich gemerkt, dass die Finanzbranche doch ein spannendes Geschäftsfeld ist. Ich wollte allerdings nicht mein Leben lang Berater bleiben und dann kam der Kontakt zu Volkswagen Financial Services. Das war eine spannende Kombination. Es ist zwar eine Bank, allerdings nicht nur, und riecht ein bisschen nach Auto.

Gibt es noch Aspekte aus Ihrem Physikstudium, die Ihnen heute weiterhelfen?

Absolut. Mir helfen sie weiter – andere treiben sie wahrscheinlich in den Wahnsinn. Als Physiker lernt man, sehr komplexe Daten zu analysieren und zu durchdringen. Das hilft einem auch in der Finanzdienstleistungsbranche. Dinge nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen. Dieser Ansatz ist in fast jedem Job hilfreich.

Nicht nur als Physiker, auch im Ausland haben Sie Erfahrungen gesammelt. Welche Lehren haben Sie nach Deutschland mitgebracht?

Das interkulturelle Miteinander. 80 Prozent unserer Ergebnisse erwirtschaften wir im Ausland. Wir arbeiten mit Japanern, Chinesen, Koreanern, Amerikanern, Brasilianern und vielen mehr. Es ist ein wesentlicher Punkt, Respekt vor anderen Kulturen zu haben und sich der kulturellen Unterschiede, wie beispielsweise Sprachbarrieren, bewusst zu sein.

VW FS arbeitet in mehreren Zeitzonen. Wie lang ist Ihr Arbeitstag?

Wenn ich Freitag herausnehme, sind es wahrscheinlich zwölf Stunden pro Tag.

Können Sie Familie und Beruf trotzdem unter einen Hut bringen?

Nicht immer. Ich versuche, meine Wochenenden freizuhalten und ich nehme eigentlich immer meinen Urlaub. Und im Urlaub lese ich grundsätzlich keine E-Mails. Damit bin ich jetzt 25 Jahre ganz gut durchgekommen. Das werde ich jetzt auch nicht mehr ändern. Wenn ich nicht arbeite, dann arbeite ich auch nicht. Einzig: Bei ganz wichtigen Themen wird dann natürlich telefoniert.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann ja bereits bei einem acht Stunden Tag eine Herausforderung sein. Ist das Thema Familienfreundlichkeit wichtig für VW FS?

Das ist definitiv ein großes Thema. Ein konkretes Beispiel ist unser Betriebskindergarten. Der ist tatsächlich ein großer Erfolgsfaktor. Besonders – und das ist leider immer noch so – um unseren Mitarbeiterinnen und Führungskräften die Möglichkeit zu geben, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen.

Ist Diversität für Sie ein Thema?

Wir sind fest davon überzeugt, dass eine diverse Führungsmannschaft und Belegschaft erforderlich sind. Auch aus rein kommerziellen Gründen: Ungefähr 50 Prozent unserer Mitarbeitenden sind Frauen, aber im oberen Management sind es nur 25. Wir müssen das ändern. Unternehmen, die von diversen Teams geführt werden, sind erwiesenermaßen wirtschaftlich erfolgreicher.

Was halten Sie von der Frauenquote in Spitzenpositionen?

Eine Frauenquote ist nötig. Es ist grundsätzlich richtig, dass der Gesetzgeber die Unternehmen zwingt, zumindest eine gewisse Quote zu erreichen. Irgendwann sollte es sich von selbst regeln. Zwei von fünf Vorständen sind bei uns übrigens Frauen.

Warum muss der Staat da eingreifen, wäre das nicht eigentlich Aufgabe des Unternehmens?

Ich glaube, wir brauchen die Vorgabe. Es ist in Ordnung, dass die Politik ein Ziel setzt, dem man sich anschließt. Eigentlich sollte es aus Eigenantrieb passieren. Noch mal: Es ist ja kommerziell eine rationale Entscheidung. Davon müsste auch ein Aktionär überzeugt sein.

Dahlheim spricht sich für eine Frauenquote aus. 
Dahlheim spricht sich für eine Frauenquote aus.  © FMN | Daria Brabanski

Eine weitere Herausforderung, über die viele Unternehmen zurzeit sprechen, ist der Fachkräftemangel. Ist auch Financial Services davon betroffen?

Ja, mittlerweile sind wir auch betroffen. Es ist nicht mehr so einfach, sehr gute Bewerber zu bekommen.

Sie sind laut aktuellen Befragungen der attraktivste Arbeitgeber für Berufseinsteiger in unserer Region. Warum haben Sie trotzdem Probleme?

Bewerber stehen nicht mehr Schlange. Bei einem guten Job haben wir aber immer noch mehr Bewerber als Stellen. Es gibt Menschen für spezifische IT- oder Daten-Profile, die wirklich schwer zu rekrutieren sind. Wir brauchen aufgrund unserer Unternehmensgröße natürlich mehr Bewerber als viele andere. Allerdings tun sich Leute beispielsweise aus München schwer, nach Braunschweig zu ziehen.

Die Attraktivität des Standortes spielt also eine wichtige Rolle. Fehlt es Braunschweig an Strahlkraft?

Auf den ersten Blick, ja. Ich bin Berliner. Als ich damals hier zum Vorstellungsgespräch kam, war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Braunschweig. Der durchschnittliche Frankfurter oder Münchner hat von Braunschweig nicht viel gehört. Wenn man aber Braunschweig näher kennenlernt, entpuppt es sich als ein sehr attraktiver Standort, besonders für Familien.

Muss Braunschweig mehr unternehmen, um die Standortattraktivität zu steigern?

Es wäre unfair zu sagen, da macht jemand zu wenig. Trotzdem ist man überrascht, was es in Braunschweig alles gibt, die Uni, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Siemens, VW und vieles mehr. Ob man das stärker vermarkten kann, muss das Stadtmarketing beantworten. Wir würden es uns sicherlich wünschen.

Sprechen wir nun über das Geschäft. 2022 hat Financial Services ein Viertel des Gewinns des gesamten VW-Konzerns eingespielt. Ist das ein gesundes Verhältnis?

Wir sind genauso Kerngeschäft wie die Produktion. Das Thema der Wertschöpfung, nachdem der Kunde das Auto finanziert oder geleast hat, ist ein absolut essenzieller Bestandteil eines Automobilkonzerns. Unsere Aufgabe liegt darin, diese Wertschöpfung zu optimieren. Und natürlich wünschen wir uns, dass unsere Marken-Kollegen ebenfalls maximal profitabel sind. Dennoch hatten wir in den vergangenen Jahren einen überproportionalen Gewinnanteil. Wobei man die Sondereffekte der letzten beiden Jahre nicht vergessen darf. Grund dafür war die Halbleiterkrise. Vereinfacht gesagt: Finanzdienstleistungen haben mehr Geld verdient, weil es weniger Neuwagen gab und Gebrauchtwagen im Wert gestiegen sind.

Inwiefern ist ihr Geschäft noch langfristig tragbar, wenn in der Zukunft immer weniger Autos auf den Straßen unterwegs sein sollen?

Ich glaube, dass es grundsätzlich gesund ist, die Zahl der Autos insgesamt zu verringern. Die meisten Autos stehen 23 Stunden am Tag und werden nicht gefahren. Deshalb ist es wünschenswert, dass sie sinnvoller genutzt werden. Das ist für unser Geschäft und für die Marken-Kollegen gar nicht schlimm. Denn wenn ich ein Auto mehr nutze und es weniger rumsteht, dann wird es auch früher alt und muss früher neu gekauft werden.

Inzwischen gibt es auch ganz neue Geschäftsfelder wie Fahrräder oder Parksysteme. Wird das Autogeschäft dadurch abgelöst oder ist das ein Zusatz?

Individuelle Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Sonst gibt es keinen plausiblen Grund, warum weltweit eine Milliarde Autos auf den Straßen sind. Wir haben jetzt die Chance, die Weichen zu stellen, um zukünftig E-Autos CO₂-neutral herzustellen. Und wir können sie deutlich sicherer machen, wenn wir die Assistenzsysteme weiterentwickeln. Themen wie Fahrräder und flexiblere Mobilitätsangebote sind stark wachsende Geschäfte. Wir selbst sind hier sehr aktiv – und werden dies künftig verstärken. Aber sie werden nie unser Kerngeschäft ablösen.

Wir haben zu Beginn bereits über Ihre bisherige Karriere gesprochen. Wohin geht es für Sie als nächstes?

Ich bin im Moment sehr zufrieden, CEO dieses Unternehmens zu sein. Davor war ich in Wolfsburg, aber es ist immer schön und ein tolles Privileg, zurückkommen zu dürfen. Ich kenne hier viele Kollegen, da macht das Arbeiten natürlich besonders Spaß. Also insofern wäre ich froh, wenn ich hierbleiben darf.