Braunschweig. Auch aus unserer Region kommt scharfe Kritik an der Standortentscheidung für eine Batterie-Forschungsfabrik in Münster.

Der Unmut über die Standortentscheidung für die Forschungsfertigung Batteriezelle hält in unserer Region und Niedersachsen an. Bevor sich die verantwortliche Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) in einer Sondersitzung des Forschungsausschusses im Bundestag am Mittwoch erklären will, sagte Christos Pantazis, SPD-Landtagsabgeordneter, unserer Zeitung: „Forschung kann nicht wie auf einem Basar gehandelt werden, es geht um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Bis dato hat Frau Karliczek keine stichhaltigen Argumente für ihre Entscheidung geliefert.“ Er sei sehr gespannt auf Mittwoch. „Wenn sie die Fragen nicht stichhaltig beantworten kann, muss sie ihre Entscheidung korrigieren. Sonst stelle ich ihre Tauglichkeit als Ministerin infrage.“

Die Sondersitzung im Bundestag hatten FDP, Grüne und Linke beantragt. Hintergrund ist die strittige Entscheidung des Bundesforschungsministeriums (BMBF), eine mit 500 Millionen Euro geförderte Batterie-Forschungsfabrik in Münster in Nordrhein-Westfalen anzusiedeln – der Heimatregion der Ministerin. Vorwürfe, Münster bevorzugt zu haben, weist die CDU-Politikerin zurück. Niedersachsen hatte sich mit der TU Braunschweig und dem Standort Salzgitter ebenfalls um die Fördergelder beworben. Insgesamt gab es aus sechs Bundesländern Bewerbungen. Von Staatssekretärin Sabine Johannsen aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium hieß es am Montag: „In der Forschungsförderung brauchen wir klare und transparente Verfahren. Wenn es hier noch Klärungsbedarf gibt, ist es gut, wenn dies jetzt auf Bundesebene geschieht.“

Wie Pantazis zeigte sich auch Frank Oesterhelweg, Landtagsabgeordneter der CDU, noch enttäuscht angesichts der Entscheidung, richtete den Blick jedoch nach vorne: Er wünsche sich, dass die Region den Schwerpunkt auf Brennstoffzellen-Technologie und Wasserstoff lege. „Das würde gut zu uns passen“, sagte er mit Verweis auf den Zugbauer Alstom. Sein Parteikollege Carsten Müller (CDU), Abgeordneter im Bundestag aus Braunschweig, kritisierte indes das Vorgehen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD). Dieser halte sich zu sehr zurück, Baden-Württemberg mit dem Bewerberstandort Ulm trete stärker öffentlich für den eigenen Standort ein. „Ich verstehe die Lässigkeit da nicht, das macht mich etwas ärgerlich“, sagte er.

Ulm hatte sich mit dem Partnerstandort Karlsruhe bereits vor der Verkündung der Entscheidung vor gut drei Wochen als Sieger des Wettbewerbs gesehen. So titelte etwa die „Schwäbische Zeitung“ am 26. Juni „Ulm siegt im Poker um Batterieforschungsfabrik“. Zuvor hatte der „Tagesspiegel“ berichtet, die Experten der sogenannten Gründungskommission hätten ein eindeutiges Votum zugunsten der baden-württembergischen Bewerbung abgegeben. Die Enttäuschung um die entgangene halbe Milliarde Euro mag deswegen dort besonders groß sein. Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, gilt die Entscheidung für den Standort Münster mit dem Wissenschaftler Professor Martin Winter bei Verantwortlichen in Ulm als ein Zuschlag unter „Duz-Freunden“. Seitdem Ulm 2011 die Zusage für das Helmholtz-Institut für Batterieforschung erhalten habe, betreibe der Münsteraner Forscher Lobbypolitik. Bei einem Besuch Karliczeks in Ulm in der vergangenen Woche wies der dortige Universitätspräsident Karl Ebeling laut Bericht zudem darauf hin, dass mehrere Batterieforscher aus Münster nach Ulm gewechselt seien.

Auch aus anderen Bewerber-Ländern kam Kritik: Ostdeutsche Länder kritisierten eine Benachteiligung, Niedersachsens Ministerpräsident Weil hatte partei- und länderübergreifend mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Beschwerdebrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geschrieben mit der Aufforderung, für Transparenz zu sorgen.

Wie die Staatskanzlei mitteilte, haben Weil und Merkel sowie auch Weil und Karliczek miteinander telefoniert. Zum Inhalt will sich der Ministerpräsident jedoch nicht äußern. Aus unserer Region haben sich auch Müller und der SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs aus Wolfsburg an Karliczek gewandt. Mohrs sagte: „Wir fordern, die Entscheidung zu überdenken.“ Forschung sei kein Selbstzweck, besonders nicht, wenn sie so anwendungsbezogen sei. „Sie muss in einer Region stattfinden, wo auch ein industrieller Nutzen stattfinden kann.“ Das Ziel sei nun, den Standort Salzgitter, an dem Volkswagen auch in eine Batteriezellfertigung investieren will, weiter zu stärken.

Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) kritisierte die Entscheidung im Gespräch mit unserer Zeitung ebenfalls deutlich: „Münster war aus meiner Sicht eine Fehlentscheidung“, sagte er. Hierzulande „wäre die Chance gewesen, den Standort Salzgitter auszubauen zu einem Standort, der eine gesicherte Produktion hat – VW hat hier bereits investiert. Und der außerdem eine gesicherte Forschung hat. Beides hätte man ineinander fließen lassen können“, so Lies. „Das wird in Münster so nicht passieren, weil in Münster niemals eine Batteriezellfertigung entstehen wird.“ Deswegen erschließe sich ihm diese Entscheidung nicht.

Das Bundesforschungsministerium hatte bereits mitgeteilt, dass alle Bewerberstandorte gefördert würden. In Salzgitter soll ein Batterie-Bildungszentrum für die produktionsnahe Aus- und Weiterbildung entstehen. „Das wird dazu dienen, das Wissen um die Batterietechnik unter den Arbeitnehmern insgesamt stark zu verbreitern“, heißt es auf der inzwischen eigens eingerichteten Fragen-und-Antworten-Webseite des Ministeriums. Außerdem soll in unserer Region die Forschung in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und Recycling unterstützt werden.

Zu konkreten Fördersummen für die einzelnen Standorte wollte sich das Ministerium weiterhin nicht äußern, auch nicht dazu, ob die bisher kalkulierte Gesamtfördersumme von 500 Millionen Euro noch einmal aufgestockt wird. Die dafür entscheidenden Haushaltsberatungen sind jedenfalls noch nicht abgeschlossen.

In Ulm hatte die Ministerin versprochen, dass „ein substanzieller zweistelliger Millionenbetrag“ zur Verfügung gestellt werde, es soll um rund 50 Millionen Euro gehen. Arno Kwade, Professor an der TU Braunschweig und federführender Verfasser des Förderantrags aus Niedersachsen, formulierte deutliche Erwartungen: „Wir sehen uns in der Batteriezellproduktion auf Augenhöhe mit Ulm und erwarten eine analoge Förderung.“