Wolfsburg. Klimaschutz, Kosten runter, mehr Führung – Der VW-Chef erläuterte seine Strategie vor 500 Top-Führungskräften in Wolfsburg.

Noch vor einem Jahr geriet die Bestandsaufnahme von Vorstandschef Herbert Diess zur Lage des VW-Konzerns zu einer schonungslosen Abrechnung: zu träge, zu teuer, zu verkrustet. Ganz anders nun der Auftritt von Diess vor 500 Top-Managern des Konzerns am Donnerstag in Wolfsburg. Diess verteilte immer wieder Lob an einzelne Vorstandskollegen, Top-Manager, aber auch Teams und warb für eine neues Selbstverständnis und Selbstvertrauen des Autobauers. Das geht aus dem Manuskript seiner Rede hervor, das unserer Zeitung vorliegt.

Neues Selbstbewusstsein

Der Abgas-Betrug wirft zwar weiter seine Schatten, aber nicht mehr dominant und demütigend. Mit Blick in die Zukunft gab sich Diess nicht nur zuversichtlich, sondern auch sehr selbstbewusst. Das leitete er erstens ab aus der wirtschaftlichen Stärke des Konzerns und der Strategie, die E-Mobilität viel stärker zu gewichten, was zweitens sehr gut zur aktuellen politischen Diskussion um den Klimaschutz passe. „Es wird immer klarer, dass unser Weg der richtige ist“, sagte Diess. „Volkswagen hat – wie wenige andere Unternehmen – die besten Voraussetzungen, die Welt positiv zu beeinflussen, drängende Zukunftsfragen zu beantworten, Probleme für die nächsten Generationen zu lösen.“ Wenn das keine Ansage ist – an diesem Versprechen wird sich der Konzernchef künftig messen lassen müssen.

Klimaschutz

Umwelt- und Klimaschutz seien keine Themen mehr der Politik, sondern beschäftigten verstärkt junge Menschen. „Das Thema entscheidet Wahlen, wie zuletzt die Europawahl in Deutschland“, betonte Diess. Der Konzernchef erwartet, dass Klima- und Umweltschutz an Bedeutung gewinnen. „Damit wird der Druck auf die Unternehmen steigen, ihren Beitrag zu leisten. Wir sollten nicht auf Druck von außen warten, sondern voranschreiten bei der vielleicht wichtigsten Aufgabe der Menschheit, seit es sie gibt.“ Zu diesem Anspruch passe die Strategie von Volkswagen, Autos und Produktion immer CO2-ärmer zu gestalten bis hin zur CO2-Neutralität im Jahr 2050. Diess: „Wir sind sicher, dass die Dekarbonisierungsstrategie von Volkswagen langfristig zum Wettbewerbsvorteil wird. Insgesamt haben wir auch in dieser Hinsicht eine bessere Basis als die meisten Wettbewerber.“

Der Abgas-Betrug

Der im September 2015 öffentlich gewordene Abgas-Betrug hat den Autobauer laut Diess bisher 30 Milliarden Euro gekostet. Zwar habe der Konzern diese Belastung „weggesteckt“, allerdings seien die Folgen weiterhin spürbar. Als Beispiele nannte der Vorstandschef den Vertrauensverlust bei der Marke VW sowie unter anderem den sinkenden Diesel-Anteil in Europa. Als Konsequenz aus dem Skandal habe sich VW aufgemacht, seine Werte zu verändern, um besser zu werden. Dabei werde der Autobauer vom von den US-Behörden eingesetzten Monitor Larry Thompson unterstützt. „In seinem zweiten Bericht hat Larry Thompson keine neuen Verstöße festgestellt“, sagte Diess. Thompson wolle seine Arbeit planmäßig im nächsten Jahr beenden. „Das wäre für uns ein Erfolg und der Beleg, dass wir aus der Diesel-Krise die richtigen Lehren gezogen haben.“

Die wirtschaftliche Situation

Trotz der Belastungen aus dem Abgas-Betrug sei VW ein starkes Unternehmen, sagte Diess. Vor Sondereinflüssen, also vor allem den Kosten für die Aufarbeitung des Abgas-Betrugs, erziele VW eine Umsatzrendite von 8 Prozent. VW sei damit einer der stärksten Autobauer und habe im vergangenen Jahr im Gegensatz zu vielen Konkurrenten seine Finanzprognose nicht nach unten korrigieren müssen. Doch könne das Unternehmen noch besser werden. Diess: „Dieser Konzern hat noch ein Riesenpotenzial: Bei der Nutzung der Plattformen, bei der Senkung der Materialkosten, mit mehr Mehrmarkenwerken, in der Bündelung der Software-Entwicklung. Es liegt an uns als Führungsteam, diese Chancen zu nutzen, die Synergien endlich konsequent zu heben.“

Kooperation mit Ford

Der Konzernchef unterstrich, dass VW auf Partnerschaften angewiesen sei. So würde zum Beispiel mit Mi-crosoft eine Cloud, also ein Datenspeicher, entwickelt. Wichtig sei auch die Kooperation mit dem US-Autobauer Ford. Das gelte nicht nur mit Blick auf die Modelle. Die Verhandlungen mit Ford zur Entwicklung des autonomen Fahrens stünden kurz vor dem Abschluss. Außerdem könne Ford helfen, VW in den USA zu stärken. Daher sei die Kooperation für VW „geostrategisch von überragender Bedeutung. „Ohne ein starkes Engagement in den USA – unserer noch immer schwächsten Weltregion – drohen wir in den weltweiten Handelskonflikten in eine ausweglose Situation zu geraten. Heute sind wir de facto ein sehr stark chinesisch geprägtes Unternehmen. Dazu brauchen wir ein Gegengewicht in den USA“, sagte Diess.

Die Marke VW

Die Konzern-Kernmarke ist laut Diess ein großes Stück vorangekommen. Als Beispiel nannte er die Umsatzrendite, die 2015 noch 2 Prozent betragen habe und aktuell bei rund
4 Prozent liege. Bis 2022 sollen
6 Prozent erreicht werden. Dazu beigetragen hätten nicht nur interne Einsparungen und Umstrukturierungen, sondern ganz besonders auch die neuen Gelände-Limousinen (SUV). Diess versprach, dass der Golf 8 ein „sensationelles“ Auto werde, das erneut Maßstäbe setze. Diess versprach auch, dass noch in diesem Jahr die ersten Golf 8 ausgeliefert würden. Vor allem wegen der komplexen Fahrzeug-IT und personeller Engpässe stockten die Vorbereitungen und führten bereits zu Anpassungen in der Golf-8-Planung. Wie Diess weiter ausführte, ist auch der Produktionsstart des rein elektrischen ID.3 im November in Zwickau gesichert. Bisher gebe es rund 21.000 Reservierungen für das Auto, was „überaus erfolgreich“ sei.

China ist für die Marke VW der größte Markt, allerdings verbuchte und verbucht sie dort im vergangenen und in diesem Jahr rückläufige Verkaufszahlen. Diess würdigte, dass es der Marke dennoch gelungen sei, mit einem Marktanteil von 18,5 Prozent der stärkste Autobauer im Reich der Mitte zu bleiben. „Diese Position wollen wir mit aller Kraft verteidigen. Wir werden weiter Impulse setzen, das SUV-Angebot bis 2020 verdoppeln und die lokale E-Fertigung zügig hochfahren.“

VW-Komponente

Seit Januar wird das Komponenten-Geschäft, zu dem auch die Werke Braunschweig und Salzgitter gehören, gebündelt. Wie Diess ausführte ist dadurch einer der weltgrößten Zulieferer entstanden – mit mehr als 80.000 Beschäftigten und einem Geschäftsvolumen von 35 Milliarden Euro. Nach seinen Angaben spielt die Komponenten-Fertigung für den Erfolg der neuen E-Modelle eine Schlüsselrolle.

VW Financial Services

Die Braunschweiger Tochter des Konzerns sei ein „entscheidender Erfolgsfaktor“ für den Autobauer, sagte Diess. Die Fahrzeugfinanzierung treibe das Wachstum und sei eine zuverlässige und wachsende Ertragsquelle.

Aktienkurs

Aktuell schwankt der Kurs der VW-Vorzugsaktie um die 140 Euro. Das ist nach Auffassung des Vorstandschefs „deutlich zu niedrig“. „Der Kapitalmarkt teilt meine Zuversicht noch nicht“, so sein Fazit. Volkswagen müsse daran arbeiten, seinen Börsenwert zu erhöhen. Nicht nur, weil ein hoher Börsenwert für Ertragsstärke, Finanzkraft und Zukunftsfähigkeit stehe. „Er ist eine wichtige Akquisitionswährung in der bevorstehenden weiteren Konsolidierungsphase der Industrie. Und ein hoher Börsenwert ist auch eine virtuelle Währung bei Partnerschaften, die wir für die Transformation brauchen“, sagte Diess.

So geht es weiter

Diess’ Pläne für den Konzern sind ehrgeizig. Er beansprucht für das Unternehmen nichts weniger als die Führungsrolle in der Branche. Den 500 Top-Managern, die sich in Wolfsburg versammelt haben, gab er daher einen 5-Punkte-Plan mit auf ihren Rückweg.

1. VW soll schlanker werden – in jeder Beziehung. Das gilt zum Beispiel für die Besetzung von Gremien, für die Verwaltung und den bürokratischen Aufwand. Die Zusammenarbeit der Marken soll mehr Synergien bringen, zugleich soll geprüft werden, „ob wir wirklich noch der beste Eigentümer für die verschiedenen Geschäfte sind“. Der Motorradbauer Ducati gehört aber nach VW-Angaben nicht zu den Kandidaten, die geprüft werden sollen. Die Aussage des Konzernchefs sei mehr allgemeiner Natur. Zudem sollen laut Diess CO2-Ziele und -Fortschritte künftig messbar und transparent sein.

2. VW soll seine Ertragskraft steigern. Gelingen soll das durch geringere Kosten sowie durch Effizienzsteigerung und mehr Produktivität. Bis 2025 soll der Konzern eine Kapitalrendite von 15 Prozent erzielen.

3. Eine Schärfung der Markenprofile soll deren Wert steigern. Dazu sollen die Schnittmengen zwischen den Marken verringert werden. Jede Marke soll also besser erkennbar und weniger verwechselbar werden.

4. VW wird zum Software-Konzern. Um eigenes Know-how aufzubauen, soll die Zahl der Entwickler rasch erhöht werden. Bis 2025 sollen alle neuen Konzernmodelle mit einer VW-eigenen Software laufen.

5. Führungskräfte sollen zur Spitze gehören. Über eine entsprechende Managemententwicklung und -qualifizierung sollen laut Diess Gestaltungswille, Veränderungsbereitschaft und Führungsstärke ausgeprägt werden. Außerdem soll der Anteil weiblicher Führungskräfte bis 2025 auf mehr als 20 Prozent steigen. Ein weiteres Ziel: VW soll auch bei der Zusammensetzung seiner Führungskräfte internationaler werden.