Braunschweig. . Das Oberlandesgericht Braunschweig urteilt im Sinne von VW – lässt aber die Berufung am Bundesgerichtshof zu.

Im VW-Abgas-Skandal rückt ein höchstrichterliches Urteil näher. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig wies am Dienstag die Schadenersatz-Forderung des Rechtsdienstleisters My-Right zurück. Doch die Richter ließen die Berufung zu – die Kläger kündigten noch während der Urteilsbegründung an, vor den Bundesgerichtshof (BGH) zu ziehen.

Der könnte dann frühestens im Herbst darüber verhandeln. Es wäre die erste Klage direkt gegen den Autobauer, über den das oberste deutsche Gericht verhandeln würde. Weist es die Forderungen gegen VW ebenfalls zurück, hofft My-Right nach wie vor auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH), wie Mitgründer Jan-Eike Andresen unserer Zeitung sagte.

VW begrüßte das Urteil – es ist das erste des Braunschweiger OLG im Abgas-Skandal. My-Right, das nach eigenen Angaben im Abgas-Skandal fast 45.000 Kunden vertritt, hatte im Namen eines Kunden geklagt. Es war die erste Einzelklage, die das Unternehmen gegen VW eingereicht hatte. Daneben klagt My-Right mit mehreren „Sammelklagen“, in denen es zehntausende Kunden-Forderungen gebündelt hat. Von den Einzelklagen, von denen der Dienstleister ebenfalls mehrere eingereicht hat, erhofft er sich Signalwirkung. In diesem Fall dürfte diese nun eintreten.

Andresen sprach deshalb trotz der Niederlage vor dem OLG Braunschweig von einem Erfolg – „da jetzt der Weg frei ist für den BGH“. Außerdem sei es keineswegs selbstverständlich, dass die Revision zugelassen werde. Der Kläger-Vertreter wertete das als Zeichen, dass die Richter den Fall höchstrichterlich geklärt sehen wollen. Insgesamt sind und waren im Abgas-Skandal laut einem VW-Sprecher 50.000 Kunden-Klagen anhängig. Den Großteil der bisherigen 14.000 Urteile und Beschlüsse entschied der Autobauer nach eigenen Angaben für sich, ebenso alle 22 bisherigen Urteile von Oberlandesgerichten. Allerdings hatte sich VW auch mit zahlreichen Klägern außergerichtlich geeinigt.

Dass die Braunschweiger nicht die höchste Instanz sind, ist einer der Gründe, warum sie den Fall nicht an den EuGH weiterreichten, wie die Vorsitzende Richterin erklärte. Das hatte My-Right gefordert, denn das Unternehmen zielt bei seiner Klage vor allem auf EU-Recht.

Gericht hält Manipulations-Software für illegal

Doch die Braunschweiger OLG-Richter folgten dieser Argumentation nicht, sondern schlossen sich dem Urteil des Landgerichts Braunschweig an, das die Klage ebenfalls abgewiesen hatte. Allerdings handele es sich bei der Manipulations-Software durchaus um eine unerlaubte Abschalteinrichtung.

My-Right-Mitgründer Andresen und Anwältin Lene Kohl zeigten sich nach der Urteilsverkündung gegenüber unserer Zeitung zuversichtlich: Entweder gebe der BGH My-Right Recht oder er reiche den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter. Ein VW-Sprecher betonte gegenüber unserer Zeitung dagegen, ob der BGH den Fall dem EuGH vorlege, sei völlig offen. „Um vorzulegen, müssten europarechtliche Normen für die Entscheidung erheblich sein und der BGH müsste Auslegungsprobleme haben.“ Bisher hätten Ämter und Gerichte keine Schwierigkeiten mit der Auslegung der europarechtlichen Normen gehabt.

Auch die Braunschweiger OLG-Richterin Niestroj ging ausführlich auf europarechtliche Fragen ein. Die Anwälte der Kanzlei Hausfeld, die My-Right vertritt, hatten sich auf zahlreiche Vorschriften bezogen, gegen die VW ihrer Ansicht nach durch den Abgas-Betrug verstieß. So seien wegen der Manipulations-Software zum Beispiel die Typgenehmigung und die sogenannte Übereinstimmungsbescheinigung – die belege, dass das Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht – erloschen. Die Richter sahen das anders und beriefen sich dabei unter anderem auf einen entsprechenden Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes, das nur eine Nachrüstung angeordnet hatte.

Außerdem lassen sich bestimmte europarechtliche Vorgaben nach Auffassung der Braunschweiger Richter nicht heranziehen, um das Vermögen eines Auto-Kunden zu schützen, sondern dienten vor allem der Verkehrssicherheit sowie dem Umwelt- und Gesundheitsschutz. Auch für Ansprüche aus einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung sah der Senat keine Vorschriften verletzt, die den Schutz des Kläger-Vermögens bezweckten.

Innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Urteils will My-Right nun Berufung beim BGH einlegen, gemeinsam mit einem anderen Anwalt; denn am BGH sind nur 42 darauf spezialisierte Anwälte zugelassen. Ein Urteil aus Karlsruhe würde in der Affäre Klarheit schaffen – zumindest über die zehntausenden Kunden-Klagen in Deutschland. Zwar handelt es sich auch bei BGH-Urteilen um Einzelentscheidungen, doch fast immer folgen Land- und Oberlandesgerichte seiner Rechtsprechung.

Bislang ist die Rechtsprechung in Deutschland im Abgas-Skandal uneinheitlich. Nach Angaben von VW wiesen 24 Gerichte die Klagen überwiegend ab, 12 gaben ihnen überwiegend statt. My-Right hatte vor einer Woche ein Verfahren vor dem Landgericht Krefeld nach eigenen Angaben für sich entschieden.

Der BGH hat für den 27. Februar bereits eine Verhandlung im Abgas-Skandal anberaumt. Dabei handelt es sich allerdings um eine Klage gegen einen Händler – und möglicherweise einigen sich beide Parteien vorher noch mit einem außergerichtlichen Vergleich.

406.900 Kunden schließen sich Musterfeststellungsklage an

My-Right verlangt im Gegenzug für die Vertretung vor Gericht im Erfolgsfall eine Provision von seinen Kunden: 35 Prozent des „Nettogewinns“, also der Differenz zwischen dem Restwert des Fahrzeugs und der erstatteten Summe. Das Unternehmen fordert für alle seine Kunden den vollen Kaufpreis zurück, wie Andresen am Dienstag bekräftigte.

Als der Dienstleister mit den Klagen gegen VW begann, gab es hierzulande nur Sammelklagen für Aktionäre. Inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber die sogenannte Musterfeststellungsklage für Kunden eingeführt. Dieser haben sich inzwischen 406.900 Kunden angeschlossen, wie eine Sprecherin des zuständigen Bundesamts für Justiz am Dienstag unserer Zeitung sagte. Auch diese Musterklage – über die ebenfalls das Oberlandesgericht Braunschweig entscheidet – wäre indirekt vom ersten BGH-Urteil betroffen. Denn manche der zu klärenden Fragen hätte das höchste Gericht dann wohl bereits beantwortet.

Oberlandesgericht Braunschweig urteilt zugunsten von VW

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