Berlin. Bayern, ganz im Osten, irgendwo weit hinter Hof, wird der Wald duster und die Geschichten sind es auch. Eine Reise zu den Urahnen.

Neulich im Bayerischen Wald. Wir sind auf der Suche nach den Wurzeln der Familie, nicht meiner, ich komme aus dem Ruhrgebiet. Der Schwiegervater wollte den Enkeln zeigen, wie er aufgewachsen ist. Und wo. Die Studentenkinder und unser Abitur-Teenie mussten mit. Bayerischer Wald, fragten sie mit hochgezogenen Augenbrauen, was sollen wir denn da?

Ich versprach eine traumhafte Natur, „wir wandern im deutschen Urwald“. Wasserfälle, wilde Tiere, monströse Gipfel, bemerkenswerte Menschen. Und ein Hotel mit Pool und Frühstücksbuffet. Es wurde genau so, einerseits. Doch dann verloren wir uns in den analogen 80ern und Weltkriegsgeschichten.

Tag 1: Zuerst sterben unsere Smartphones. Wir haben alle kein Netz. Was nutzt da unser Wissen, mit dem wir uns tagtäglich im digitalen Großstadtlabyrinth zurechtfinden? Hier, in den Tiefen des urbayerischen Lebensgefühls, ganz am südöstlichen Zipfel, eingepfercht zwischen tschechischer und österreichischer Grenze.

Die Smartphones sind tot und wir vergessen die Tochter

Der Opa packt sofort sein iPhone weg. Endlich kein Whatsapp mehr. Die Kinder marschieren geschlossen zur Rezeption, verlangen den Wlan-Code. „Funktioniert nur in der Stube“, schallt es ihnen entgegen. Sie kommen auch in den Folgetagen nicht darüber hinweg.

Leider vergessen wir alle, die Tochter, die mit der Wald-und-Wiesen-Bahn (die heißt wirklich so) und Taxi anreist, vorzuwarnen. Also steht sie mitten in der Nacht vor dem abgeschlossenen Hotel, das nur von ebendiesem Wald samt Wiesen umgeben ist, und versucht, sich bemerkbar zu machen, bis der Bruder auf die Idee kommt, nachzuschauen, wo sie bleibt.

Möchte noch mal in den bayerischen Wald: Kolumnistin Birgitta Stauber.
Möchte noch mal in den bayerischen Wald: Kolumnistin Birgitta Stauber. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der Bayer mit der Lederhose, was sagt er da?

Tag 2, wir starten unsere Touren und brauchen Proviant. Also frage ich in einem Dorf nach einem Lidl oder so, und ein Einheimischer mit Lederhose (das ist kein Witz) gestikuliert wild und sagt dabei „joh, do“ und noch viele Laute, die klingen wie oijoijoi Edeka oijoijoi.

Der Opa hat alles verstanden, wie gesagt, er kommt ja daher, und navigiert uns erst zum Edeka und dann in „sein“ Dorf, das aus einer kleinen weißen Kirche mit vielen Marienbildern und Jesusputten, einem Friedhof drumherum und „seinem“ alten Hof nebenan besteht. Ach ja, einen Maibaum gibt es auch noch.

Auf dem Friedhof heißen die Toten alle Maria und Josef, Anna, Georg und Kreszenz. Der Opa findet einen entfernten Verwandten unter ihnen und schaut hoch zum Kirchturm. „Im April fünfundvierzig haben sie da den SS-Mann runtergeschmissen“.

Die weiße Fahne hissen? Nur über eine Leiche

Da werden wir alle wach. Der Opa erzählt: Damals wollten die Männer des Dorfes die weiße Fahne hissen. Die Amerikaner waren schon in den Nachbardörfern. Der SS-Mann wollte das verhindern, dann gab es kurzen Prozess. Der Opa sah zu. Er war damals elf.

Wir laufen dann noch zur Scheune am Dorfrand, „wo sich damals der Sepp aufghängt hat“, sagt der Opa. Im Sommer „fünwefuchzich."

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Tag 3: Wir fahren zur Marktgemeinde, wo die Großtante, Opas Schwester, unlängst hochbetagt im Heim starb. Sie stand unter Betreuung vom Bürgermeister, der wollte sich gemeinsam mit dem Pfarrer ihr Geld und ihr Haus unter den Nagel reißen. Sagt der Opa.

Schweinsbraten, Surhaxe, Leberkäs und Knödel

Zurück im Hotel erholen wir uns im Whirlpool, wo schon die Ü-70-Truppe abhängt. Dann ist „bayerischer Abend“. Wir müssen uns beeilen, Essen gibt es nur zwischen 18 und 20 Uhr. Die Kinder ekeln sich vor den Senfeiern (dafür wird das hartgekochte Gelbe mit Senf zu einer Paste gerührt und wieder in die Eiweißmulde gespritzt) als Vorspeise. Ich erinnere mich an Partys, wo sie früher herumgereicht wurden - zu Käseigeln.

Ein sportlicher 85plus-Senior erzählt mir, er sei Stammgast, seit Jahrzehnten, vier mal im Jahr. An diesem Wochenende ist er mit Sohn, Schwiegertochter, Enkelin und Urenkelin da. Die Urenkelin, gerade 1, und unsere Kinder ziehen den Altersdurchschnitt von 80 auf, sagen wir, auf 75.

Der Koch schneidet Surhoxn, Schwoinsbraten, Spanferkel und Leberkas auf. In den Kesseln dampfen Weißkraut, Blaukraut, Sauerkraut. Und Knödel. Die Schweine seien aus der Region, sagt der Opa. „Die san scho guat“. Wir trinken alle Bier. Und, frage ich, fahren wir nächstes Jahr noch mal her? Klar, sagen die Kinder. Der Woid, der bayrische, is scho sche. Oder so.

Dieser Text erschien zuerst auf www.morgenpost.de

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