Berlin. Massentourismus ist verpönt – zu unrecht, sagt unsere Kolumnistin. Denn Touri-Hochburgen sind friedlich. Was kann also besser sein?

Es ist ja chic in gewissen Kreisen, mit dem Rucksack durch die Anden zu wandern. Oder Bilder von der Gorilla-Safari in Ruanda zu machen. Total sanfter Tourismus, total nachhaltig, wird mir dann erklärt. Und der Flug? Lasse sich nicht ändern. Immer noch besser als Ballermann. Costa Brava. Saufen in Kroatien. Oder Spießer-Urlaub am Gardasee.

Und nun steh ich an diesem Sonntag in der Schlange vor der besten Gelateria eben dieses spießigen Gardasees, genauer, am Hafen von Bardolino. Hinter mir fährt eine Art Bimmelbahn 70-plus-Urlauber durch den Ort, neben mir steigt ein 60-plus-Pärchen vom ­E-Bike, vor mir bestellt ein Familienvater mit Camping-Bändchen ums Handgelenk „viermal Schoko-Vanille in der Waffel mit Sahne“.

Die Bar nebenan ist voll besetzt, es ist erst elf Uhr am Vormittag, doch die Eiswürfel klirren schon in den bunten Spritz-Gläsern. Hellrot mit Aperol, transparent mit Martini, gelb mit Limoncello.

Urlaub am Gardasee: Den Beatles-Song „Yesterday“ im Kopf

Campingplatz-Deutsch mischt sich mit dem geträllerten „Yesterday“ des Kellners, die Melodie des Beatles-Klassikers stimmt, der Text beschränkt sich auf das eine Wort. Yester, Yester, Yesterday – ich weiß, ich werde die Zeile ein paar Tage in meinem Kopf behalten.

Ich bestelle auf Italienisch, stracciatella a due palle, „Waffel oder Becher“, fragt die junge Frau hinter dem Tresen, „Cono“, antworte ich stoisch, nehme mein Eis und setze mich auf eine Bank am Ufer, blinzle in die Sonne. Neben mir sitzt ein italienisches Pärchen, mittelalt, sie trägt Glitzer-Sneaker mit Steppjacke, er Lederschuhe mit Jackett. Sie diskutieren übers Essen, ich glaube, es geht um das bevorstehende Treffen mit der Familie.

Das kalte Gardasee-Wasser schreckt Camping-Urlauber nicht

Italiener, die singen und über das Essen reden, Deutsche, die bei 15 Grad kurze Hosen tragen zu Crocs, dem Plastikklassiker: Hier schlägt das Klischee zu, denke ich. Ein tiefes, friedliches Gefühl macht sich in mir breit. Wie gut die Stimmung hier ist. Ich höre ein kleines Mädchen, das seiner Mutter vom kalten Seewasser erzählt, in das es gerade den Fuß gehalten hat. Eine Gruppe Radfahrer in der Bar nebenan bricht in Gelächter aus.

Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne Frauengold über Politik, Familie und Gesellschaft
Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne Frauengold über Politik, Familie und Gesellschaft © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Was kann besser sein als Massentourismus an Orten, wo sich Menschen aus aller Welt mit Einheimischen treffen? Wo sie essen, baden, flanieren, Sport treiben, besichtigen? Dort, wo sich Urlaubsvolk durch alte Gassen schiebt, ist schließlich Frieden.

Beim Europa-League Spiel in Barcelona war auch die Hölle los

Ich sehe auf meinem Facebook-Profil, dass eine Menge Leute neulich beim Europa-League-Spiel in Barcelona waren. Prächtige Kulisse mit fast 100.000 Zuschauern. Sie werden hinterher oder vorher Tapas im Schichtbetrieb gegessen haben. Ostern war es auch auf Mallorca voll. Und in Heringsdorf auf Usedom. Auf Sylt. Auf den Kanaren.

Zu viele Touristen in Sirmione am Südufer des Gardasees? Das hat seinen Grund. Wo es voll ist, ist es meistens auch schön.
Zu viele Touristen in Sirmione am Südufer des Gardasees? Das hat seinen Grund. Wo es voll ist, ist es meistens auch schön. © dpa | Rosa Gamper

Am vergangenen Wochenende feierten die orthodoxen Christen Ostern. Ob sie traditionell verreisen? Mit der Familie feiern? War letztes Jahr zu Ostern noch die Touristenhochburg Odessa voll mit eisschleckenden, sonnenhungrigen Menschen aus dem nahen Moldau?

Tripadvisor empfiehlt immer noch Hotels in Mariupol und Charkiw

Bei Tripadvisor werden immer noch die zehn besten Hotels von Mariupol aufgelistet. Die Sehenswürdigkeiten, der Zoo, die Moschee, der Strand, das Theater. Die coolste Bar, wo noch im Dezember aufgetakelte junge Frauen Selfies mit knappen Kleidern posteten, ihre perfekten Körper vor fancy Drinks. Ich google Charkiw und finde ein Angebot vom Flughafen Dortmund, das die Stadt unter Dauerbeschuss an der russischen Grenze als Geheimtipp für Geschäftsleute und Touristen preist.

Wieder schlägt dieses Gefühl zu, das uns so fassungslos gegenüber diesem russischen Angriffskrieg macht: Hier werden Menschen ausgebombt, vertrieben, getötet, die so leben wie wir. Mit Familie, Job, Urlaub, Freizeit. Ein Waffenstillstand kann nur ein Anfang sein. Echter Frieden in der Ukraine ist erst erreicht, wenn das Urlaubsvolk auf der Strandpromenade von Mariupol oder Odessa wieder so selbstverständlich flaniert wie in Bardolino oder Heringsdorf.

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