Berlin/Wien. Österreich setzt weitreichende Lockerungen der Corona-Maßnahmen um. Unklar ist hingegen, wie es mit der Impfpflicht weitergehen soll.
Es war ein bemerkenswerter Auftritt der österreichischen Bundesregierung am vergangenen Mittwoch: Hatte das Land im Pandemie-Management bisher auf der vorsichtigen Seite gestanden, wurde da genau am Peak der fünften Welle (die Inzidenz liegt bei 2355,8, ein Abwärtstrend deutet sich erst leicht an, Stand: 17. Februar 2022) das Ende aller Maßnahmen verkündet. Bereits mit kommendem Samstag werden praktisch alle 2G-Begrenzungen auf 3G ausgeweitet. Ab dem 5. März sollen dann in Österreich de facto alle behördlichen Corona-Einschränkungen fallen. Bis auf eine: die Impfpflicht.
Österreich: Impfpflicht soll ab 15. März durchgesetzt werden – eigentlich
Von der Impfpflicht war am Mittwoch kaum die Rede. Nur so viel: Ab 15. März, so wie auch bisher geplant, soll die Maßnahme geahndet werden, so Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) in einem TV-Interview. Dass er das so betonte, hat gute Gründe: Zuletzt hatte alles darauf hingedeutet, dass die mit vielen Mühen ausverhandelte und durchs Parlament gepeitschte Maßnahme vor dem Aus steht. Niemand geringerer als der Kanzler selbst hatte die Maßnahme zuletzt öffentlich in Frage gestellt. Auch interessant: Corona-Regeln: Wann fällt die Maskenpflicht in Deutschland?
In einem Interview mit der Sonntagsausgabe der reichweitenstärksten österreichischen Tageszeitung "Krone" hatte Karl Nehammer gemeint: "Eine Kommission von Juristen und Ärztinnen und Ärzten beurteilt ständig neu, ob Impfen noch das rechtmäßige Mittel ist. (...) Und auf der anderen Seite ist es wichtig, den Menschen ihre Freiheiten zurückzubringen." Und auf die Nachfrage, ob das Gesetz denn bald Geschichte sei sagte er: "Wenn es die Expertinnen und Experten so beurteilen und der Regierung vorschlagen, dann ja." Lesen Sie auch: Corona: Werden Brot und Brötchen durch Energiepreise teurer?
Allerdings: Die Expertenkommission, die Nehammer da so direkt nannte, die ist noch nicht einmal eingesetzt. In der Tat hatten Experten zuletzt vermehrt Zweifel an Sinnhaftigkeit der Maßnahme geäußert. Oder: Vor allem am Zeitpunkt im Frühjahr. Vor allem aber steht nicht weniger als die administrative Machbarkeit in Frage.
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Gesetz zu Impfpflicht in Österreich: Was vorgesehen ist
Das Gesetz sieht vor, dass Impfungen wie Ausnahmen in einem elektronischen System zentral erfasst werden. Diese Daten ergehen an Bezirksverwaltungsbehörden. Diese schicken schließlich Abmahnungen an ungeimpfte und nicht ausgenommene Personen aus. Nicht-Einzahlungen von Strafen oder Beeinspruchungen ergehen in Folge an Landesverwaltungsgerichte. Soweit die Theorie. Lesen Sie mehr: Ärger um Genesenenstatus: Lauterbach entzieht RKI Befugnis
Die Praxis sieht so aus: Da sind einmal Probleme mit dem zentralen Register. Die Rede ist von technischen Hürden, aber auch Datenschutzbedenken. Und: Von Länderseite war man davon ausgegangen, dass Ausnahmebescheinigungen vom Bund in das System eingemeldet werden würden. Der Bund weigert sich aber. Nun wurden auf Landesebene eilig Systeme installiert.
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Medizinische Debatte um Impfpflicht entbrannt
Zudem ist eine medizinische Debatte über die Ausnahmen und deren Sinnhaftigkeit entbrannt. Zum Beispiel: Als Ausnahme gilt eine medikamentöse Immunsupprimierung – zum Beispiel bei Krebs- oder Autoimmunerkrankungen. Sprich: Personen mit hohem Risiko, schwer zu erkranken. Personen vor allem auch, die zu Beginn der Impfkampagne priorisiert wurden.
"Ich kenne mich schon noch aus, aber nur weil ich mich täglich damit beschäftige", so ein Allgemeinmediziner. Und er sagt: "Als Normalsterblicher hätte ich das Handtuch geworfen." Er fügt noch ein Beispiel an: "Zweimal geimpft und erkrankt, da gelten dann andere Maßnahmen als für erkrankt und zweimal geimpft. Das ist medizinisch nicht nachvollziehbar."
Hinzu kommt die administrative Fülle: Im Sinne des Impfpflicht-Gesetztes wären im 9-Millionen-Land Österreich aktuell rund 1,3 Millionen Menschen abzumahnen. Auszugehen ist davon, dass viele davon eine Strafe nicht zahlen würden. Auszugehen ist auch davon, dass viele vor Gericht ziehen. Der Mehraufwand für Verwaltung und Gerichte ist kaum abzuschätzen.
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Mediziner: Vertrauen der Patienten in Mitleidenschaft gezogen
Der Effekt von alldem ist unmittelbar. Der zitierte Allgemeinmediziner sagt dazu: "Das hat Auswirkungen auf die Impfbereitschaft. Wenn mir meine Patienten sagen: Wissen die eigentlich, was sie tun? Und ich hab keine Antwort darauf." Patienten seien verunsichert "durch dieses Rauf, Runter, Links, Rechts, mal so, mal so." Der schwerwiegendste Schaden sei aber vor allem das zerstörte Vertrauensverhältnis. Denn, so sagt er auch: "Das Vertrauen ist das Wesentliche in einer medizinischen Behandlung." Lesen Sie hier: Corona-Gipfel: Ab wann gelten die neuen Regeln?
Das schlägt sich in den Zahlen nieder: Die Zahl der Erstimpfungen liegt in Österreich aktuell bei täglich um die 1000 oder darunter. Die allermeisten davon sind Jugendliche. Laut einer Studie der Uni Wien liegt der Anteil unter ungeimpften Personen, die noch zu einer Impfung zu bewegen wären, im unteren einstelligen Bereich. Auch interessant: Corona-Pille: Wann es Paxlovid endlich in Deutschland gibt
Und hier kommen wieder die Öffnungen ins Spiel: An sich hatte die Regierung parallel zur Impfpflicht ein positives Anreizsystem angedacht. Konkret: Eine Impflotterie. Nur, dass es sich mit dieser Lotterie wie mit der Impfpflicht verhält. Wie sich gezeigt hat, ist die rechtlich wie organisatorisch praktisch nicht durchführbar. Die Idee wurde begraben. Die Alternativ-Frohbotschaft: Öffnungen. Erst in der kommenden Woche soll offiziell über den Fortbestand der Impfpflicht entschieden werden.
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