Wolfsburg. „Voetbal totaal“, Erik ten Haag und Titel in Eindhoven – der Coach der VfL-Fußballerinnen steht vor seinem vielleicht größten Holland-Moment.

Das Champions-League-Endspiel in Eindhoven gegen den FC Barcelona – es wird etwas ganz Besonderes für den VfL Wolfsburg. So nah an der VW-Stadt fand bisher keines der fünf Finals statt, und so viele Fans wie dieses Mal (4629 Tickets gingen über den VfL weg) haben den Klub noch nie unterstützt. Für Trainer Tommy Stroot hat die Partie im Stadion der PSV Eindhoven noch einmal eine ganz besondere Bedeutung, aus der er schon zu Saisonbeginn keinen Hehl gemacht hatte: In den Niederlanden war sein Trainerstern aufgegangen – und in Eindhoven durfte er zwei seiner größten Erfolge feiern, den zweiten sogar im Finalstadion vom Samstag.

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Im Herbst 2020 hatte Stroot in Wolfsburg unterschrieben, im Sommer des Folgejahres trat er seinen Job beim VfL an. Bereits im März 2020 hatte die Uefa Eindhoven als Finalort 2023 festgelegt. Bereits vor dem Beginn der laufenden Saison sagte der Trainer im Interview mit unserer Zeitung: „Genau dieses Spiel in Eindhoven hatte ich von vornherein in meinem Kopf.“

Mit dem FC Twente wurde Tommy Stroot (Mitte) zwei Mal Überraschungsmeister in den Niederlanden.
Mit dem FC Twente wurde Tommy Stroot (Mitte) zwei Mal Überraschungsmeister in den Niederlanden. © imago images/Pro Shots | via www.imago-images.de

Stroot und die Titel mit Twente: So, als würde Hoffenheim deutscher Meister

Dass Stroot gar kein Niederländer ist, aber gerade in seiner Anfangszeit in Wolfsburg gerne mal als solcher bezeichnet wurde, kann der gebürtige Nordhorner gut wegstecken. Seine Mutter ist Niederländerin, er selbst ist aber im deutsch-niederländischen Grenzgebiet einsprachig mit Deutsch aufgewachsen. Mit 14 Jahren sammelte er erste Trainererfahrungen, coachte beim SV Grenzland Twist im Emsland die Mannschaft seines jüngeren Bruders, übernahm die Frauen der FSG Twist, dann Victoria Gehrden und ging mit deren Frauenabteilung zum SV Meppen. Erst trainierte der gelernte Physiotherapeut die B-Juniorinnen, dann drei Jahre die Frauen in der 2. Liga.

Der Weg aus dem Emsland in die Niederlande war kurz, aber entscheidend für seinen Werdegang als Trainer. „Ich habe vom holländischen Fußball sehr viel mitgenommen“, so Stroot. Der FC Twente Enschede holte ihn 2016 aus Meppen. Stroot musste schnell die Sprache lernen, sich schnell zurechtfinden. Es gelang hervorragend. Twente trotzte der Konkurrenz der großen Klubs Ajax Amsterdam und PSV Eindhoven, wurde in den fünf Jahren unter Stroot zwei Mal Meister, ein Mal Pokalsieger. Stroots Vergleich dazu: „Es war so, als würde Hoffenheim in Deutschland den Titel holen.“ Sprich: Die Dominanz von VfL und dem neuen Meister Bayern brechen.

„Voetbal totaal“ und Kontakte mit ManUnited-Coach ten Haag

Der 34-Jährige sagt über seine Zeit in Enschede weiter: „Es war eine total prägende Zeit. Die ganze Anlage des Fußballspiels ist immer noch ein Kern meiner Arbeit. Wie wollen wir spielen, wie wichtig ist der Ball im Spiel. Da hat mich Holland mit allen Eigenschaften, die zum niederländischen Fußball gehören, total geprägt.“ Der VfL-Trainer nennt den großen Johan Cruyff und „Voetbal totaal“, den totalen Fußball. Dabei geht’s nicht nur um die pure Dominanz, sondern auch um das gemeinsame Verteidigen und Angreifen. Dass Stroot Flexibilität bei seinen Spielerinnen schätzt, ist auch beim VfL immer wieder zu sehen, wohin er Enschede ein Jahr vor Vertragsende 2021 verließ. Für ihn ein großer Vorteil dieser Idee: Der Gegner kann sich nie sicher sein, was die Wolfsburgerinnen genau vorhaben. Gerade im Offensivspiel wird immer wieder getauscht. Paradebeispiel hierfür ist allerdings Anführerin Alexandra Popp, die unter Stroot außer Innenverteidigerin und Keeperin eigentlich schon alles gespielt hat.

Stroot, der in fast zwei Jahren in Wolfsburg schon Meister und zweifacher Pokalsieger wurde, zehrt von vielen Kontakten aus dieser Zeit. Einer ist der zu Erik ten Haag. Stroot lernte ihn als Trainer von Ajax Amsterdam kennen, eine Twente-Vergangenheit hat der aktuelle Coach von Manchester United auch. „Wir haben immer wieder Kontaktmomente“, erzählt Stroot. „Wir gratulieren uns für Erfolge, die er sammelt oder ich sammele. Das ist etwas, wo ich aktuell sehr viel rausziehe.“

Erfolgsgaranten bei den VfL-Frauen: Macher Ralf Kellermann (rechts) und Trainer Tommy Stroot nach dem Sieg im DFB-Pokalfinale 2022.
Erfolgsgaranten bei den VfL-Frauen: Macher Ralf Kellermann (rechts) und Trainer Tommy Stroot nach dem Sieg im DFB-Pokalfinale 2022. © regios24 | Darius Simka

Schon zwei Mal bejubelte Stroot Titel in Eindhoven – folgt Samstag der dritte?

Seiner langen und erfolgreichen Zeit in Enschede verdankt Stroot es, dass man in ihm häufig den Niederländer sieht, der er nicht ist, seinen Nachnamen fälschlicherweise mit einem scharfen „S“ am Anfang spricht statt mit „Sch“. Witzigerweise gibt es in der Nähe von Enschede ein Naturgebiet, das tatsächlich ’t Stroot heißt. Mit Blick auf den Wolfsburger Trainer passt das auch irgendwie besser als die Bezeichnung für eine Partymeile. Denn auch in den großen Erfolgsmomenten ist der 34 Jahre alte Familienvater eher der stille Genießer, der die Freude daraus zieht, seine Mannschaft eskalieren zu sehen.

Der VfL-Trainer ist keiner, der seine Emotionen nach außen trägt, schon gar nicht während der Spiele. Sein Fokus gilt immer dem, was als nächstes passieren würde. Würde er leiden und jubeln wie Jürgen Klopp, dann wäre das nicht er. Ob sich das am Samstag im Falle eines Champions-League-Erfolgs ändert? Schwer zu sagen, aber auch schwer vorstellbar. Es wäre aber für nicht nur für einen Großteil der Wolfsburger Mannschaft, sondern auch für ihren Chefcoach, der aktuell den Pro-Lizenz-Lehrgang beim DFB absolviert (besser bekannt als Fußballlehrer) der größte Erfolg seiner Laufbahn.

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Und das eben an einem für ihn ganz besonderen Ort. „Die erste Meisterschaft haben wir mit Twente in Eindhoven entschieden, dort den Pokal gewonnen, und mein allerletztes Spiel in Holland fand in Eindhoven im großen Stadion statt. Und weil wir schon Meister waren, konnte ich das auch genießen.“ Am Samstag wartet der FC Barcelona. Er fügte dem VfL im Vorjahres-Halbfinale im Camp Nou mit dem 1:5 eine der empfindlichsten Niederlagen der jüngeren Vergangenheit zu. Stroot nimmt daher voll und ganz die Außenseiterrolle an. Und trotzdem rechnet sich gute Chancen aus. Nicht zuletzt, weil dieses Finale nun eben nicht im Camp Nou steigt, sondern gewissermaßen in seiner fußballerischen Heimat, und hier in einer seiner liebsten Städte.

Champions-League-Finale in Eindhoven: VfL Wolfsburg – FC Barcelona, Sa., 16 Uhr, live bei Dazn und im ZDF.