Braunschweig. Schon im April in Braunschweig erwartet Daniela Behrens die Umsetzung neuer Sicherheitskonzepte. Dabei steht eine Drohung im Raum.

Für Innenministerin Daniela Behrens ist klar: Noch ein Niedersachsen-Derby mit derart schweren Krawallen wie beim Hinspiel in Hannover wäre nicht mehr hinnehmbar. Im Interview mit unserer Zeitung betont die SPD-Politikerin vier Wochen vor dem Rückspiel in Braunschweig die Verantwortung der Vereine in puncto Sicherheit. Kämen sie dieser nicht nach, wären Gebührenbescheide für Polizeieinsätze, Gästefan-Verbote und personalisierte Tickets eine mögliche Konsequenz.

Frau Ministerin, GdP-Landeschef Kevin Komolka hatte zuletzt gegenüber unserer Zeitung gesagt, einige Fans würden die Polizei als „ein Feindbild“ sehen. Teilen Sie seine Einschätzung?

Richtig ist, Polizistinnen und Polizisten spüren aktuell eine große Unruhe in der Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik wider, in der wir in fast allen Deliktsbereichen eine Zunahme sehen. Viele gesellschaftliche Gruppen bringen derzeit ihren Protest auf die Straße, wie beispielsweise die Landwirte, oder aber demonstrieren für Demokratie und Menschenrechte. Doch Gewalt erleben Beamtinnen und Beamte bei diesen Demonstrationen eher selten. Dies ist eher in ihren Alltagseinsätzen oder eben bei Fußballeinsätzen der Fall. Diese Situation ist so nicht mehr zu akzeptieren.

Wie stellt sich denn die Situation im Stadion für Sie da?

Wir haben schon vor der Coronapandemie eine Zunahme der Gewalt gegen Polizeibeamte gespürt. Dann gab es durch die Pandemie eine Delle, aber danach hat es wieder deutlich zugenommen. Die Ultras sind gewalttätiger geworden, das sehen wir anhand der Zahl der Störungen im Stadion, der Ermittlungsverfahren und der erforderlichen polizeilichen Maßnahmen, insbesondere bei den Risikospielen. Allerdings habe ich, seit ich Innenministerin in Niedersachsen bin, nicht das Gefühl, dass das im Fußballbetrieb irgendjemanden groß interessiert. Das beinhaltet ausdrücklich auch die Vereine. Für mich steht fest: Ohne die Polizei, die die Spiele sichert, ist in den ersten drei Ligen kein Fußball mehr möglich. Das ist ein Armutszeugnis.

Was ist Ihr Schluss daraus?

Schauen Sie beispielsweise nach Großbritannien. Dort gab es große Probleme mit Hooligans im Stadion, heute herrscht dort eine sehr befriedete Situation. Das heißt nicht, dass ich britische Verhältnisse auf Deutschland übertragen will. Ich erwarte vielmehr, dass die, die in der Verantwortung sind, sich um das Thema kümmern. Kein einziger Polizist hat eigentlich etwas im Stadion zu suchen. Wir müssen aber ins Stadion, weil es die Situation notwendig macht. Warum ist das so? Weil die Veranstalter nur unzureichende Sicherheitsvorkehrungen treffen. Das ist die Debatte, die ich führe.

Es gibt Fußballfans, die sagen, zu viel Polizei fördert eine aggressive Stimmung. Was entgegnen Sie?

Wer Gewalt anwendet, ist für mich erstmal kein Fan, sondern ein Gewalttäter. Diese Gruppe stellt im Stadion aber eine winzige Minderheit dar. Diese Minderheit ist offensichtlich auch nicht wirklich am Sport interessiert, ansonsten würde sie ja nicht ständig Pyros zünden und damit für wenig Durchblick und Spielunterbrechungen sorgen. Ich werde deshalb auch sehr unruhig, wenn unsere Polizeikräfte mit Gewalttätern gleichgesetzt werden. Die Polizei reagiert auf die Gewalt, die diese Chaoten ausüben. Wir können uns ja mal ein Bundesliga-Wochenende vorstellen, das nicht von der Polizei gesichert wird. Ich fürchte, das würde ganz schrecklich in die Hose gehen. Meine Position ist deshalb sehr klar: Die Gewalt muss raus aus den Stadien! Und ich bin sicher: Diese Position wird auch von einer Mehrheit der Menschen in unserem Land geteilt.

Woran machen Sie das fest?

Als Politikerin erhält man in der Regel nicht gerade viel Fanpost, aber ich bekomme Briefe von Familienvätern, die mich unterstützen, weil sie Angst um sich und ihre Kinder haben – im Stadion, aber auch auf dem Weg dorthin. Da sind insgesamt sehr viele Zuschriften, die meine Position stützen. Noch mal: Die Polizei sucht nicht den Konflikt. Sie hat aber den gesetzlichen Auftrag, einzuschreiten, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Und wenn es die Lage erforderlich macht, gilt das auch für den Block. Aber kein Polizist und keine Polizistin geht gerne da rein.

Sie haben nach den Gewaltausbrüchen beim Niedersachsen-Derby in Hannover eine letzte Warnung an die Vereine ausgesprochen. Was erwarten Sie mit Blick auf das Rückspiel?

Beim Hinspiel in Hannover sicherte die Polizei das Niedersachsen-Derby mit einer hohen Anzahl an Einsatzkräften. Die Kosten: rund eine Million Euro. Ausschreitungen im Stadion konnten dennoch nicht verhindert werden. Innenministerin Daniela Behrens sagt: Eintracht Braunschweig und Hannover 96 hätten „zu lange zu wenig gemacht“.  
Beim Hinspiel in Hannover sicherte die Polizei das Niedersachsen-Derby mit einer hohen Anzahl an Einsatzkräften. Die Kosten: rund eine Million Euro. Ausschreitungen im Stadion konnten dennoch nicht verhindert werden. Innenministerin Daniela Behrens sagt: Eintracht Braunschweig und Hannover 96 hätten „zu lange zu wenig gemacht“.   © dpa | Moritz Frankenberg

Ich bin der Meinung, dass die Vereine zu lange zu wenig gemacht haben. Daher habe ich zunächst den Dialog mit Hannover 96 und Eintracht Braunschweig begonnen, denn hier besteht mit Blick auf Niedersachsen das größte Eskalationspotenzial. Ich erwarte, dass dieser Dialog schon beim Derby in Braunschweig im April Früchte trägt.

Heißt?

Die Vereine sollen endlich die Hinweise der Polizei im Vorfeld ernst nehmen und auch umsetzen. Es geht um strikte Fan-Trennung, um bauliche Maßnahmen, die für mehr Sicherheit sorgen. Natürlich geht es um weniger Pyrotechnik, weniger diskriminierende Banner und um einen Ordnungsdienst, der den Namen auch verdient. Einige Ordner, die ich im Stadion erlebe, haben die Ultras schlicht nicht im Griff. Ich habe aber nach wenigen Monaten des Dialogs das Gefühl, dass ich hier sowohl bei Herrn Kind als auch bei Frau Kumpis auf offene Ohren stoße.

Und wenn es wieder eskaliert? Steht Ihre Aussage, im Zweifel die Vereine auch für Polizeieinsätze zahlen zu lassen?

Das ist der Weg, den die Bremer gehen. Für mich ist das allerdings eher eine Notwehr-Debatte. Wenn sich die Vereine nicht bewegen, werden wir darüber reden müssen. Dann muss ich irgendwann eine Rechnung stellen und der Gebührenbescheid ist unausweichlich.

Verstehen wir Sie richtig? Die Kosten wollen Sie nur für Einsätze der Polizei im Stadion erstattet bekommen, also die An- und Abfahrtswege bleiben letztendlich Kosten, die der Steuerzahler trägt?

Denkbar wäre eine solche Aufteilung, aber für diese Debatte ist es im Detail noch zu früh. Grundsätzlich ist es so, dass die Polizei für die Sicherheit im öffentlichen Raum zuständig ist. Wenn die Veranstalter ihrer Pflicht im Stadion nicht nachkommen und die Polizei deshalb einschreiten oder Sicherheitsrisiken kompensieren muss, sind das vermeidbare Aufwände für die Polizei.

Was halten Sie von anderen Stufen der Abschreckung? Personalisierte Tickets, Alkoholverbot oder den Ausschluss von Gästefans…

Der DFB hat sich ja selbst eine Richtlinie gegeben. Die Punkte, die Sie aufzählen, stehen eigentlich schon alle dort drin. Es gibt bei diesem Thema ja kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Problem in der Umsetzung. Der Druck der deutschen Innenminister auf DFB und DFL ist hier inzwischen groß. Auf der vergangenen Innenministerkonferenz habe ich viel Zuspruch für meine Position erfahren. Wir haben unisono die klare Erwartungshaltung, dass die Verbände die selbst gesteckten Ziele auch umsetzen. Absichtserklärungen reichen aber nicht mehr, es geht um Ergebnisse: Gibt es weniger verletzte Polizistinnen und Polizisten, gibt es weniger Gewalt im Stadion? Das muss die Marschroute sein.

Im Zweifel würden Sie also auch die Gästekurve dicht machen?

Es darf da keine Denkverbote geben, aber natürlich wäre das eine Ultima Ratio, denn so eine Maßnahme hätte immer das Potenzial, die Lage weiter zu eskalieren. Daran habe ich und daran hat auch die Polizei kein Interesse. Es ist jetzt an den Vereinen, zu handeln und die Lage auch emotional abzukühlen. Zur Fairness gehört aber auch, dass Eintracht Braunschweig und Hannover 96 jetzt die Zeit bekommen, die Defizite, die wir ihnen ganz deutlich aufgezeigt haben, zu beseitigen.

Hohen Geldstrafen für Fan-Vergehen steht eine geringe Anzahl von aktuell umgesetzten Stadionverboten gegenüber. Ducken sich hier die Vereine aus Ihrer Sicht weg oder fehlt es an der Technik, diese Stadionverbote rechtssicher durchzusetzen?

Nein, wir haben die Technik, die Straftäter zu überführen. Aber die Vereine gehen mit dem Thema Stadionverbot zum Teil sehr zurückhaltend um. Die Ultras haben ja in Teilen durchaus auch eine Machtbasis innerhalb der Vereine. Das ist ein Spagat, den die Vereine leisten müssen. Das ist mir klar. Die Durchsetzung von Stadionverboten scheitert aber nicht an der rechtlichen Handhabe.

Welche Möglichkeiten gibt es noch, den Druck auf die Vereine hochzuhalten, damit Sicherheitskonzepte halten, was sie versprechen?

Die nächste Sportminister-Konferenz im April wird DFB und DFL deutlich machen, dass die Zeit der Zurückhaltung zu Ende sein muss. Ich erinnere in dem Fall auch immer wieder gerne daran, dass die Polizei in allen Ländern vor der Saison ihr Einvernehmen zu den Sicherheitskonzepten der Veranstalter geben muss. Die Tragweite der Entscheidung der Polizei ist vielleicht dem ein oder anderen Vereinsvertreter nicht so bewusst.

Also, eine letzte Chance für Eintracht und 96?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Die Mehrheit der Menschen im Stadion will einfach nur guten Fußball sehen und ist friedlich. Die nimmt die Polizei auch als Gewinn wahr. Wir reden hier über eine kleine, aber eben sehr aggressive Minderheit, die sich nicht an Regeln hält und die uns schwer beschäftigt. Es liegt nicht an der Polizei, wenn Kommunikation nicht stattfindet. Wir haben diverse Dialogformate und Personen, die dafür vor Ort zuständig sind. Aber auf Seiten der Ultras sehe ich kein großes Interesse an einer Kommunikation mit der Polizei.

Zuletzt eskalierte die Situation nach dem Spiel Eintracht gegen Hertha. Es gab Verletzte aufseiten der Fans und der Polizei. Müssten solche Einsätze nicht wesentlich schneller von der Polizei aufgearbeitet werden, um ersten Eindrücken, die oftmals über die sozialen Medien transportiert werden, entgegenzuwirken?

Ich finde es im Gegenteil sehr professionell, die Qualität und Präzision der Ermittlungen in den Vordergrund zu rücken und keine voreiligen Kommentare zu veröffentlichen. Die Polizei ist bestrebt, grundsätzlich einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen und auch transparent in den sozialen Medien zu agieren und zu reagieren. Rund um ein Fußballspiel ist es in meinen Augen umso wichtiger, dass eine abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit stattfindet und man Ereignisse gemeinsam analysiert und darstellt. Ich will noch mal klarstellen, dass es sich beim Eintracht-Spiel nicht um einen aus dem Ruder gelaufenen Einsatz gehandelt hat. Die Beamtinnen und Beamten sind hier auf eine sehr aggressive Szene getroffen, die sich auch offenbar an der Polizei reibt und den Konflikt auch offen sucht. Die Polizei ist für diese Gruppen ein Hassobjekt, das war auch in Braunschweig so. Und ich reagiere mittlerweile auf Banner wie „All Cops are Bastards“ oder „Bullen sind Schweine“ sehr allergisch.

Sie sagen, Sie reagieren sehr allergisch. Was fordern Sie?

Hier wünsche ich mir von DFB und DFL eine klarere Haltung. Ich kann Choreos, die manchmal wenig geschmackvoll sind, genauso aushalten wie Schmähgesänge, aber „ACAB“-Plakate oder verbrannte Polizeiuniformen sind inakzeptabel. Hier müssen sich die Vereine auf die Seite des Staates stellen, auf die Seite der Polizei. Daher brauchen wir die genaue Kontrolle, was die Ultragruppen ins Stadion bringen. Im Zweifel muss dann ein Spiel einmal so lange unterbrochen werden, bis solche Banner abgehängt sind.

Wenn man weiß, wie intensiv die Polizeieinsätze rund das Niedersachsen-Derby sind und wie hoch die Kosten, die entstehen, stellt sich schon noch eine Frage, Frau Behrens: Wünschen Sie Eintracht den Abstieg? Oder doch lieber 96 den Aufstieg?

Die Frage ist gemein, denn ich wünsche allen Vereinen aus Niedersachsen den größtmöglichen sportlichen Erfolg. So wie ich das derzeit einschätze, werden beide Szenarien eher nicht eintreten. Für die Polizei bedeutet das, dass man sich diesen besonderen Einsatzlagen weiter stellen muss. Das wird sie auch tun.