Hannover. Ermin Bicakcic opfert sich bei der Derby-Niederlage für Eintracht Braunschweig auf. Warum es nun mehr Führungsspieler wie ihn braucht.

„Vielleicht hätte es so eine Szene eher gebraucht“, sagte ein erstaunlich aufgeräumter Ermin Bicakcic nach der 0:2-Niederlage im Derby gegen Hannover 96. Gemeint war die Situation in der Nachspielzeit, als Eintracht Braunschweigs Verteidiger nach einem harten Zweikampf Stirn an Stirn mit Hannovers Fabian Kunze ins Zwiegespräch ging. „Ich gehe ins Tackling, er geht mich an und kommt mir blöd, dann komme ich ihm halt auch blöd“, sagte der erfahrene Fußball-Profi lapidar.

Doch seine erste Aussage hatte vielmehr Gewicht, denn sie führte einem das ganze Dilemma des Tabellenletzten der 2. Fußball-Bundesliga vor Augen. In keinem Zweikampf zuvor hatte man das Gefühl, dass die Braunschweiger hier ein Derby spielen. Hannover spielte hingegen dauerhaft im Grenzbereich zwischen erlaubter und unerlaubter Härte.

Eintracht Braunschweigs Ermin Bicakcic nimmt die Mannschaft in die Pflicht

Den mutlosen Auftritt kritisierte auch der kürzlich zum Team gestoßene Bicakcic: „Gewisse Grundprinzipien muss man einfach an den Tag legen. Und zwar über 90 Minuten und nicht nur phasenweise.“ Jeder einzelne Spieler, auch er selbst, müsse sich hinterfragen, „dass wenn er auch dem Platz steht, 100 Prozent gibt und seine Aufgabe erfüllt“. Der Rückkehrer tat das zweifellos, schmiss seinen Körper in jeden Ball und lieferte nur anderthalb Wochen nach seiner Verpflichtung aus der Vereinslosigkeit ein Spiel über 90 Minuten mit vollem Einsatz und Herzblut. Andere Spieler verkrochen sich förmlich.

Doch Bicakcic wollte niemandem auf dem Platz etwas absprechen. „Aber es muss umgesetzt werden. Wir können nicht nur reden und hoffen und sagen, dass wir Gas geben. Wir müssen Gas geben“, bekräftige der Routinier, der in der vergangenen Woche gesagt hatte, dass bei ihm das Feuer auf jeden Fall brenne. Das zeigte er vor 42.000 Zuschauern im Niedersachsen-Stadion eindrucksvoll. „Aber wir müssen gucken, wie wir das Feuer entfachen. Die Glut ist da“, zeigte sich der Bosnier hoffnungsvoll.

Er ist erst kurze Zeit da. Und schon ist er ein Führungsspieler. Und für den neuen Eintracht-Trainer, der zu Wochenbeginn vorgestellt werden soll, führt eigentlich kein Weg daran vorbei, den Bundesliga-erfahrenen Abwehrspieler zum Kapitän zu berufen. Jannis Nikolaou, der aktuell die Binde trägt, ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt - und das nicht erst seit dem Herbst. Für ihn könnte es eine Befreiung sein, ein wenig Verantwortung abzugeben. Andererseits ist der Mittelfeldspieler mit seiner Vertragsverlängerung und dazugehörigen Gehaltssprüngen in seiner vierten Saison in Braunschweig eigentlich dran, voranzugehen.

Momentan schafft es weder er noch ein anderes Mitglied des Mannschaftsrates, den der geschasste Trainer Jens Härtel zusammenstellte. Einige diese zu Führungsspielern auserkorene Akteure spielen sportlich aktuell eine untergeordnete Rolle. Die Präsenz eines Jasmin Fejzic (Karriereende) wurde nie richtig ersetzt. Bis jetzt womöglich.

Ermin Bicakcic ist froh über die Unterstützung von Eintracht Braunschweigs Fans

Bicakcic hat das Zeug dazu, einen verunsicherten Kader mit seiner klaren Ansprache wenigstens ein bisschen zurück in die Spur zu bringen. Dabei setzt der ehemalige Hoffenheimer auch weiter auf die Unterstützung der Fans. „Da ist ein brutaler Rückhalt trotz der aktuellen Situation. Und das ist nicht selbstverständlich“, so der Profifußballer.

Dass sich unter den Braunschweiger Anhängern Resignation breit macht, ist aber ein gefährliches Zeichen. Am Abend warteten sieben Polizei-Wagen vor dem Stadion an der Hamburger Straße, aber nur ein paar Leute, die den Mannschaftsbus in Empfang nahmen. Wenn eine Derby-Niederlage nicht einmal Emotionen hervorruft, dann läuft Eintracht Braunschweig Gefahr, egal zu werden.

Nur mit leidenschaftlichen Auftritten ist dieses Problem aus der Welt zu schaffen - ganz unabhängig davon, ob man sich noch einmal aus dieser aussichtslosen Situation befreien kann. „Den Ernst der Lage muss jetzt auch der Letzte von uns verstanden haben“, fordert Bicakcic von seinem Team.

In Hannover hatte dem Mentalitätsspieler Aggressivität und Präsenz im Team gefehlt. Exemplarisch dafür nannte er die Situation, die zum Elfmeter für Hannover führte. „Den Ball musst du, in meiner Sprache gesagt, vorher wegwichsen. Das darf einfach nicht sein“, sprach er Klartext. Bicakcic zählte damit nach kurzer Zeit im Klub seine Mitspieler an. Das ist bemerkenswert. Dem 1,85-Meter-Mann geht es offensichtlich um die Sache und nicht um Sympathiepunkte innerhalb des Teams. Er könne sich nur persönlich bei den Braunschweiger Fans für den Auftritt entschuldigen. „Aber wir können das jetzt nur gemeinsam packen“, sagte er. „Wenn du Scheiße am Fuß hast, ist das nicht so einfach. Aber da müssen die Führungsspieler vorangehen - allen voran ich.“ Dass er das sagt, obwohl er bei den meisten Niederlagen noch gar nicht auf dem Platz stand, spricht für ihn. Er nimmt sich in die Verantwortung - und das Team auch. „Wir müssen liefern“, weiß er.

Dabei ist es ihm egal, wie der Gegner heißt. Das Kellerduell der Krisenklubs Braunschweig und Osnabrück (Samstag, 13 Uhr) herauszuheben, kommt ihm nicht in den Sinn. Bicakcic sagt: „Jedes andere Spiel ist extrem wichtig. Mir ist scheißegal, gegen wen wir spielen. Wir können Punkte gegen jeden einfahren, aber müssen es jetzt auf den Platz bringen und nicht bloß davon reden.“

Am Sonntag gegen Hannover war nichts davon zu sehen, dass die Eintracht punkten könne. Aber es war ein Bicakcic zu sehen, der sich aufopferte und an die Mission Klassenerhalt weiter glaubt. Mit seinem Mut, seiner Klarheit und seinem Selbstbewusstsein sticht er als Profi aktuell heraus. An ihm muss der Rest sich nun aufrichten.