Braunschweig. Jens Härtel musste Braunschweig verlassen, der Sport-Geschäftsführer nicht. Die Personalie sorgt für viele Diskussionen. Auch intern.

Natürlich haben sie auch über ihn gesprochen, die entscheidenden Gremien Eintracht Braunschweigs. Wohl kein Sport-Geschäftsführer, der in viereinhalb Jahren fünf Trainer verschlissen hat, behält sein Amt gänzlich kritiklos. Auch nicht Peter Vollmann beim Fußball-Zweitligisten aus der Löwenstadt. Dennoch darf der 65-Jährige beim Traditionsklub immer weiter bleiben, während ein Trainer nach dem anderen kommt und doch wieder geht. Warum eigentlich? Woher kommt diese Treue?

Erst einmal: Auch im Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung der Profimannschaft benennt, wird die Personalie Vollmann heiß und kontrovers diskutiert. Weiterhin überwiegen trotz allen Kritikpunkten ganz offenbar die Pro-Argumente für eine Weiterbeschäftigung des 65-Jährigen, dessen Ende bei der Eintracht bereits feststeht. Ende 2024 ist Schluss für ihn, dann übernimmt Benjamin Kessel den Posten als Sport-Geschäftsführer. Spätestens dann. Oder vielleicht sogar früher? Auch diese Gedanken gibt‘s intern.

Als Spieler war Benjamin Kessel bei den Fans von Eintracht Braunschweig als Kämpfer beliebt. Jetzt ist er Sportdirektor. Und bald Sport-Geschäftsführer.
Als Spieler war Benjamin Kessel bei den Fans von Eintracht Braunschweig als Kämpfer beliebt. Jetzt ist er Sportdirektor. Und bald Sport-Geschäftsführer. © Unbekannt | Florian Kleinschmidt

Der Klub steht vor der größten personellen Umwälzung seit Jahren. Die Chance auf eine perspektivische Neuausrichtung ist so groß wie selten zuvor. Kurzfristig sieht es im Zweitliga-Keller zwar zappenduster aus, aber mittelfristig und langfristig kann da etwas entstehen in dem wankelmütigen Klub, der personell einfach nur für eine längere Periode zur Ruhe kommen will. Mit Marc Pfitzner, der eine tragende Rolle in den Planungen spielt. Mit Kessel. Mit Dennis Kruppke. Und mit Vollmann?

Kurzfristig vielleicht noch. Seine Erfahrung, sein Netzwerk, seine Glücksgriffe werden als Pro-Argumente herangezogen. Und es stimmt ja: Michael Schiele war als Trainer ein Volltreffer. Er schaffte erst den direkten Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga und dann den Klassenerhalt. Schieles Freistellung hingegen war das genaue Gegenteil einer guten Entscheidung, zumal sein Nachfolger Jens Härtel mittlerweile auch schon wieder Geschichte und mit einem der schlimmsten Kapitel in die Annalen des Klubs eingegangen ist.

Benkovic, Pherai, Ujah und Hoffmann waren zuletzt Glücksgriffe von Vollmann

Auch auf dem Transfermarkt traf Vollmann hervorragende Entscheidungen wie zuletzt beispielsweise die Verpflichtungen Immanuel Pherai, Filip Benkovic, Ron-Thorben Hoffmann oder Anthony Ujah. Doch die Liste jener Spieler, die in Braunschweig völlig durchs Leistungsraster fielen, ist mindestens genauso lang. Von einem Extrem ins andere. Doch die Hoffnung, dass er einen fähigen Kader zusammenbastelt, war immer irgendwie da. Bei den Gremien ist sie es offenbar noch immer.

Beim Gros der Fans nicht mehr. Die Mehrheit hat abgeschlossen mit Vollmann, den sie verantwortlich macht für das ständige Auf und Ab der Ligen, für die Fluktuation im Kader, für die ewigen Trainerwechsel. Nun wurde sogar eine Petition gestartet. Sie heißt: „Peter Vollmann muss sofort als Sportdirektor von Eintracht Braunschweig abgesetzt werden“. Mehr als 220 Unterschriften hatte sie bis Mittwochnachmittag gesammelt und hat daher eher symbolischen Wert. Aber sie ist eben da. Und zeigt die Unzufriedenheit der Masse.

Womöglich wird Vollmann noch einmal wichtig für die Eintracht

Womöglich wird dieser Groll doch früher als geplant befriedet. Denn die Suche nach einem neuen Trainer könnte in einem Fall Vollmanns letzte Aufgabe werden. Der Schuss muss sitzen, es ist die letzte Patrone im Revolver des 65-Jährigen. So viel ist klar. Das ist das Szenario, in dem Marc Pfitzner nach zwei Spielen zurückkehrt zur U23, ihm ein neuer Profi-Trainer nachfolgt, der aber auch nicht überzeugt und dann Vollmann mit ins Aus befördert.

In einem zweiten Fall, einem positiveren, wäre Vollmann plötzlich noch einmal wichtig für den Verein. Und dieses Szenario sollte man nicht ausschließen. Es sieht so aus: Pfitzner reißt die Mannschaft sowie das Umfeld mit, holt ein paar Punkte und erweckt den schlafenden Riesen wieder zum Leben. Das sollte man von dem 39-Jährigen nicht erwarten und nicht einfordern. Aber man kann es längst nicht ausschließen. Und da kommt Vollmann ins Spiel.

Der VfB Lübeck hat einen Trainer ohne Lizenz - und zahlt Strafe

Er ist neben U19-Trainer Jonas Stephan der einzige Fußballlehrer des Klubs. Und die Statuten des DFB schreiben vor, dass der Cheftrainer ebenjene Lizenz vorweisen muss. Diese Regeln könnte der Klub zumindest beugen, indem Vollmann (oder Stephan) der Taktstock offiziell überreicht wird, während Pfitzner inoffiziell dirigiert und zudem seinen Fußballlehrer-Schein macht.

Dass Kompetenz und Lizenz nicht untrennbar miteinander verbunden sind, zeigt sich beim VfB Lübeck. Dort trainiert Lukas Pfeiffer den Traditionsklub, in dem auch Eintracht-Legende Mirko Boland noch spielt, ohne Lizenz. Der Klub nimmt dafür angeblich an jedem Spieltag eine Geldstrafe in Kauf. Der Erfolg gibt dem VfB Recht. Mit Pfeiffer stiegen die Lübecker in Liga 3 auf und stehen nach zwölf Spieltagen mit zwölf Punkten knapp über dem Strich.

Marc Pfitzner debütiert gegen Fortuna Düsseldorf

Davon kann die Eintracht nur träumen. Sieben Punkte beträgt der Abstand zum rettenden Liga-Ufer bereits. Pfitzner startet seine Profitrainer-Karriere am Freitagabend (18.30 Uhr) im Eintracht-Stadion gegen Fortuna Düsseldorf. Pfitzner ist Vollmanns sechster Trainer in viereinhalb Jahren in Braunschweig. Und womöglich sein letzter.