Braunschweig. Eintracht Braunschweigs Zehn-Tore-Stürmer spricht über Schmerzen, die Liebe zu den Fans und seine Rolle beim Fußball-Zweitligisten.

Die letzten Spieler, die für Eintracht Braunschweig in der 2. Bundesliga zweistellig trafen, heißen Domi Kumbela und Christoffer Nyman. In der Saison 2016/17 war das. Als der Traditionsverein die Relegationsspiele zur Bundesliga erreichte, netzten der Kongolese 13 Mal, der Schwede elfmal.

In dieser Spielzeit wurde endlich mal wieder die Zehn-Tore-Marke gerissen – von Routinier Anthony Ujah. Mit den Lorbeeren dafür wollte sich der Nigerianer aber nicht alleine schmücken. „Ich bin der Mannschaft dankbar – ohne sie hätte ich es nicht geschafft“, sagte Ujah. Trotz seiner illustren Vita, die ihn von Norwegen über zahlreiche Bundesliga-Stationen bis nach China und zurück führte, ist der 32-Jährige ein durch und durch bodenständiger und nahbarer Typ.

Und seit Mittwochmittag ist klar, was unsere Zeitung schon vor Wochen berichtet hatte: Der Angreifer bleibt bei den Löwen. „Die Verpflichtung hat sich als eine Win-Win-Situation für beide Seiten herausgestellt. Wir freuen uns sehr, dass Tony ein weiteres Jahr bei uns bleibt, denn er ist ein absoluter Führungsspieler, fühlt sich bei uns sehr wohl und ist sportlich wie menschlich ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Mannschaft“, sagt Peter Vollmann zur Vertragsverlängerung.

Videokommentar zum Klassenerhalt von Eintracht Braunschweig

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    Nach dem feststehenden Klassenerhalt kostete der Angreifer die gelöste Stimmung trotz der 1:2-Niederlage gegen Hansa Rostock mit seinen Mitspielern aus – und das zurecht. Mit freiem Oberkörper, schneller Brille und einem Fischerhütchen ließ er sich neben der mitgebrachten Musikbox fotografieren. „Wir hatten ein Ziel, und das hieß Klassenerhalt. Die Jungs haben alles gegeben“, sagte Ujah und fügte an: „Ich werde jetzt richtig feiern. Es war eine harte Saison.“

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    Der ehemalige Nationalspieler wusste zwar, dass das Saisonfinale nicht schön anzuschauen war – insbesondere für die Fans –, aber er warb auch um Verständnis. „Auch wenn es am Ende dramatisch war, können wir uns keinen Vorwurf machen. Wir haben in Rostock 70 Minuten in Unterzahl gespielt, haben bis zur letzen Minute gekämpft“, verdeutlichte Ujah.

    Die gedrückte Stimmung in den letzten Spielen habe ihm sehr wehgetan. „Weil ich ein sehr positiver Mensch bin“, sagte er. Insofern war sein Jubel groß, als er kurz vor der Pause zur Führung traf. Dass ihm sein elftes Saisontor vom Video-Schiedsrichter wegen einer unfassbar knappen Abseitsstellung seines Mitspielers Keita Endo geraubt wurde, war ärgerlich.

    Am Saisonausgang änderte das nichts mehr, weil Magdeburg Arminia Bielefeld in die Relegation schickte. „So ist Fußball“, bekräftigte der Zehn-Tore-Stürmer. „Wir haben gesehen, wie dramatisch es am Samstag in der 3. Liga war. Wir müssen dankbar sein. Zwei Mannschaften steigen ab, eine muss in die Relegation – und wir sind nicht dabei wegen der Punkte, die wir bis jetzt gesammelt haben“, sagte Ujah auch mit Blick auf die starken Saisonphasen der Eintracht, die wegen der fatalen Eindrücke zuletzt etwas untergegangen waren.

    Das gesamte Braunschweiger Team war immer wieder von Verletzungen gebeutelt

    Womöglich wäre es entspannter zugegangen, wenn der sprunggewaltige 1,80-Meter-Mann vom Saisonbeginn an dabei und fit gewesen wäre. Den Rückstand schleppte Ujah durch die gesamte Saison. „Ich habe keine Vorbereitung mitgemacht. Auch im Winter in Spanien habe ich nicht trainiert, weil ich Probleme an der Wade hatte“, sagte er.

    Nicht nur er, das gesamte Braunschweiger Team war immer wieder von Verletzungen gebeutelt. „Von der Gesundheit her war es keine einfache Saison für mich. Ich habe immer Probleme gehabt – Rücken, Wade, Knie, Achillessehne. Ich habe fast alles gehabt“, zählte Ujah auf und betonte auch, in der Sommerpause genau in seinen Körper hineinhören zu wollen, ob der noch eine Saison Profifußball aushalte: „Ich mache mir Gedanken um meine Zukunft. Dabei geht es nicht darum, ob ich hier glücklich bin oder nicht. Mein Körper hat gezeigt, dass es funktioniert – aber es ging nicht ohne Probleme.“

    Anthony Ujah: Ich bin glücklich über die Liebe, die ich von den Fans erfahre

    Jetzt will er Urlaub mit der Familie machen und sich erholen. Nach einem Karriereende klingt das trotz aller gebotenen Vorsicht noch nicht. Ujah hat noch mindestens eine Saison im blau-gelben Trikot im Tank. Mit seinem offenen und herzlichen Wesen, seiner positiven Art und seinen Qualitäten als Anführer und Torjäger hat er sich in die Herzen der Eintracht-Fans gespielt. Die waren zu Beginn skeptisch. Ujah hatte bei seinem vormaligen Klub Union Berlin eine komplizierte Operation über sich ergehen lassen. Aus seinem Beinknochen wurde ein Stück entfernt, um eine Fehlstellung zu beseitigen. Er musste quasi neu laufen lernen. Dieser Eingriff eines Spezialisten ist der Grund dafür, warum er Braunschweig mit zehn Zweitliga-Toren beglückte.

    Doch auch andersherum sorgt die Verbindung für Glücksgefühle. „Ich habe in meiner Vergangenheit immer für geile Vereine gespielt. Ich bin glücklich über die Liebe, die ich von den Fans erfahre und wie das Team mich aufgenommen hat“, sagt Ujah. Er und seine Familie fühlen sich wohl in Braunschweig. „Und ganz ehrlich: wenn ich an meine Verletzungszeit zurückdenke, bin ich oberzufrieden mit der Saison“, erläuterte der Offensivspieler.

    Daran konnten auch die Schwächephasen nichts ändern. Es war Ujah zwar anzumerken, dass ihn diese nervten, doch weil sein Wort Gewicht hatte und er mit all seiner Erfahrung Dinge ansprach und gleichzeitig mit Leistung voranging, war er stets Teil einer Lösung für die Probleme der unerfahrenen Mannschaft.

    Auch in der kommenden Saison wird er gebraucht – auf dem Feld und in der Kabine

    Ujah wurde in jeder Sekunde gebraucht. „Meine Rolle war für mich sehr besonders. Als Führungsspieler hier in Braunschweig hatte ich zum ersten Mal in meiner Karriere das Gefühl, dass mein Einfluss in der Mannschaft gut angekommen ist – und das macht mich sehr stolz“, sagt „Tony“, wie sie ihn nennen.

    Diese Aussage klingt unfassbar bescheiden, denn aus Berlin oder auch aus Bremen ist bekannt, wie wichtig Ujah auch dort für das Teamgefüge war. „Auch wenn ich nicht mehr der Schnellste bin oder 90 Minuten stark spiele, hat es mir die Mannschaft einfach gemacht, diese Rolle gut auszufüllen“, so der Stürmer. Auch in der kommenden Saison wird er gebraucht – auf dem Feld und in der Kabine. Und womöglich kann er mit einem weiterentwickelten Team und einer kompletten Vorbereitung anknüpfen an die zehn Tore in dieser Saison.