Wolfsburg/Zuffenhausen. Er erledigt einen Topmanager-Posten im Spagat. Nicht nur bei seinen Lieblingsfußballklubs schlagen zwei Seelen in der Brust von Oliver Blume.

Wer Porsche sagt, der denkt mit Sicherheit nicht unbedingt an Backstein. Eher schon an moderne Beton-Glas-Architektur. Eine Architektur, so schick und edel wie die begehrten Sportwagen. Wer Backstein sagt, denkt schon eher an Volkswagen. Im Wolfsburger Stammwerk ist die gesamte Front der Südstraße mit diesem markanten Baustoff errichtet worden. Doch da Porsche ja irgendwie auch Volkswagen ist und umgekehrt, findet sich die solide Stein-auf-Stein-Bauweise der Südstraße auch in Stuttgart Zuffenhausen wieder.

„Seit 80 Jahren ist Porsche mit diesem Standort verbunden und dort groß geworden. Nach wie vor wird das Unternehmen aus dem markanten dreistöckigen Bürogebäude geführt, in dem 1938 alles begann. Die angegliederten Werkhallen gibt es ebenfalls noch. Sie beinhalten heute die Werksabholung und Exclusive Manufaktur“. schreibt Porsche auf seiner Homepage. Geschichtlich sind beide Unternehmen aufs Engste verbunden. Gegründet wurden beide, als man in Deutschland anfing, in Jahrtausenden zu denken und für die Ewigkeit zu bauen. Es war nicht immer eine glückliche Liebesbeziehung.

Für neue Harmonie soll nun mit Oliver Blume, der amtierende Porsche-Chef sorgen, der künftig auch den ganzen Laden – sprich den riesigen Volkswagen-Konzern mit 670.000 Mitarbeitern – zusammenhalten soll. Derzeit ist Blume für gut 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit verantwortlich. Und die bauen etwa 300.000 Sportwagen jährlich – der Konzern brachte es in guten Zeiten auf 10 Millionen.

Niemand muss Blume erklären, wie Wolfsburg tickt

Drei Wochen lang hatten auch die Volkswagen-Beschäftigten in Deutschland nun Zeit, sich Gedanken über die wahrlich überraschende Personalentscheidung zu machen, mit der sie unmittelbar nach Beginn der Werksferien konfrontiert wurden. Bis dato hatte der gleichfalls stets für Überraschungen gute Herbert Diess am Mittellandkanal residiert – im 13. Stock des markanten Markenhochhauses. Von dort aus hatte er alles gut im Blick und mischte auch gerne mal das zur Selbstgefälligkeit neigende politische Wolfsburg mit kernigen Aussagen zur Standortattraktivität auf. Von Blume steht das wohl eher nicht zu erwarten.

Angesichts der Doppelbelastung als Porsche- und Konzernchef dürfte der 54-Jährige wohl keine Zeit und Lust aufs Kleinteilige verspüren. Als gebürtiger Braunschweiger und beruflich im Konzern groß gewordener Manager kennt Oliver Blume zudem die besondere Gemengelage in der Region sehr gut. Sie löst bei ihm nicht unbedingt Befremden aus. Wie Wolfsburg tickt, muss er nicht erst lernen. Seine Aufgabe liegt ganz klar darin, als Ober-Generalist den Durchblick über die zentralen Konzern-Kernaufgaben zu behalten. So gesehen wäre Blume der 13. Stock des Hochhauses durchaus als Wolfsburger Domizil zu empfehlen.

Welche Rolle spielt Antlitz künftig?

Als Mitglied des Konzernvorstands für den Bereich Produktion hat Blume ohnehin schon seit 2018 ein Büro in Wolfsburg – im Konzern-Verwaltungskomplex Bt 10. Das dürfte ihm wohl auch als Doppel-Vorstandsvorsitzender zunächst reichen, da er seine Arbeitswoche so gestaltet, dass er zwei Tage in Stuttgart ist und den Rest in Wolfsburg. Vom obersten Stockwerk des Markenhochhauses aus führt seit dem Frühjahr Thomas Schäfer die Geschäfte der Volumengruppe mit VW, Skoda und Seat. Und mit dem Finanzexperten Arno Antlitz sitzt im Hochhaus auch Blumes neuer Wolfsburg-Statthalter.

Er ist jetzt Chief Operating Officer (COO) und damit fürs operative Geschäft zuständig. Dieser Posten wurde im Zuge der Diess-Entlassung und Blume-Berufung neu geschaffen. Die hierarchische Konstellation ist nicht ohne Kompetenz-Unschärfen. In Wolfsburg wird man sich nun erstmal neu sortieren müssen. Wieder mal, könnte man auch sagen. Im „House of Cars“ am Kanal tummeln sich nun auf jeden Fall noch mehr Alphatiere.

Auf Volkswagen konnten sich die Familien immer verlassen

Bei allen Unterschieden und Animositäten gibt es neben dem Baustoff Backstein mit Ferdinand Porsche eine starke verbindende Klammer beider Unternehmen und der beiden Standorte Wolfsburg und Zuffenhausen. Der Käfer-Konstrukteur wusste sein Wirken in Wolfsburg stets auch gewinnbringend für sein eigenes Stuttgarter Unternehmen zu nutzen. Davon profitierten die Familien Porsche und Piech auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar durchlebte die Sportwagen-Schmiede im Lauf der Jahrzehnte immer wieder auch schwerste Krisen. Aber insbesondere die Zusammenarbeit mit Volkswagen half den häufig untereinander zerstrittenen Familien auch immer wieder aus der Patsche. So blieb es eine Ausnahme, dass die Porsche-Crew sich vor 30 Jahren dazu herablassen musste, als Auftragsarbeit für Daimler den Mercedes 500 zu entwickeln.

Derlei Zumutungen wollte vor allem der Porsche-Retter Wendelin Wiedeking endgültig einen Riegel vorschieben, in dem er den Volkswagen-Konzern feindlich zu übernehmen gedachte. Das misslang gründlich, was aberkeine existenzbedrohlichen Folgenfür Porsche und die Familien hatte. Im Gegenteil: Am Ende war Porsche nicht nur gerettet, sondern die Holding SE ist mit Abstand größter Mehrheitsaktionär des ganzen Konzerns. Bei Volkswagen wackelt der Schwanz kräftig mit dem Hund. Die jetzige Personalrochade wird den Einfluss der Stuttgarter und Salzburger nochmals deutlich vergrößern.

„Mir geht es um Unternehmertum“

Blume sagte dazu im Februar, als noch überhaupt nicht abzusehen war, dass er Diess beerben würde, in einem Handelsblatt-Interview: „Wir haben in den vergangenen Jahren einen tollen Wachstumskurs hingelegt. Ohne Volkswagen wäre das nicht möglich gewesen. Wir profitieren also von der Verbindung. Zugleich fokussieren wir uns stark und erfolgreich auf eigene Themen.“ Die Sonderstellung der selbstbewussten Porschianer schmeckt in Wolfsburg nicht jedem. Doch schon Diess hatte mit Verweis auf die von Porsche, aber auch Audi erzielten Renditen auf die jährlichen Milliardenüberweisungen „aus dem Süden“ nach Wolfsburg hingewiesen.

„Mir geht es weniger um Selbstbewusstsein, sondern um mehr Unternehmertum. Damit sind wir seit Jahren erfolgreich gefahren. Wir nutzen Komponenten aus dem Volkswagen-Konzern genauso wie es andersherum geschieht. Wichtig ist doch: vom Porsche-Erfolg profitiert auch der Gesamtkonzern“, machte Blume in dem Interview deutlich.

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Blume und das warnende Beispiel Matthias Müller

Auch wenn Blume, der seinen Doktor an einer chinesischen Universität machte, den Konzern gut kennt, ist die Herausforderung dennoch sehr groß. Beim zentralen Thema Softwareentwicklung gibt es deutliche Unterschiede in den Erwartungshaltungen zwischen VW und Porsche (aber auch Audi). Auch der geplante Börsengang im Herbst wird die ganze Kraft und Aufmerksamkeit des neuen Konzernchefs beanspruchen. Zusätzliche internationale Krisen mit dramatischen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft könnten Volkswagen zudem besonders hart treffen, da die aktuell noch fragile Führungsstruktur den Konzern zusätzlich angreifbar macht. Porsche ist Zuffenhausen und Volkswagen ist Wolfsburg.

Aber wo soll man Blume verorten? Und: Kann man als Manager zwei großen Unternehmen gleichzeitig dienen? Auf jeden Fall muss Blume vieles anders und besser machen als sein Kollege Matthias Müller. Der kam 2015 als erfolgreicher Porsche-Chef nach Wolfsburg, um das Desaster nach dem Abgasskandal aufzuräumen. Damit ist er kläglich gescheitert. Sein Schicksal dürfte auch Oliver Blume sehr wohl präsent sein. In Sachen Kommunikation verlässt er sich schon mal nicht auf die Strukturen, die er in der Konzernhauptstadt von Volkswagen vorfindet. Sein bisheriger Sprecher Sebastian Rudolph wird neuer Leiter Konzernkommunikation, zusätzlich zur Leitung der Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Nachhaltigkeit und Politik bei der Porsche AG.

Die Doppelfunktion wird er auch nach einem möglichen Börsengang der Porsche AG innehaben. Rudolph löst Nicole Mommsen ab, die künftig die Unternehmenskommunikation des Konzerns übernimmt. Anstrengende Doppelrollen traut man sich bei Porsche offenbar auf vielen Ebenen locker zu. Grundsätzlich gilt das aber nicht. Wie zu hören ist, will Blume den auf inzwischen 12 Mitglieder aufgestockten Konzernvorstand wieder verkleinern. Damit wird sich der Neue gewiss keine Freunde bei den Betroffenen machen. Es heißt, dass einige der Vorstände ihre Posten nur dem Umstand zu verdanken hätten, dass Ex-Chef Diess sie dort als Vertraute installierte.

Sympathien für den VfL, aber auch für Leipzig

Auf einem anderen Gebiet wird der bekennende Fußballfan Blume wohl eindeutig Farbe bekennen müssen. „An Eintracht Braunschweig hängt mein Herz. Ich bin gebürtiger Braunschweiger, war mit meinem Papa früher oft im Stadion, noch zu Bundesligazeiten. Das andere B in meinem Leben ist der FC Barcelona, ich habe lange in der Stadt gelebt“, bekannte Blume in der Bild-Zeitung. Und weiter: „In der Bundesliga liegen meine Sympathien bei Wolfsburg und Leipzig. Ich bin gern im Stadion. Selbst gespielt habe ich bis Mitte 20 auf Bezirksebene.“ In Sachen Fußball hat Blume seine Sympathien also ganz sauber zwischen Herz und Hirn geteilt.

Auch die Personalgrundsätze, die man in Zuffenhausen hochhält, dürften der Arbeitnehmerseite in Wolfsburg gefallen. Personalvorstand Andreas Haffner nennt die Mitarbeiter „Kronjuwelen“, die es zu hegen und pflegen gelte und die man weder entlassen noch in Altersteilzeit schicken sollte. Blume darf sich freuen: Er hat jetzt 640.000 Kronjuwelen weltweit hinzugewonnen. Und auf Architektur mit dem Charme von Industriedenkmalen muss er weder in Zuffenhausen noch in Wolfsburg verzichten.