Köln. Was für ein Drama in Köln. Das Spiel um Platz drei verlieren Deutschlands Handballer nach starker Aufholjagd gegen Schweden mit 31:34.

Die Steigerung des Gemütszustands niedergeschlagen? Am Boden zerstört? Der Blick in die Gesichter der deutschen Handballer allein reichte am Sonntagnachmittag schon, um zu erkennen, wie sehr sie die 31:34 (12:18)-Niederlage gegen Schweden im Spiel um Platz drei der EM mitgenommen hatte. Das Heimturnier endete ohne Medaille. Das direkte Olympiaticket sicherte sich der Gegner, im März muss das deutsche Team in Hannover noch einmal ein Qualifikationsturnier für die Sommerspiele in Paris spielen. Leere Blicke, hängende Schultern – die deutsche Auswahl erlebte am Sonntag einen frustrierenden EM-Abschluss in der Kölner Arena.

„Der vierte Platz ist schon sehr undankbar“, sagte Johannes Golla. Ausgelaugt und erschöpft wirkte der Kapitän nach fast drei Turnierwochen. Nach der Großchance, das Heimturnier mit einem Erfolg abzuschließen. Nun aber gab es wieder eine Enttäuschung. Kein Finaleinzug und noch nicht einmal Bronze bei der EM, deren Champion am Ende Frankreich nach einem 33:31 (14:14/27:27)-Erfolg nach Verlängerung gegen Dänemark hieß.

Handball-EM 2024: Endlich mal einen Großen schlagen?

Motiviert war das deutsche Team gegen Schweden gestartet. Timo Kastening glich per Siebenmeter zum 1:1 aus, Renars Uscins traf in der vierten Minute zum 2:1. Klar war doch: Für Johannes Golla, Spielmacher Juri Knorr, Rückraum-Ass Julian Köster und vor allem für die Turnierneulinge um die U21-Weltmeister Uscins und Nils Lichtlein wäre ein dritter Platz bei dieser Heim-EM der größte Erfolg ihrer noch jungen Karriere gewesen. Zudem ging um ein Statement: Nach Niederlagen gegen Frankreich (Vorrunde), Kroatien (Hauptrunde) und Dänemark (Halbfinale) war das Team den Beweis noch immer schuldig, auch mal einen der Großen schlagen zu können. Schweden gehörte in diese Kategorie.

Tatsächlich sollte dieses 2:1 in der vierten Minute die letzte Führung für das Team von Bundestrainer Alfred Gislason sein. Andreas Wolff glänzte anfangs durch einige Paraden, war dann aber zunehmend chancenlos gegen die schwedischen Angriffswellen. In der 21. Minute ließ er sich entnervt gegen David Späth auswechseln. Kurz darauf war auch Juri Knorr draußen und Philipp Weber leitete den Spielaufbau. Gerade die Verfassung von Knorr war ohnehin fraglich, befand sich der 23-Jährige nach der Halbfinal-Niederlage gegen Dänemark doch in einem mentalen Loch („Ich hatte mehr von mir erwartet, dass ich in einem der größten Spiele meiner Karriere alles reinhaue“). Knorr wurde vor Spielbeginn trotzdem als bester Spielmacher des Turniers ausgezeichnet, Andreas Wolff als stärkster Torhüter. Beide aber waren Teil einer ersten Halbzeit, in der sich das deutsche Team erneut zu viele Fehlwürfe und Abspielfehler erlaubte, in der Kraft und Konzentration fehlten. „Mit den vergebenen Chancen in der ersten Halbzeit haben wir uns viel verbaut“, meinte Golla.

Handball-EM 2024: Zum Umbruch gezwungen

Die zweiten 30 Minuten brachten noch einmal ein Aufbäumen, auf ein Tor kam Deutschland mit den wiedererstarkten Knorr und Wolff in der 53. Minute noch einmal heran (29:30). Doch die Schweden spielten einfach gefestigter und hatten in Andreas Palicka einen starken Rückhalt im Tor. „Ein Riesenkompliment für die zweite Halbzeit“, bescheinigte Alfred Gislason seinem Team. „Leider hat es nicht gereicht.“

Wahrscheinlich hätte der Bundestrainer eine andere Mannschaft zusammengestellt, hätten Verletzungen ihn nicht zu einer drastischen Verjüngung gezwungen. Die Ausfälle von Paul Drux, Fabian Wiede und der von Patrick Groetzki im letzten Vorbereitungsspiel wogen schwer. Das im Durchschnitt jüngste Team der EM ging entsprechend vorsichtig ins Turnier. Der Start mit Kantersiegen gegen die Schweiz und Nordmazedonien war ein begeisternder, aber mit zunehmendem Niveau der Gegner wurde klar, dass es wohl nicht zum ganz großen Wurf reichen würde. Dafür waren die Leistungen zu inkonstant, die Fehlerzahl zu hoch, Automatismen fehlten und im Angriff wurde so manches Mal Chancen-Wucher zelebriert.

Für die andauernde Begeisterung aber war das deutsche Weiterkommen wichtig. Überhaupt hatte dieses Turnier Maßstäbe gesetzt. Knapp über eine Million Fans in 65 Spielen: Rekord für ein Handballturnier. Die 53.586 Zuschauer im Düsseldorfer Fußballstadion: Weltrekord für ein Handballspiel. Die stets ausverkaufte Kölner Arena und gut ausgelasteten Hallen in Berlin, Hamburg, Mannheim, und München: Pilgerstätten für Handballfans. Das Halbfinale wurde von fast zehn Millionen Zuschauern im TV gesehen: eine Ansage. Andreas Michelmann, Präsident des Deutschen Handball-Bundes, sprach von „historischen Tagen für unseren Sport“.

Handball-EM 2024: So geht es weiter mit Bundestrainer Alfred Gislason

Die wurden mit Tausenden Färingern in Berlin, Tausenden Tschechen und Isländern in München und Tausenden Dänen in der Hamburger Hauptrunde gefeiert. Die Begeisterung seitens des europäischen Handballverbands EHF war so groß, dass nun darüber nachgedacht wird, das Finale der EM 2028 vor über 80.000 Zuschauern im Bernabeu-Stadion von Real Madrid spielen zu lassen. Im Jahr zuvor aber wird erneut Deutschland zum Treff der Besten: Die WM 2027 ist wieder ein Heimturnier.

Mit Alfred Gislason an der Seitenlinie? Bald sollen die Gespräche mit dem Verband stattfinden. Gislasons Vertrag läuft im Sommer aus. Der Verband würde gerne mit dem 64-jährigen Isländer verlängern und auch Gislason hat signalisiert, dass er „die Mannschaft gerne weiterentwickeln“ wolle. „Ich liebe diese Jungs.“ Und da hält man zusammen. In guten wie in schlechten Zeiten. Auch Johannes Golla war sich sicher: „In dieser Konstellation sind noch einige Spiele zu spielen.“