Varazdin. Die deutschen Handballer wollen gegen Spanien ihre Halbfinalchance nutzen.

Es war vor dem Spiel gegen Dänemark, als Finn Lemke zur Mittellinie schritt und dort stehenblieb. Demonstrativ verharrte der deutsche Handballer dort am Sonntag minutenlang und fixierte die Dänen mit seinem Blick. In jenen Augenblicken war das stete Lächeln verschwunden, stattdessen stand dort ein Lemke mit angriffslustigem Gesichtsausdruck. Es gibt sicher Angenehmeres, als diesen 2,10-Meter-Mann beim Aufwärmen vor einem Spiel der EM in Kroatien nur wenige Meter entfernt zu wissen. Auch den Spaniern will Lemke heute Respekt einflößen (20.30 Uhr/ZDF). Wenn die Konkurrenz entsprechend spielt, geht es im letzten Hauptrundenspiel womöglich um nicht weniger als den Einzug ins Halbfinale.

Das Szenario an der Mittellinie gehört für Lemke „zur Routine vor einem Spiel“, erklärt er. „So fokussiere ich. Dabei wiederhole ich laut Informationen über die Gegner, um in Stresssituationen vorbereitet zu sein.“

Stressige Momente wird es heute sicher geben. Im spanischen Angriff wirken mit Kreisläufer Julen Aguinagalde und Spielmacher Raúl Entrerríos zwei Weltklassespieler. Lemke: „Ich bin selbst überrascht, dass wir mit einer Niederlage und zwei Unentschieden noch Chancen aufs Halbfinale haben. Die wollen wir nutzen, auch wenn uns gegen Spanien ein großer Kampf erwartet.“

Lemke und Spanien – das ist eine besondere Beziehung. Vor zwei Jahren gewannen die deutschen Handballer die EM mit einem 24:17-Erfolg über die Spanier. Es war das Turnier, in dem sich Lemke als Abwehr-Star etablierte. Als 210 Zentimeter große Bedrohung für jeden Gegenspieler, der auf das Tor zuschritt. Mit seinen riesigen Händen wehrte er Würfe ab, ballte die Pranken nach gelungenen Abwehraktionen zur Faust und feierte lautstark mit den Mitspielern. Wenn Lemke in der Mitte der Abwehr steht, wird es dunkel rund um den Siebenmeterpunkt.

Umso erstaunlicher, dass Bundestrainer Christian Prokop zunächst auf den 25-jährigen Bremer verzichtete. Statt nach Kroatien ging es für Lemke mit dem Bundesligisten MT Melsungen ins Trainingslager.

Als sich die Deutschen dann im zweiten Vorrundenspiel beim 25:25 gegen Slowenien zu anfällig in der Abwehr präsentierten, korrigierte Prokop seine Entscheidung. Keine 24 Stunden später kam Lemke, spielte kurz darauf gegen Mazedonien mit und half bei einem erneuten 25:25, die Abwehr wieder zu stabilisieren.

Auch die folgenden Auftritte waren in der Defensive überzeugend. Sogar die 25:26-Niederlage gegen Dänemark – paradoxerweise der bisher beste deutsche Auftritt, weil diesmal auch der Angriff überzeugte. Lemke weiß: „Darauf müssen wir aufbauen.“ Er ist ein Spätstarter im professionellen Handball.

Noch als 17-Jähriger war er durch das Raster der deutschen Talentförderung gefallen. Doch Christian Schwarzer, einstiger Weltklasseverteidiger der Nationalmannschaft, erkannte den Rohdiamanten in Bremens Jugend-Regionalliga. In der Nachwuchs-Nationalmannschaft und den Profijahren beim TBV Lemgo und SC Magdeburg wurde dann fleißig geschliffen.

Zum Spitzenspieler reichte es allerdings nicht in allen Sportarten. Wenn die Handballer an die Darts-Scheibe treten, darf Lemke nicht mehr mitspielen. Seine Würfe landeten zu oft an der Decke. Eines weiß das Team trotzdem: Wenn heute Handball gespielt wird, wird es nicht auf Lemke verzichten wollen.