Das Nordseeheilbad an der Elbmündung bietet viel mehr als Strand und Fischbuden – zum Beispiel das Ringelnatz-Museum.

Cuxhaven hatte geflaggt, diese Stadt, die mir gipsern, starr und unerträglich langweilig vorkam.“ So beschrieb Hans Bötticher, so der wahre Name des deutschen Schriftstellers, Kabarettisten und Malers Joachim Ringelnatz, seinen freiwilligen Dienst bei der kaiserlichen Kriegsmarine in Cuxhaven. Ich frage mich, ob es mir während meiner Kindheit und Jugend, die ich in der Stadt an der Elbe verbracht habe, bisweilen ähnlich ergangen ist. Er war 1914/18 hier, ich in den 70ern und 80ern.

Ich sitze in der „Trattoria Veneta“, in der Stadtmitte des Nordseeheilbades. Das dritte Mal schon hier, staune ich auf ein Neues, wenn serviert wird. Eine Pizza so, wie ich sie liebe. Riesengroß, flach und kross. Der übergroße Teller reicht kaum aus, um sie zu schneiden, ohne dass sie über den Tellerrand hinausragt. Frau Montedoro, die Inhaberin der Trattoria, gibt sich selbst die Ehre. Eine Endvierzigerin, immer braun gebrannt und fröhlich, fragt zumeist direkt auf Italienisch: „Tutto bene?“ – Grazie, besser geht es gar nicht!

Durch die Fenster des Restaurants sind die Umrisse des Schlosses Ritzebüttel zu sehen, der „historischen Keimzelle“ der Stadt. Seit dem Mittelalter gehörte Ritzebüttel als „Landesherrschaft“ zu Hamburg, bevor es 1872 in „Cuxhaven“ überging. Heute gehört Cuxhaven zum Land Niedersachsen. Es ist ein kleineres Schloss aus Backstein mit Wehrtürmen und alten Kanonen. Man kann sich leicht vorstellen, wie von dort die Hamburger Amtsmänner regiert haben. Nach längerem Leerstand ist es vor Jahren komplett renoviert worden, seitdem Besuchern zugänglich.

Zwölf Kilometer feiner Sand laden zum Spaziergang ein

Keine 100 Meter vom Restaurant entfernt findet sich das Ringelnatz-Museum, ein Novum in Deutschland. Cuxhaven hat sogar eine Straße nach ihm benannt, vergibt alle zwei Jahre den Ringelnatz-Preis. Eine einseitige Liebe? Wenn er nur gewusst hätte ...

Natürlich bot Cuxhaven schon in den 80er-Jahren Highlights, insbesondere den insgesamt zwölf Kilometer langen Strand. Heute sollen es um die 3,5 Millionen Touristen jährlich sein, die größtenteils in den warmen Jahreszeiten die Ferienstadt wie eine Großstadt anmuten lassen. In den kalten Monaten flachte hingegen früher die Bevölkerung auf die einer Küstenkleinstadt ab. Heute ist das größte deutsche Seebad des Landes auch im Winter aktiv.

Ringelnatz hat hier einige Sommer erlebt – sicherlich aber kaum zur Erholung. Niemals an der Front, hat er es im letzten Kriegsjahr zum Leutnant zur See gebracht, den vermeintlich ungefährlicheren Dienst als Kommandant auf einem Minensuchboot geleistet.

Ganz sicher wird er dabei auch an der „Alten Liebe“ vorbeigefahren sein, vielleicht sogar angelegt haben. Heute dient das Bollwerk des ehemaligen Hafens ausschließlich als Aussichtsplattform. Schiffe jeder Größe zum Greifen nah – die zu festen Zeiten durch den Schiffsansagedienst Cuxhaven e. V. genau beschrieben werden. Es heißt, dass an der Alten Liebe Seemannsgarn gesponnen wird, regelmäßige Besucher sich in kürzester Zeit zu Schiffsspezialisten entwickeln, einige die Frage nach einer Seemannsvita stumm und mit sehnsuchtsvollem Blick in die Ferne offenlassen.

Am Pier vor dem Bollwerk lädt seit rund zehn Jahren das gleichnamige, urig-maritime Restaurant zum Verweilen ein. Ein Treffpunkt für Einheimische wie Gäste. Die Cuxhavener sind im Allgemeinen recht aufgeschlossen: Bei Bier vom Fass oder kleinen Speisen wird hier sogar über die Tische gefachsimpelt, philosophiert oder einfach nur geklönt. Vor einigen Jahren noch ist alles anders gewesen. Bescheidener, einfacher, grauer.

Das Wahrzeichen der Stadt, die Kugelbake, liegt im Stadtteil Döse. Sie ist unübersehbares Zeichen für Seefahrt: Hier geht die Elbe in die Nordsee über und umgekehrt. Der Fußweg ist einen gefühlten Kilometer weit, entlang der schmalen, letzten Landspitze an der Elbmündung bis hin zu der 28 Meter hohen Holzbake. Um diese Jahreszeit herrscht dort immer eine steife Brise. Und selbst bei Regen. An der Nordsee gibt es schließlich kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleidung. Als Belohnung winkt ein unverbauter Blick auf die „dicken Pötte“, da bekommen Beobachter fast das Gefühl, als wären sie selbst auf einem Schiff unterwegs.

Die Bake ist auch Namensgeber des davorliegenden Forts. Vor Jahren noch eine Ruine, ist das fünf Hektar große Fort Kugelbake aus den 1870er-Jahren nach aufwendigen Arbeiten „reanimiert“ worden, hat sich zu einem Museum der besonderen Art entwickelt. Die Führung durch die ehemalige Marinefestung, Grundsteinlegung war 1870, ist beeindruckend. Im Weiteren flankiert eine neue Promenade den Sandstrand von Döse. Ab hier gibt es eine immerwährende Sicht auf die Nordsee. Schiffe werden kleiner, die Fahrrinne führt von der Küste weg. Irgendwann, geht der Spaziergang fließend über in den Strand eines weiteren Stadtteils.

Duhnen wirkt wie das Cuxhavener Pendant zu Sylt. Hier finden sich anspruchsvolle Hotels, Restaurants, maritime Cafés und Bars – kleine Gassen mit Boutiquen und teilweise urigen Geschäften. Irgendwie kommt es dem Spaziergänger angenehm „übersichtlich“ vor. Kein Run auf die Geschäfte, kein Anstehen – die Leute grüßen sich, die Einheimischen sind entspannter, haben mehr Zeit für einen Klönschnack. Für diese Jahreszeit gilt definitiv: statt Sonnenbräune – mehr Ruhe, Besinnung, Runterkommen.

Ringelnass war bei Seeleuten der Name für Seepferdchen

Ringelnatz wird das Kurviertel noch als kleines, unbedeutendes „Dorf in den Dünen“ kennengelernt haben – erst am Ende des 20. Jahrhunderts fing Duhnen an, sich langsam zu dem bekannten Urlaubsort zu entwickeln. Man erkennt schnell, dass ein Tag zu kurz ist, um sich hier zu erholen, alles kennenzulernen.

Selbst die Cuxhavener berichten, dass es schon ein paar Tage braucht, um mit der gesunden Nordseeluft klarzukommen! Und so haben wir uns vor Anreise entscheiden müssen: Besuchen wir eines der guten Fullservice-Hotels, oder buchen wir lieber ein individuelleres Apartment? Für die fast drei Tage Cuxhaven stehen in jedem Fall schon zwei Höhepunkte fest: geführtes Winterwattwandern (vorherige Anmeldung nötig) im Weltkulturerbe der Unesco, danach Fünf-Sterne-Saunieren im Thalassozentrum Ahoibad in Duhnen – von den Liegen aus führt der Blick auf die Nordsee.

Alles zu seiner Zeit! Die Dinge haben sich schon immer verändert. Und genau genommen nannte sich Hans Bötticher während seiner Kriegsjahre auch Gustav Hester. Den Namen „Ringelnatz“ leitete er mutmaßlich später her – von „Ringelnass“, dem Begriff für Seepferdchen in der Seefahrt. Trotzdem hätte man es ihm gewünscht, Cuxhaven in seiner heutigen Vielfältigkeit kennengelernt zu haben. Nicht nur wegen der vielen Erinnerungen an ihn.