Wendeburg. Enas und Ayman sind mit zwei Kindern über das Mittelmeer in die Türkei geflohen. Sie saßen ohne Rettungswesten in einem Schlauchboot.

Die kleine Yasmin krabbelt aufgeregt über den weichen Teppich im warmen Wohnzimmer. Mit ihren großen schwarzen Kulleraugen schaut sie abwechselnd zwischen ihrer Mama und ihrem Papa hin und her. Beide beobachten das kleine Mädchen und nehmen es hin wieder schaukelnd auf den Arm oder wirbeln es fröhlich durch die Luft. Eine friedvolle und liebevolle Stimmung liegt im Raum – gemischt mit dem Duft eines starken Kaffees mit Kardamom. Doch die kleine Yasmin mit ihren elf Monaten, geboren in Deutschland, hat keine Ahnung, was ihre Eltern für dieses Leben in Freiheit und Sicherheit durchleben mussten.

Der Bürgerkrieg in Syrien hat verheerende Folgen

Ihre Mama Enas und ihr Papa Ayman stammen aus Syrien. Die beiden lernen sich dort kennen und lieben. Sie bekommen zwei Kinder, Yaman – den älteren Sohn, heute 14 Jahre alt – und Malak – die mittlere Tochter, heute 12 Jahre alt. Enas kümmert sich in Syrien um den Haushalt und die Kinder. Ayman arbeitet für die syrische Armee. Doch die Familienidylle ist nicht von langer Dauer. Denn seit 2011 herrscht in Syrien ein brutaler Bürgerkrieg. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplizierter Konflikt geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die Ursachen des Krieges sind komplex – die Folgen verheerend: Zerstörung, Verfolgung, Unterdrückung, desaströse wirtschaftliche Verhältnisse und ein Mangel an der grundlegenden Versorgung prägen die Region bis heute.

Für die kleine Familie kein Land, in welchem ihre zwei Kinder aufwachsen sollen. „Ich habe zudem in der syrischen Armee gedient und wollte nicht in den Krieg ziehen“, übersetzt Seyfeddin Arafat, der bei der Gemeinde Wendeburg für die Betreuung der Asylbewerber zuständig ist, die arabischen Worte von Ayman. „Wir haben damals den Entschluss gefasst, mit unseren Kindern zu fliehen und das Land zu verlassen“, ergänzt Enas.

13 Millionen Syrer mussten ihre Heimat verlassen

Und damit sind sie nicht allein – das Ausmaß des Grauens spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Mehr als eine halbe Million Menschen haben nach Schätzungen der Malteser International ihr Leben in dem Krieg verloren, rund 13 Millionen Syrer mussten ihre Heimat verlassen. Knapp die Hälfte der Geflüchteten befindet sich innerhalb Syriens auf der Flucht. Die andere Hälfte ist vor der Gewalt ins Ausland geflohen, die meisten in Nachbarländer.

Die Kinder Yaman, Yasmin und Malak (von links) sind mit ihren Eltern aus Syrien nach Deutschland gekommen. 
Die Kinder Yaman, Yasmin und Malak (von links) sind mit ihren Eltern aus Syrien nach Deutschland gekommen.  © FMN | Privat

Enas und Ayman entscheiden sich damals zunächst für die Flucht in den Jemen. Da sich jedoch auch dort die politische Lage zuspitzt, treffen sie nach drei Jahren die Entscheidung, zurück nach Syrien zu gehen. Sie merken schnell, dass ihre Heimat noch immer nicht sicher genug für ihre Familie ist, und entschließen sich nun, über das Mittelmeer in die Türkei zu fliehen.

Man merkt den beiden sofort an, dass sie ungern über das damals Erlebte sprechen möchten. „Wir saßen mit etwa 60 weiteren Personen in einem kleinen Schlauchboot“, so Enas. „Niemand von uns hatte eine Rettungsweste – dafür wäre gar kein Platz gewesen. Ich und die beiden Kinder konnten nicht einmal schwimmen, und wir haben immer wieder gesagt: Wieso haben wir das gemacht? Wir sind doch verrückt! Meterhohe Wellen sind über uns hereingebrochen, das werde ich nie vergessen. Doch irgendwie haben wir Glück gehabt und es geschafft.“ Mehr möchten und vielleicht auch können die beiden zu den Stunden auf dem Wasser nicht erzählen.

Syrische Familie wird in Deutschland mit offenen Armen empfangen

Es folgen fünf Jahre in der Türkei, ein Jahr in Griechenland und schließlich die Flucht nach Deutschland. Die Familie kommt in Bramsche, in der Nähe von Osnabrück, an und stellt dort einen Asylantrag. Dieser wird genehmigt, und die Familie wird nach Wendeburg im Landkreis Peine geschickt. „Wir wurden in Deutschland mit offenen Armen empfangen. Das haben wir vorher nicht erlebt“, so Ayman.

Enas blickt noch einmal zurück und sucht nach Unterschieden zwischen ihrem Leben in Syrien und Deutschland. „Das kann man gar nicht vergleichen“, sagt die 36-Jährige. Die Kinder seien in Syrien häufig krank gewesen. Die Luftverschmutzung sei in ihrer Heimat extrem und ein Arzt- oder Krankenhaus-Besuch praktisch unmöglich. „Wir konnten nicht einfach auf die Straße gehen – das wäre viel zu unsicher gewesen“, betont Enas. Auch der Besuch von Freunden und Verwandten, obwohl diese ganz in der Nähe wohnten, sei unmöglich.

Sie zählt weiter auf, dass durch den Bürgerkrieg auch die Lebensmittel knapp gewesen seien und es zeitweise nicht einmal Milch für die Kinder gab. „Wir hatten keinen Strom und kein fließendes Wasser. Wir waren gezwungen, alles selbst zu machen und haben uns sogar einen eigenen Brunnen gebuddelt, um an Trinkwasser zu kommen“, so Ayman.

Und auch in Griechenland sei die Situation nicht besser gewesen. „Dort gab es keine Möglichkeit, unsere Kinder in die Schule zu schicken, und wir waren mit vielen Geflüchteten in einem Hotel untergebracht.“ Gerade während der Corona-Pandemie sei dies eine Herausforderung gewesen. Doch die Geflüchteten hätten das Beste aus der Situation gemacht. „Ich habe den Kindern dann in Griechenland Englischunterricht gegeben – so konnte jede Familie etwas beisteuern“, berichtet Enas.

Eltern wünschen sich für das neue Jahr eine eigene Wohnung

Zurück ins warme Wohnzimmer in Wendeburg. Zum köstlichen Kaffee-Geruch gesellt sich nun auch der süße Duft von Kuchen, und Enas erzählt: „Wir haben Pläne und hoffen, dass diese in Erfüllung gehen. Ich besuche dreimal die Woche einen Deutschkurs hier in Wendeburg. Sobald ich die deutsche Sprache richtig kann, möchte ich gerne eine Ausbildung zur Konditorin machen.“ Und auch Ayman hat bereits Deutschkurse absolviert – sein Ziel ist ein kleiner Lebensmittelladen. Vor allem möchte die Familie aber gerne in Wendeburg bleiben. „Wir wünschen uns für das neue Jahr, dass unsere Kinder hier eine neue Heimat und Freunde finden. Großartig wäre nur eine eigene Wohnung mit mehreren Zimmern für die Kinder“, so Enas.

Man merkt, dass sie angekommen sind und die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht verloren haben. Die beiden älteren Kinder gehen zur Schule, und die zwölfjährige Malak hat in diesem Sommer sogar an einem kostenlosen Schwimmkurs des DRK-Ortsvereins Wendeburg und der Gemeinde Wendeburg im Auebad teilgenommen. „Wir haben immer gesagt: Sollten wir so eine Flucht noch einmal erleben, dann müssen unsere Kinder schwimmen können“, erzählt Enas. Sei selbst habe jedoch so eine große Angst vor dem Wasser und dem Meer, dass sie sich nicht vorstellen könne, schwimmen zu lernen. „Aber die kleine Yasmin soll auch schwimmen lernen, wenn sie alt genug ist – das ist uns wichtig“, sagt Enas.

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