Osterode. Der Kommunikationsforscher Dr. Florian Wintterlin klärt im Interview über die gegenwärtigen Risiken von Fake News und Desinformation auf.

Spätestens seit Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten im Jahr 2016 wird über die russische Einflussnahme auf Wahlen im Westen gesprochen. Mit Russlands Krieg gegen die Ukraine rückt Desinformation auch in Deutschland wieder stärker in den Blick der Öffentlichkeit – zumal vor Abstimmungen: Inwieweit spielen Fake News eine Rolle vor der Niedersächsischen Landtagswahl am 9. Oktober? Dr. Florian Wintterlin, der an der am Institut für Kommunikationswissenschaft der Uni Münster zu Propaganda und Desinformation forscht, ordnet im Gespräch die Risiken ein.

Was bedeutet eigentlich Falschinformation?

Florian Wintterlin: Da gibt es unterschiedliche Verständnisse. Besonders prominent wird der Begriff „Fake News“ verwendet. Zum einen als Kampfbegriff, um unliebsame Nachrichten zu diskreditieren, wie Donald Trump es gerne tut. Zum anderen als Genre, das sowohl Meldungen umfasst, die durch sinnentstellende Weglassungen tatsächliche Ereignisse verzerrt wiedergeben, als auch solche Nachrichten, deren Inhalt komplett erfunden ist. Das sind dann teilweise aufwendige Produktionen, die mit professionellen Grafiken seriöse Nachrichtenangebote nachahmen.

Welchen Einfluss könnten diese verschiedenen Formen auf eine Wahl haben?

Da muss man vor allem zwei Seiten beachten: Zum einen gibt es die Nutzerseite, das meint die Nutzerinnen und Nutzer der Social Media, die dort mit Desinformation konfrontiert sind. Zum anderen gibt es die Kommunikatorseite, die falsche Nachrichten erstellt und verbreitet.

Wie können die Nutzerinnen und Nutzer auf den sozialen Netzwerken beeinflusst werden?

Erstens: Der Einfluss der Mediennutzung auf eine individuelle Wahlentscheidung ist vor allem in der Politikwissenschaft gut erforscht – mit dem Ergebnis, dass eine solche Entscheidung von verschiedenen Faktoren geprägt wird, von denen die Mediennutzung nur einer unter vielen ist. Dazu kommt, dass Deutschland immer noch einen relativ großen Anteil von Stammwählern hat, die ohnehin immer die gleiche Partei wählen. Also ist die Gruppe derer, bei der die Mediennutzung einen entscheidenden Einfluss haben könnte, gar nicht so groß.

Und zweitens?

Zweitens muss man sich anschauen, wie viele Menschen überhaupt Social Media für politische Nachrichten nutzen. Das wird zum Beispiel im Reuters Digital News Report aufgezeigt. Demnach nutzt in Deutschland etwa ein Drittel der Menschen die sozialen Netzwerke für Nachrichten. Aus der Sicht muss man den Einfluss ein bisschen relativieren – das Wirkungspotenzial von Desinformation ist also von vorneherein eingeschränkt.

Dr. Florian Wintterlin ist Akademischer Rat am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster.
Dr. Florian Wintterlin ist Akademischer Rat am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. © Uni Münster | Uni Münster

Und was lässt sich auf Kommunikatorseite beobachten?

Wenn wir auf die Kommunikatorseite schauen, dann konnten wir bei den letzten Wahlen sehen, dass da nicht so viel passiert ist. Da gab es Befürchtungen, dass es großangelegte Desinformationskampagnen geben könnte. Das ist nicht eingetreten. Es gab zwar immer mal wieder kleine Fakes, aber keine große gesteuerte Kampagne. Am ehesten geht es dabei dann um einzelne Personen, bei der letzten Bundestagswahl traf es besonders prominent Annalena Baerbock von den Grünen.

Gibt es solche personenbezogenen Kampagnen auch auf Länder- oder Kommunalebene?

Das wird wenig bis gar nicht erforscht. Das Interesse dürfte da aber bedeutend geringer sein, eine Bundestagswahl ist wegen der größeren Aufmerksamkeit das lohnendere Ziel für Desinformationskampagnen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr ließ sich allerdings schon beobachten, dass es im Nachgang viele Hashtags zum Thema Wahlbetrug gab, mit denen die Gültigkeit der Wahl angezweifelt wurde und sich angebliche Wahlhelfer dazu geäußert haben, dass AfD-Stimmen bei ihnen nicht gezählt worden wären. Auch in Bayern haben wir auf Landesebene gesehen, wie Desinformation verbreitet wurde. Da wurden dann zum Beispiel Fotos von gefälschten Wahlplakaten, die es so niemals gab, über Social Media verbreitet, um Parteien Worte in den Mund zu legen, die sie niemals gesagt haben.

Beim Thema Desinformation gerade in Bezug auf Parteipolitik wird hauptsächlich über Twitter geredet. Was ist mit Facebook?

Facebook ist da schwer zu erforschen, weil der der Datenzugang sehr schlecht ist. Wir beobachten aber vor allem, dass Youtube als Plattform für Desinformation und vor allem auch für Verschwörungstheorien deutlich an Relevanz gewinnt. Außerdem weichen viele auf geschlossene Kanäle wie Telegram aus.

Welche Art von Beeinflussung findet dort statt?

Auf diesen Plattformen geht es eher um die Verbreitung von Narrativen, zum Beispiel, dass das politische System in Deutschland am Ende wäre. Diese Erzählungen ähneln sehr dem, was von russischen Trollen veröffentlicht wird. Aber auch da würde ich nicht davon ausgehen, dass im Kontext der Landtagswahl große Kampagnen laufen.

Ist die Frage nach der Rolle von Desinformation in diesem Kontext also vernachlässigbar?

Nein. Der Zeitverlauf zeigt: Das Problem wird größer. Deswegen sollte das sehr genau beobachtet werden.

Gibt es Tipps, wie Menschen bei der Nutzung sozialer Netzwerke auf gezielte Desinformation achten können? Die ist ja oftmals kaum als solche zu identifizieren.

Das ist in der Tat schwierig. Studien zeigen, dass die Umgebung von Nachrichten auf Social Media mit Like- und Teilen-Buttons hinderlich für die Auseinandersetzung mit dem Inhalt ist und Beiträge oft affektiv weiterverbreitet werden, ohne dass sich die Nutzer kognitiv damit auseinandergesetzt hätten. Wichtig ist es also, sich Zeit für die Bewertung einer Information zu nehmen: Wer ist der Urheber? Wo wurde sie zuerst veröffentlicht? Welche Intention hat der Verfasser? Unsere Studien zeigen, dass etwa fünf Prozent der Menschen überhaupt Fake News im Internet wahrnehmen. Das heißt aber noch nicht, dass die alle daran glauben. Insofern ist Vorsicht geboten, daraus einen Einfluss auf Wahlen abzuleiten.