Die Harzer Tourismusbranche blickt optimistisch in die Zukunft. Bei einer Fachtagung im Rahmen des Harzer Tourismustages Mitte Oktober waren sich alle Teilnehmer einig, dass der Harz als Reiseziel gut auf die neuesten Trends und Herausforderungen vorbereitet sei – oder zumindest gut auf sie reagieren könne. Der Harz ist wieder da. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht – auch und vor allem angesichts der drastischen Auswirkungen der Klimakrise? Im Harz sind die traurigen Folgen deutlicher sichtbar als irgendwo sonst in unserer Region. Der Harz ist das Symbol des Klimawandels vor unserer Haustür geworden.
Vor allem der – kahle Berghänge, regelrechte Meere aus toten Fichten zeugen davon. Diese Bilder nährten Befürchtungen, dass das Mittelgebirge an Anziehungskraft und Interesse einbüßen würde. Doch mittlerweile zeigt sich: Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn die Übernachtungszahlen zeitweilig coronabedingt eingebrochen sind, zieht es die Menschen auf die Wanderwege, Ski- und Rodelpisten. Trotz unübersehbarer Schäden – oder gerade deshalb?
Ziehen die Schäden Katastrophentouristen an?
Gelungen ist das kleine Wunder auch, weil man im Harz aus der Not eine Tugend macht. „Unser Harz ist ein regelrechtes Showcase für die Probleme der Klimakrise“, sagt der Harz-Kenner Friedhart Knolle, Vorsitzender des BUND Westharz und, bis er Ende Oktober in den Ruhestand verabschiedet wurde, langjähriger Sprecher der Nationalparkverwaltung. „Bei uns können die Besucher die Auswirkungen auf das Ökosystem Wald mit eigenen Augen sehen“, erklärt der Geologe. „Man kann das Katastrophentourismus nennen. Man bekommt aber auch einen Eindruck davon, wie die Natur und der Mensch darauf reagieren.“
Offenbar interessieren sich viele Besucher genau hierfür. Denn die Klimaschäden sind allzu offensichtlich. Obwohl die Bäume gegenüber den extrem trockenen Vorjahren besser mit Wasser versorgt waren, haben die Schäden durch Borkenkäfer auch 2021 zugenommen. Ausführlich nachzulesen ist das etwa im Anfang Dezember veröffentlichten Waldzustandsbericht für Niedersachsen. Mit weiteren Sturmschäden, Trockenstress und Insektenbefall hat sich die im Dürrejahr 2018 begonnene negative Trend fortgesetzt, heißt es. Man erlebe eine Entwicklung, „wie sie seit Jahrzehnten nicht beobachtet wurde“. Insbesondere die hohen Absterbe- und Ausfallraten der Fichte machten die Dimensionen der Schäden deutlich.
Initiative „Der Wald ruft“ will offensiv aufklären
Da sich die Auswirkungen des Klimawandels kaum verbergen lassen, versuchen die Harzer, den Stier bei den Hörnern zu packen. Statt das Offensichtliche verschämt totzuschweigen, geht man in die Offensive. Mit der Initiative „Der Wald ruft“ informiert der Harzer Tourismusverband zusammen mit dem Nationalpark, den Landesforsten und weiteren Beteiligten wie dem Harzclub über die Klimaschäden in den Harzer Wäldern. Das Ziel: „Gäste, Einheimische und interessierte Besucher darüber informieren, was momentan im Wald passiert, vor welchen Herausforderungen die Akteure stehen und wie sich der Harz als Urlaubsziel hier und da verändert.“ Nur wer die Fakten kenne und mitreden könne, sei in der Lage, „Verantwortung für unsere Natur und unsere Lebensräume zu übernehmen“. Das gelte im Nationalpark, in dem die Natur selbst die Erneuerung besorgt, ebenso wie in den forstwirtschaftlich genutzten Wäldern, in denen den Mensch den „Umbau“ übernimmt.
Hierfür soll der Blick der Besucher geschärft werden. Ein Beispiel, wie dies gelingen soll, ist eine Fotoaktion, die Mitte dieses Jahres startete: Um den Wandel der Natur zu dokumentieren, hat „Der Wald ruft“ elf sogenannte Fotospots geschaffen, spezielle Hinweistafeln mit ausgesparten Öffnungen. Diese Gucklöcher lenken das Augenmerk auf Landschaftsausschnitte, in denen die Klimafolgen besonders sichtbar werden. Die Besucher sind eingeladen, durch die Aussparung zu fotografieren und ihre Bilder auf der Social-Media-Plattform Instagram unter „#derwaldruft“ zu posten. Neben düster aufragenden Fichten-Gerippen im Gegenlicht zeigen manche Fotos auch, wie frisches Grün die toten Flächen zurückerobert.
Wiederaufforstung ist von historischem Ausmaß
Solche Initiativen und die bestenfalls damit einhergehende Umweltbildung bilden den Schlüssel zur Zukunft des Harzes, ist Friedhart Knolle überzeugt. „Dass sich die wichtigsten Stakeholder für „Der Wald ruft“ endlich auf eine gemeinsame Problembeschreibung und Formulierungen geeinigt haben, das ist ein erster wichtiger Schritt.“
Doch auch die positiven Signale täuschen nicht darüber hinweg, dass viele Probleme noch ungelöst sind – auch beim „Waldumbau“. Die Niedersächsischen Landesforsten, neben dem Nationalpark der größte Waldbesitzer im Harz, haben seit 2018 durch Stürme, Dürre und Borkenkäfer rund 25.000 Hektar Wald im Harz und im Süden Niedersachsens eingebüßt – und Tausende weitere Hektar werden folgen. „Das vor uns liegende Programm zur Wiederaufforstung ist von historischem Ausmaß. Es übersteigt im Harz sogar die Aufforstungen der Nachkriegszeit“, ließ sich Landesforsten-Präsident Klaus Merker im Juli in einer Pressemitteilung des Landesbetriebs zitieren. Wie der Wald in einigen hundert Jahren aussehen wird, welche Gehölze sich halten und bewähren, muss sich noch zeigen. Sicher scheint: Laub-Mischwälder können den Wetterextremen besser trotzen. „Der Harzwald, wie wir ihn kannten, ist Geschichte“, so Knolle. Der Harz ist angekommen in der Gegenwart – mit allen Risiken und Chancen.
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