Göttingen. Die Zentrale Kriminalinspektion Göttingen leitete den internationalen Großeinsatz mit 1.000 Kräften und stellte nun erste Ergebnisse der Razzia vor.

Ein Online-Forum fürs Bombenbauen und Drogenmischen, so kann man die Seite „xplosives.net“ beschreiben, die am Dienstag in einer großangelegten Aktion der Ermittlungsbehörden mehrerer Bundesländer und darüber hinaus in internationaler Kooperation mit Behörden in Litauen und Kroatien abgeschaltet wurde: Die Polizei beschlagnahmte die Server und zahlreiche Datenträger sowie chemische Stoffe in größerer Menge, außerdem Waffen. 22 Beschuldigte wurden von den Beamten vernommen.

Circa 1.000 Einsatzkräfte waren an dem internationalen Großeinsatz beteiligt, der von der Zentralen Kriminalinspektion (ZKI) der Polizeidirektion Göttingen sowie der Zentralstelle Internet- und Computerkriminalität der Göttinger Staatsanwaltschaft geleitet und koordiniert wurde. Über die ersten Ergebnisse der Aktion, die am Morgen um 4.30 Uhr begann und Durchsuchungen in neun Bundesländern sowie in Litauen und Kroatien umfasste, berichteten am Dienstagnachmittag Polizei und Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz in Göttingen.

Alle Einsatzziele seien erfolgreich umgesetzt worden, erklärte Polizeipräsident Uwe Lührig zufrieden. Der Einsatz habe sowohl der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr gegolten. Und offenkundig maßen die Ermittler den Dingen, die auf xplosives.net vor sich gingen und über die sich die Nutzer dort unterhielten, ein enormes Gefahrenpotenzial bei: „So, wie Sie sich vielleicht über Whatsapp über das Kuchenbacken austauschen, so sprechen die in den Chats über das Bombenbauen“, beschrieb es Mathias Schroweg, Leiter der ZKI. In der Pressekonferenz wurden Videoclips von durch die Nutzer herbeigeführte Bombenexplosionen an noch unbekannten Orten in Wäldern gezeigt, die in dem Forum hochgeladen waren: „Man kann das wie Werbefilme für Sprengstoff sehen“, sagt Lührig. Zudem sei eine Art Wettbewerbsmentalität bei den Nutzern zu beobachten gewesen, die sich gegenseitig mit immer heftigeren Explosionen zu überbieten versuchten.

Ein weiteres Thema auf xplosives.net war außerdem die Herstellung von synthetischen Drogen, für die dieselben chemischen Grundstoffe verwendet werden können wie für Sprengstoffe. Mindestens einem der Beschuldigten wird der Handel mit diesen illegalen Betäubungsmitteln in erheblichem Umfang vorgeworfen.

Verblüffend an den Vorgängen, die von den Ermittlungsbehörden seit 2018 verfolgt und mit dem Abschalten der Server jetzt beendet wurden, ist die Tatsache, dass xplosives.net ganz frei im Internet zugänglich war, und nicht etwa im sogenannten „Darknet.“ Das Forum existierte bereits seit 2006, war aber erst im vergangenen Jahr Internet-Ermittlern des Landeskriminalamtes aufgefallen, wie Lührig erläuterte. Die Community habe insgesamt 3.000 registrierte Mitglieder, 2018 gab es 360 aktive Teilnehmer. Im Zentrum standen fünf Moderatoren und zwei Administratoren.

Erste Ergebnisse der Razzia

In der Pressekonferenz in den Räumen der Polizeiinspektion Göttingen fasste Kriminaldirektor Mathias Schroweg die erfolgreiche Razzia zusammen: Ziele waren, die Plattform vom Netz zu nehmen, Beweismittel zu beschlagnahmen und Beschuldigte zu vernehmen. „Uns ist gelungen, die Betreiber zu identifizieren und gegen sie zu ermitteln.“ Die Seite xplosives.net sei von einer relativ kleinen Kerngruppe betrieben worden. Haftbefehle gegen die Beschuldigten gebe es jedoch nicht, da keine Haftgründe wie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegen.

Bei der Pressekonferenz in den Räumen der Polizeiinspektion Göttingen.
Bei der Pressekonferenz in den Räumen der Polizeiinspektion Göttingen. © HK | Martin Baumgartner

Alle Beschuldigten seien Bundesbürger im Alter von 17 bis 55 Jahren, insgesamt haben die Ermittler 22 männliche Personen im Visier, alle seien im Privatleben unauffällig, keine habe eine einschlägige Vorstrafe. Konkret vorgeworfen werden ihnen Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz, das Sprengstoffgesetz und das Betäubungsmittelgesetz. Die Verdachte haben sich bestätigt, sagte Polizeipräsident Uwe Lührig. 34 Objekte wurden seit dem Morgen durchsucht: Wohnungen, Garagen und Fahrzeuge. Der Standort des Servers war in Litauen, die Verwaltung der Plattform wurde von Kroatien aus erledigt.

An den Durchsuchungen waren auch IT-Experten für die Sicherung und Auswertung digitaler Spuren sowie Fachkräfte für den Umgang mit gefährlichen Stoffen beteiligt. Sichergestellt wurden unter anderem 127 Kilogramm Grundstoff für Sprengmittel, insgesamt circa 100 verschiedene Substanzen, zum Beispiel Salpeter- und Schwefelsäure, außerdem Sprengstoffe in Gestalt von rund 200 sogenannten „Polen-Böllern“, zwei Kilogramm „Blitzknallsalz“ und 200 Gramm Schwarzpulver. In einem Objekt fanden die Ermittler Grundstoff für 30 Kilogramm synthetische Drogen – oder eine einzelne 30-Kilo-Bombe. Die Beamten stellten auch mehrere Lang- und Kurzwaffen, also Gewehre und Pistolen, sowie Kleinkaliber-Munition und Einhandmesser sicher. Besonders wichtig mit Blick auf das weitere Verfahren: Den Ermittlern fielen großen Mengen digitaler Speichermedien in die Hände, die nun ausgewertet werden. Bei den gefundenen Betäubungsmitteln kann man laut Lührig davon ausgehen, dass diese nicht allein zum Eigenkonsum hergestellt wurden.

Keine Hinweise auf politische oder terroristische Motivationen

Auf die Frage, ob die Ermittler bei den Beschuldigten politische oder terroristische Motivationen haben feststellen können, sagte der Polizeipräsident, dass es dafür bislang keine Erkenntnisse gebe. Oberstaatsanwalt Dr. Ingo Rau, Leiter der Zentralstelle Cybercrime, bestätigte dies: „Wir haben keine Erkenntnisse über politische Hintergründe“, weder in die rechtsextremistische noch in die linksextremistische Richtung. Er schränkte jedoch ein, dass die Behörden nicht wissen, wer die Chats, die im Internet frei verfügbar waren, mitgelesen hat.

Jedenfalls hat die Polizei laut Lührig keine Hinweise gefunden, dass die Sprengstoffe „gegen Personen oder fremde Sachen eingesetzt werden sollten.“ Schroweg ergänzte: „Die Plattform diente eher dem Austausch von Know-how in Chats.“ Die Teilnehmer hätten sich aber auch persönlich bei sogenannten „Spreng-Conventions“ getroffen und dabei Explosionen im öffentlichen Raum herbeigeführt, zumeist wohl in Wäldern. Lührig berichtete von einer „zunehmenden Eskalation“ und einer „Wettbewerbsdynamik“, was die Heftigkeit dieser Explosionen angeht. Eine besondere Gefahr bestand Schroweg zufolge darin, dass die Beteiligten ohne irgendeine fundierte Ausbildung im Umgang mit Explosivstoffen agierten. Auch in der unsachgemäßen Lagerung der Materialien habe eine erhebliche Eigen- und Fremdgefährdung bestanden.

Staatsanwalt Dr. Ehsan Kangarani von der Zentralstelle Internet- und Computerkriminalität (Cybercrime) der Staatsanwaltschaft Göttingen stellte die erfolgreiche internationale Kooperation der Strafverfolger aus drei Ländern heraus. Man habe gezeigt, „wie schnell und effektiv Ermittlungsbehörden über Grenzen hinweg“ zusammenarbeiten können. Die erfolgreiche Aktion sei Ergebnis intensiver Ermittlungen, und einem koordiniertem Vorgehen aller beteiligter Behörden, betonte Lührig. Sie sei ein „Beispiel für die wachsende Bedeutung dieser Art von Einsätzen gegen Straftäter in der digitalen Welt. Wir haben gezeigt, dass Straftäter aus der Anonymität des Internets herausgeholt werden können. Wir wollen keinen rechtsfreien Raum in der digitalen Welt.“