Göttingen. Konsum und Komasaufen sind laut einer Studie rückläufig, Präventionsprogramme greifen. Für die Suchtexperten aber kein Grund, sich zu zurückzulehnen.

Vor gut zehn Jahren ist ein Aufschrei durch Deutschland gegangen. Jugendliche würden immer mehr Alkohol trinken, sich mit Alkopops und Komasaufen das Hirn vernebeln. Ärzte forderten eine Sondersteuer auf Alkohol, Bundesministerien entwickelten neue Präventionsprogramme. Jetzt hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung scheinbar Entwarnung gegeben. Der Alkoholkonsum bei Menschen zwischen 12 und 17 Jahren hat einen historischen Tiefstand erreicht.

Für Aline Rheinfurth von der Fachstelle für Sucht und Suchtprävention des Diakonieverbands Göttingen eine gute Nachricht, aber längst kein Grund, sich zurückzulehnen. Schließlich gehöre Deutschland immer noch zu den Ländern mit dem höchsten Prokopf-Konsum. Dennoch gehen die Göttinger Drogenberater davon aus, dass die sinkenden Zahlen auch ein Ergebnis jahrelanger intensiver Präventionsarbeit ist.

Als Reaktion auf das verstärkte Aufkommen von Intoxikation von Jugendlichen wurde 2008 das Programm „Hart am Limit“ (Halt) bundesweit ausgerollt. Es zielte vorrangig darauf ab, die in der Gesellschaft tief verankerte Toleranz gegenüber Alkohol aufzubrechen. „Erwachsenen fehlte häufig der Blick für das gefährliche Konsumverhalten Jugendlicher“, sagt Fachstellenleiterin Sieglinde Bulla. Es war eben nicht normal, dass Kinder bei ihrer Konfirmation Schnaps trinken. Wie Bulla arbeitet auch die Diplom-Pädagogin Rheinfurth seit vielen Jahren mit Kindern und Jugendlichen. „Alkohol war schon immer das größte Problem, weit problematischer als illegale Drogen“, sagt sie.

Und daran habe sich auch durch die jüngste Umfrage wenig geändert. Auch wenn Cannabis seit Jahren auf dem Vormarsch ist, sieht Rheinfurth hier keinen Zusammenhang. Es sei nicht so, dass Jugendliche jetzt die Flaschen stehen lassen und stattdessen zum Joint greifen. „Kiffer und Alkis waren immer eher zwei getrennte Gruppen.“

Eine Korrelation gebe es eher zwischen Alkohol und Nikotin. Wird viel getrunken, steigt in der Regel auch der Zigarettenkonsum, weiß sie aus langjähriger Erfahrung. Daher beschäftigen sich die Präventionsangebote auch häufig parallel mit beiden Themenbereichen. „Klarsicht“ heißt ein Programm, mit dem sie in die siebten Klassen geht. „Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Schüler mit dem Thema auseinandersetzen und eine Meinung entwickeln, bevor es mit Konsum und Gruppendruck überhaupt losgeht.“

An die älteren Jahrgänge richtet sich der Workshop „Tom & Lisa“. Interaktiv sollen sie erarbeiten, was Alkohol anrichtet und wie es zu riskantem Konsum kommt. Statt mit erhobenem Zeigefinger gehen die Trainer mit Planspielen auf die Schüler zu, die sich an ihrer Lebenswirklichkeit orientieren. Sie planen beispielsweise gemeinsam eine Party, die auch ohne Alkohol Spaß machen soll.

In die gleiche Richtung aber an ein etwas älteres Publikum zielt das Selbstkontrolltraining, das die Fachstelle der Diakonie in der Schillerstraße anbietet. Hier sollen die Teilnehmer in zehn Wochen mit Gewohnheiten brechen, bevor sie sich zu einer Sucht entwickeln. „Sich jedes Wochenende bei einer Party zu betrinken, ist genauso riskant wie jeden Abend drei Bier zu trinken“, so Rheinfurth.

Gibt es aber bei Jugendlichen schon Alkoholsüchtige? – „Ja das gibt es, wenn auch äußerst selten“, sagt Bulla. Häufig kämen die Patienten dann aus problematischen sozialen Verhältnissen und würden in jungen Jahren bereits das krankhafte Konsumverhalten ihrer Eltern kopieren. Glücklicherweise seien das die Ausnahmen in ihrem Berufsalltag.

Der Kinderpsychiater Christoph Möller sieht als einen möglichen Grund für die rückläufigen Konsumzahlen ein verändertes Sozialverhalten der Jugend. Seiner Meinung nach werde Nicht-Trinken mittlerweile toleriert und als Lifestyle akzeptiert. „Durchaus möglich, Moden sind in diesem Alter etwas sehr wichtiges“, kommentiert Rheinfurth. Wenn man sich beispielsweise dem Sport verschrieben habe, „kommt Alkohol als Freizeitaktivität nicht mehr in Frage.“

Wäre damit nicht das Ziel der Prävention erreicht: Ein Leben in der Abstinenz? „Nein“, sagt Bulla. „Wir wollen die Jugendlichen nicht zum Verzicht, sondern zu einem risikofreien Konsum von Alkohol anleiten. Alles andere wäre wenig realistisch.“