Bangladesch. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi will sich nicht wegen ethnischer Säuberung vor den Vereinten Nationen verantworten.

Die Ikone des Widerstands und demokratischer Freiheiten wandelt sich zur Drückebergerin: Die Regierung von Myanmar ließ am Mittwoch verkünden, dass Außenministerin Aung San Suu Kyi, die als Staatsrätin de facto Regierungschefin ist, nicht wie geplant vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York in der zweiten Septemberhälfte sprechen will. Myanmar wird stattdessen durch den politisch unbedeutenden Vizepräsidenten Henry Van Thio vertreten.

„Aung San Suu Kyi fürchtet sich nie vor Kritik, sie hat andere Verpflichtungen“, versuchte ein Sprecher ihrer Partei National League for Democracy den Verdacht zu zerstreuen, sie wolle sich den Vorwürfen wegen der Massenvertreibung von mittlerweile 370 000 Rohingyas aus dem Norden des Rakhine-Bundesstaats nicht stellen. Die Vereinten Nationen hatten die Massenflucht von einem Drittel der 1,1 Millionen Rohingyas in Myanmar ein „Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung“ genannt.

Die meisten der Flüchtlinge, die es ins Nachbarland Bangladesch schafften, stammen aus dem Norden des Rakhine-Staats, der Region im überwiegend buddhistischen Myanmar, in der bislang die größte Konzentration der islamischen Minderheit siedelte. Sie besitzen keine Staatsbürgerschaft, haben keinen Anspruch auf soziale Leistungen Myanmars und werden vom Staat als illegale Einwanderer behandelt. Ihre Dörfer sind mittlerweile menschenleer. Im Süden des Rakhine-Staats leben in der Region um die Stadt Sittwe rund 120 000 weitere Rohingyas in Gettos, die sie nicht verlassen dürfen und die nur dürftig mit Nahrungsmitteln versorgt werden.

Buddhistische Banden

brennen Häuser nieder

Myanmar hatte im Laufe des Augusts seine Truppen in der Region verstärkt. Nach einem Angriff der nach Talibanvorbild agierenden Harakah al-Yaqin (Bewegung des Glaubens, HaY), in Myanmar auch Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) genannt, holten am 25. August die Generäle zum großen Gegenschlag aus. Der Oberkommandeur von Myanmars Streitkräften, General Min Aung Hlaing, erklärte: „Wir werden nicht erlauben, dass eine Lage wie im Jahr 1942 entsteht.“ Damals verbündeten sich die muslimischen Rohingyas mit der britischen Kolonialarmee und versuchten, einen eigenen Staat zu errichten. Fast 100 Menschen starben bei den Attacken am 25. August. Laut offiziellen Angaben kamen bei Zusammenstößen seither weitere 300 Menschen ums Leben. Aber die Zahl der Opfer ist vermutlich weitaus größer.

„Die Fliehenden kommen in kleinen Booten durch das Delta des Grenzflusses Naf oder über Küstengewässer“, erklärte ein Vertreter von Bangladeschs Polizei in der Grenzstadt Cox’s Basar, „die Boote können hohen Wellen nicht widerstehen.“ Hunderte solcher Boote erreichten laut den Vereinten Nationen seit Mittwoch vergangener Woche die Dörfer Shamlapur und Shah Porir Dwip. Mindestens ein halbes Dutzend der baufälligen Kähne kenterte, die Passagiere verschwanden im Wasser. Bangladeschs Behörden zählten bislang rund 100 Opfer, die bei der Flucht ertranken.

In der Rohingya-Frage scheinen sich die Vorstellungen über Menschenrechte Aung San Suu Kyis, die von den Militärs lange im Hausarrest gequälte frühere Ikone der Hoffnung, und westlicher Staaten zu trennen. Stattdessen schlug sich nun China auf die Seite der Friedensnobelpreisträgerin. „Wir unterstützen Stabilität in Myanmar“, hieß es lakonisch aus Peking.

Im Rakhine-Staat besteht diese Stabilität aus Dörfern, die in Flammen aufgehen. Die Streitkräfte und die Polizei setzten dort Banden buddhistischer Bewohner ein, um die Häuser der Rohingyas abzufackeln.

Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina kapitulierte inzwischen vor dem Massenandrang an der Grenze und vor ihren eigenen Sicherheitskräften. Viele Grenzwächter konnten das Elend der Rohingyas nicht ertragen und ließen die Flüchtlinge trotz gegenteiliger Befehle passieren. Geliebt werden sie gegenwärtig nur von islamistischen Extremisten aller Couleur. Das Schicksal der Minderheit, so argumentierten sie, zeigt nicht nur die Missachtung westlicher Staaten, sondern auch, wie sehr islamische Staaten ihre Glaubensbrüder im Stich lassen würden. Und sie verwiesen auf die nur zögerlich anlaufende Hilfe für die Lager, in denen es kaum Nahrungsmittel gibt. Die Vereinten Nationen schickten bisher zwei Flugzeuge mit Notrationen für insgesamt 50 000 Menschen.