Brüssel. Brisanter Report des EU-Rechnungshofs: Der Lobby-Einfluss auf Europas Gesetzgebung läuft trotz Transparenzregeln oft im Dunkeln ab.

Die EU-Hauptstadt Brüssel gilt als Zentrum des Lobbyismus in Europa: Bis zu 25.000 Lobbyisten vor allem von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden versuchen, in der belgischen Kapitale Einfluss auf Entscheidungen der Europäischen Union zu nehmen – mit exklusiven Zugängen zu Top-Kommissionsbeamten oder Kontakten zu wichtigen Abgeordneten. Mit einem Transparenz-Register sollte Licht in diese oft kritisierten Aktivitäten gebracht werden. Doch jetzt warnt der Europäische Rechnungshof vor riskanten Lücken: „Lobbyisten können noch immer von der Öffentlichkeit unbemerkt auf den EU-Gesetzgeber Einfluss nehmen“, heißt es in einem neuen Report der Rechnungsprüfer, der am Mittwoch veröffentlicht wird und unserer Redaktion vorliegt.

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    Der Rechnungshof weiter: „Lobbying ohne Transparenzmechanismen kann zu unzulässiger Einflussnahme, zu unlauterem Wettbewerb oder sogar zu Korruption führen“. Wie weit das gehen kann, hatten zuletzt mutmaßliche BestechungsaktionenKatars und anderer Staaten im sogenannten „Katar-Gate“ gezeigt, in dem nach staatsanwaltlichen Ermittlungen die griechische EU-Abgeordnete Eva Kaili eine Hauptrolle gespielt haben soll; als Kaili im Dezember 2022 festgenommen wurde, trug sie Säcke mit Bargeld im Wert von mehreren hunderttausend Euro bei sich. Die 45-Jährige ist aber längst wieder auf freiem Fuß und im EU-Parlament aktiv.

    Kernpunkt der Rechnungsprüfer: Das Transparenz-Register, auf das sich Kommission, Parlament und Rat der Mitgliedstaaten geeinigt hatten, habe durchaus „positive Aspekte“. So könnten sich Bürgerinnen und Bürger anhand der Angaben über den potenziellen Lobby-Einfluss informieren. Seit dem Start habe die Zahl der registrierten Lobbyisten auf rund 12500 deutlich zugenommen. Aber: Das Register habe Schwächen, sei lückenhaft, freiwilliger Natur und ohne Gesetzescharakter, sodass bei Verstößen auch keine Strafen verhängt werden könnten. So müssten sich Lobbyisten nur für Treffen mit den ranghöchsten Mitarbeitern der EU-Institutionen registrieren, berücksichtigt würden auch nur im Voraus geplante Termine. Spontane Treffen, Telefongespräche oder E-Mail-Verkehr müssten nicht formell festgehalten werden.

    Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg. Tausende Lobbyisten versuchen auf die Gesetzesentscheidungen des Parlaments Einfluss zu nehmen - oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, beklagt der Europäische Rechnungshof in einem neuen Report.
    Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg. Tausende Lobbyisten versuchen auf die Gesetzesentscheidungen des Parlaments Einfluss zu nehmen - oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, beklagt der Europäische Rechnungshof in einem neuen Report. © picture alliance / | Daniel Kalker

    Für Treffen mit Kommissions-Mitarbeitern unterhalb der Ebene eines Generaldirektors – also praktisch mit fast allen Mitarbeitern – sei keine Registrierung notwendig. „Nur für bestimmte Zusammenkünfte und Aktivitäten, zum Beispiel eine Teilnahme an Anhörungen oder Expertengruppen, ist eine Registrierung zwingend erforderlich“, monieren die Prüfer. Sie verweisen auf eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die in den Katar-Skandal verwickelt war, wenige Monate zuvor aber der Ausrichtung einer Konferenz im EU-Parlament beteiligt gewesen sei. Es bestehe außerdem das Risiko, dass von Dritten finanzierte NGO ihre Finanzquellen verschleiern, indem sie offiziell angeben, nur ihre oder die gemeinsamen Interessen der Mitglieder zu vertreten; die eingetragenen Daten müssten besser kontrolliert werden.

    Der federführende Rechnungsprüfer Kristijan Petrovic sagte, das Transparenz-Register habe nicht die gewünschte Schlagkraft, es dürfe nicht zu einem Papiertiger werden. „Oft findet der Austausch zwischen Lobbyisten und EU-Gesetzgebern fernab der öffentlichen Wahrnehmung statt, was der Transparenz schadet und sich negativ auf das Vertrauen der Öffentlichkeit auswirkt“, meinte Petrovic.

    Die Lobbyaktivitäten sind seit Jahren Gegenstand von Kritik. „Die europäische Demokratie läuft Gefahr, zu einer wirtschaftsdominierten Lobbykratie ausgehöhlt zu werden“, warnt etwa der Verein Lobbycontrol. Waren Lobbyisten lange Zeit vor allem für die Finanzwirtschaft, die Öl-, Pharma-, Chemie- oder Autoindustrie tätig, betreiben jetzt Unternehmen der Digitalwirtschaft den größten Aufwand, die führenden Internet-Konzerne aus den USA eingeschlossen.