Berlin. Mehr Wachstum, weniger Bürokratie: Schafft die Bundesregierung jetzt die Wende? Was Experten und Wirtschaft sagen, wo es weiter hakt.

Steuerentlastungen, Bürokratieabbau, Investitionshilfen: Die Bundesregierung will mit einer milliardenschweren Offensive das Wachstum in Deutschland ankurbeln – als Antwort auf die Konjunkturflaute, mit der Deutschland in die Rezession gerutscht ist. Doch der Zehn-Punkte-Plan, den die Regierung bei der Klausur in Meseberg präsentierte, enthält auch vage Ankündigungen und längst bekannte Vorhaben. Wie stark ist das Wirtschaftspaket wirklich?

Wachstumschancengesetz: Es ist das zentrale Element der Regierungsbeschlüsse mit Entlastungen vor allem für die Wirtschaft, in kleinerem Umfang auch zum Beispiel für künftige Rentner – die volle Besteuerung der Rentenbezüge, die 2040 für Neu-Rentner greifen sollte, wird auf 2058 verschoben. Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf sieht ein jährliches Entlastungsvolumen von sieben Milliarden Euro vor.

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Geplant unter anderem: Eine Investitionsprämie vor allem für Klimaschutz-Projekte. Bessere steuerliche Förderung von Forschungsvorhaben. Die steuerliche Anrechnung von Verlusten auf spätere Gewinne wird ausgeweitet. Neu aufgenommen wurde zuletzt noch die befristete Einführung einer degressiven Steuer-Abschreibung für Wohngebäude, um die Baukonjunktur anzuschieben.

„Das Gesetz ist zumindest ein Signal“

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm lobt das Gesetz: Es sei zwar kleinteilig, enthalte aber viele gute Maßnahmen, sagte Grimm unserer Redaktion: „Das Gesetz ist zumindest ein Signal, dass die Politik verstanden hat, dass gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wichtig sind“. Doch die Maßnahmen reichten nicht, angepackt werden müssten viele strukturellen Herausforderungen von Rente über Bildung und Energie bis zu Infrastruktur und Bürokratieabbau.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M), Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen,und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, stellen in Meseberg die Ergebnisse der Kabinettsklausur vor.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M), Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen,und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, stellen in Meseberg die Ergebnisse der Kabinettsklausur vor. © dpa | Michael Kappeler

Dagegen nannte der Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, den Kabinettsbeschluss eine „echte Hiobsbotschaft“. Unserer Redaktion sagte Lewe, das Gesetz führe für die Kommunen voraussichtlich bundesweit zu Steuerausfällen von mehr als sieben Milliarden Euro. Das sei für die Städte kaum zu verkraften, zumal sie vor Mammut-Aufgaben vor allem beim Klimaschutz stünden. „Die kommunalen Investitionen würden mit diesem Wachstumschancengesetz zwangsläufig einbrechen“.

Keine Einigung beim Industriestrompreis

Strompreise: Die Regierung konnte ihren Streit um einen staatlich vergünstigten Strompreis für große Industrieunternehmen nicht beilegen. Sie stellte nur eine Strategie für bezahlbaren Strom in Aussicht – ob mit Industriestrompreis, ist unklar: Ausdrücklich ausgeschlossen wird in dem Beschluss nur eine „Dauersubvention“ – während SPD-Fraktion und Grüne eine befristete Brückenlösung für die Industrie fordern.

Um die Strompreise schnell zu senken, will die Regierung vor allem die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen beschleunigen, das ist allerdings keine neue Idee. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) protestierte: Es sei „fatal“, dass die Regierung jedes Instrument zur Senkung der Stromkostenbelastung schuldig bleibe.

Zahlreiche Aktenordner mit Dokumenten und Dienstplänen stehen im Hinterzimmer einer Apotheke. Viele Betriebe müssen sehr viel Schreibkram erledigen. Das will die Bundesregierung ändern – und auch die Digitalisierung voranbringen.
Zahlreiche Aktenordner mit Dokumenten und Dienstplänen stehen im Hinterzimmer einer Apotheke. Viele Betriebe müssen sehr viel Schreibkram erledigen. Das will die Bundesregierung ändern – und auch die Digitalisierung voranbringen. © dpa | Monika Skolimowska

Digitalisierung: In einer neuen Datenstrategie beschreibt die Regierung, wie die schleppende Digitalisierung in Deutschland beschleunigt werden soll. Als konkreten Schritt stellte das Kabinett mit einem Gesetzentwurf die Weichen für das elektronische Rezept als Standard (ab 2024) und die ebenso längst angekündigte elektronische Patientenakte (für alle Versicherten ab 2025).

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Bürokratieabbau: Das Kabinett beschloss Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgesetz. Unter anderem sollen Firmen Buchungsbelege nur noch acht statt zehn Jahre auf Papier aufbewahren müssen, Informationspflichten werden reduziert. Hotels müssen künftig nicht mehr für jeden einzelnen Gast einen Meldeschein ausfüllen. Vor allem kleinere Unternehmen würden jährlich 2,3 Milliarden Euro an Bürokratiekosten sparen, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP).

Parallel will die Regierung gemeinsam mit Frankreich eine Initiative für Bürokratieabbau auf Ebene der Europäischen Union starten. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks spricht von einem „guten, längst notwendigen Signal“. Aber: Die Pläne reichten nicht, die Regierung müsse nachlegen, Entlastungen auch wirklich in der Betriebspraxis ankämen, fordert Generalsekretär Holger Schwannecke.

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