Berlin. Ob bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche: Wer sich diskriminiert fühlt, soll künftig schneller klagen können – auch gegen den Staat.

Ferda Ataman hat viel vor. Die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung will aus einem Gesetz, das bisher ein zahnloser Tiger ist, ein schneidiges Schwert machen. Dazu legte sie am Dienstag ein Grundlagenpapier vor, um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu reformieren. Ataman sagte, sie habe ihre 19 Vorschläge auch an BundesjustizministerMarco Buschmann (FDP) geschickt, der federführend für die Reform zuständig ist.

Das AGG soll Benachteiligung „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern oder beseitigen“. Wer bei der Wohnungssuche abgelehnt wird, weil er oder sie Sozialleistungen bezieht, soll dagegen künftig klagen können. Auch wer sich von Organen des Staats benachteiligt fühlt, zum Beispiel bei Kontrollen des Ordnungsamts, soll dagegen klagen können. Das war bisher nicht möglich.

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„Es ist unlogisch, dass man gegen Diskriminierung in der Privatwirtschaft klagen kann, aber gegen Staatsorgane nicht. Der Staat hat doch eine Vorbildfunktion“, sagte die Antidiskriminierungsbeauftragte. Auch die Staatsangehörigkeit sollte nach Ansicht von Ataman als Diskriminierungsmerkmal ins Gesetz aufgenommen werden. Bislang wird hier lediglich auf die Herkunft abgezielt.

Die Kirchen sollen Nicht-Gläubige nicht mehr von der Arbeit ausschließen

Einer der Änderungsvorschläge umfasst die sogenannte Kirchenklausel. Sie erlaubt es Kirchen, Nicht-Gläubige oder Personen mit einer anderen Religion als Angestellte auszuschließen. Diese Benachteiligung soll nur noch bei Mitarbeitenden im verkündungsnahen Bereich angewandt werden – zum Beispiel bei Pfarrern. Hier müsse das Bundesverfassungsgericht nachbessern, das in der Vergangenheit anderslautend entschieden hatte. Die Kirchen sind mit etwa 1,8 Millionen Beschäftigten bundesweit einer der größten Arbeitgeber.

Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, will mehr Kompetenzen von der Bundesregierung bekommen.
Ferda Ataman, die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, will mehr Kompetenzen von der Bundesregierung bekommen. © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Wichtig wäre es aus Sicht von Ataman auch, die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen in Fällen von Diskriminierung zu verlängern. Bislang haben die Betroffenen dafür zwei Monate Zeit. Die Beauftragte schlägt eine Verlängerung auf zwölf Monate vor. Außerdem will sie den Nachweis von Diskriminierung erleichtern. In ihrem Papier heißt es dazu: „Das Erfordernis, eine Benachteiligung und Indizien nachzuweisen, sollte auf die Glaubhaftmachung herabgesenkt werden – das heißt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt.“

Wer also bisher das ungute Bauchgefühl hatte, in einem Auswahlprozess nicht zum Zuge zu kommen wegen einem oder mehrerer dieser Merkmale, der muss nun keine Beweise mehr vorlegen. Hierbei soll eine Auskunftspflicht helfen. Beispiel Wohnungssuche: Wer als neuer Mieter nicht den Zuschlag erhält, und das Gefühl hat, es liege am sozialen Status, dem muss der Vermieter nachweisen, dass in seinem Haus durchaus Menschen mit diesem Merkmal wohnen und die Absage nicht aus diesem Grund kam. Ataman räumt allerdings ein, dass der Begriff „sozialer Status“ noch nicht genau definiert sei.

Antidiskriminierungsstelle kümmert sich um mehr als 8000 Anfragen pro Jahr

Zudem will sich die Antidiskriminierungsstelle mehr Befugnisse einräumen. Im Vorjahr habe man einen Rekordwert bei Beratungsanfragen verzeichnet, so Ataman. 8800 Mal haben sich potenziell Benachteiligte an die Antidiskriminierungsstelle (ADS) gewandt. Seit Eröffnung der ADS sind mehr als 68.500 Anfragen eingegangen, heißt es. Dabei habe Deutschland das „schwächste Antidiskriminierungsgesetz in Europa“, so Ataman. Dementsprechend eingeschränkt seien ihre Kompetenzen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will angeblich bis zum Ende der Sommerpause ein Eckpunktepapier zur Reform des Antidiskriminierungsgesetzes vorlegen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will angeblich bis zum Ende der Sommerpause ein Eckpunktepapier zur Reform des Antidiskriminierungsgesetzes vorlegen. © FUNKE Foto Services | Sebastian Konopka

„Die Achillesferse des Gesetzes ist die Rechtsdurchsetzung“, ergänzte ihr Vorgänger im Amt Bernhard Franke. Nur wenige Fälle von Diskriminierung landen tatsächlich vor Gericht: Von 316.000 Zivil- und Arbeitsrechtsentscheidungen seien seit Einführung des AGG nur 700 Entscheidungen mit Bezug auf das Antidiskriminierungsgesetz gefallen, führt Ataman aus. „Die Hürden sind so hoch, dass viele den Klageweg nicht beschreiten. Es ist schwierig alleine vor Gericht zu ziehen, da man zunächst die Kosten und Risiken trägt – das schreckt ab“, sagte die Bundesbeauftragte. Zudem erhielten Betroffene in bisherigen Verfahren oft nur geringe Entschädigungen.

Justizminister will noch in dieser Legislatur Reformvorschläge vorlegen

Franke nannte als Beispiel die Diskriminierung an Diskotüren: In solche Fällen seien zwischen 500 und 1000 Euro gezahlt worden. Die Entschädigungen sollen bei einer Reform des AGG künftig „abschreckend“ ausfallen. Ataman schwebt ein Gesetz vor, das „wie die Straßenverkehrsordnung fürs Zusammenleben“ angewandt wird. Sogar wenn es gar keine Opfer gibt, aber einen möglichen Diskriminierungstatbestand will die Chefin der Antidiskriminierungsstelle klagen können, in „Fällen von allgemeiner Relevanz“. Ataman stellt aber klar: „Wer nicht diskriminiert, hat auch nichts zu befürchten.“

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Vorschläge der unabhängigen Antidiskriminierungsbeauftragten Einzug finden in die Gesetzesreform der Bundesregierung? Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums (BMJ) bestätigte unserer Redaktion, dass das Ministerium noch in dieser Legislaturperiode einen Entwurf zur Reform des AGG vorlegen will. „Das BMJ bezieht dabei die gesamte Breite der Reformforderungen mit ein – auch die Vorschläge der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung.“ Dem Vernehmen nach will Buschmann bis zum Ende der Sommerpause ein Eckpunktepapier vorlegen.