Washington. Biden steht unter Druck: In Mexiko sitzen 150.000 Flüchtlinge auf gepackten Koffern – nun sollen Soldaten den Grenzschutz verstärken.

Sie schlafen auf Pappe, zerfetzten Decken, Plastiktüten oder auf dem Asphalt: 2000 Asylsuchende, die sich im Schatten der katholischen „Sacred Heart”-Kirche im texanischen El Paso auf der Straße eingerichtet haben. Notgedrungen, weil Übergangsunterkünfte überfüllt sind.

Für die Grenzstadt nahe Mexiko ist das aber nur ein lauer Vorgeschmack auf das, was kommen kann, wenn an diesem Donnerstag ein Bollwerk der US-Abschiebungspraxis endgültig fällt. „Title 42”, eine unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes (Corona) in Stellung gebrachte Vorschrift, war vor drei Jahren im Kritik-Gewitter von Menschenrechtsorganisationen unter Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt worden.

Flüchtlinge in USA: Unter Biden wurden 2,5 Millionen abgewiesen

Sein Nachfolger Joe Biden behielt die umstrittene Maßnahme trotz anderslautender Ankündigungen bei. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2021 konnten so über 2,5 Millionen Asylsuchende auf der Stelle an der Grenze abgewiesen werden. Ohne „Title 42” rechnet El Pasos Bürgermeister Oscar Leeser mit einem nie dagewesenen Ansturm: „Fünfstellige Zahlen, auf einen Schlag. Über Tage.”

An den Haaren herbeigezogen ist das nicht. Allein gegenüber von El Paso auf der mexikanischen Seite in Ciudad Juarez sitzen etwa 35.000 Armutsflüchtlinge aus Latein- und Mittelamerika seit Wochen auf gepackten Koffern, um bei der erstbesten Gelegenheit in die USA zu gelangen.

Flüchtlinge aus Südamerika harren vor der katholischen „Sacred Heart”-Kirche in El Paso aus.
Flüchtlinge aus Südamerika harren vor der katholischen „Sacred Heart”-Kirche in El Paso aus. © AFP | STF PATRICK T. FALLON

Im gesamten Norden Mexikos stehen nach Erkenntnissen des Heimatschutzministeriums rund 150.000 Flüchtlinge in den Startlöchern. Leeser hat wie seine Amtskollegen in anderen Grenzstädten von Laredo oder Brownsville bereits den Notstand ausgerufen. Täglich schicken die Kommunpolitiker Hilferufe nach Washington. „Wir können den Ansturm nicht mehr bewältigen.”

Regierung schickt 1500 Soldaten in den Süden

Aber aus der Hauptstadt kommt die Unterstützung in homöopathischen Dosen. Präsident Biden hat, um dem immer gewaltiger werdenden Druck der Republikaner zu begegnen, 1500 Soldaten an die Grenze beordert. Sie sollen dem Grenzschutz CBP passiv zur Seite stehen. Grenzschützer rechnen ab Ende dieser Woche mit bis zu 13.000 Asylsuchenden – pro Tag. Normal wären 6000.

Um die Zahlen zu senken, will das Weiße Haus einen Puffer um die rund 3100 Kilometer lange Grenze zum südlichen Nachbarn legen. Wer Asyl in den USA will, muss künftig in Einreisezentren in Kolumbien und Guatemala (die es noch nicht gibt) vorstellig werden und via Smartphone-App einen Termin mit den US-Grenzbehörden vereinbaren. Ohne wird man zurückgeschickt.

Zehntausende Flüchtlinge hoffen auf eine Chance, über die mexikanische Grenze in die USA zu gelangen.
Zehntausende Flüchtlinge hoffen auf eine Chance, über die mexikanische Grenze in die USA zu gelangen. © AFP | HERIKA MARTINEZ

Allein, die Zahlen sprengen die Kapazitäten. Und die App funktioniert oft nicht, sagen Bürgerrechts-Anwälte. Anders als in den Vorjahren klagen inzwischen viele US-Städte in Grenznähe über die Neuankömmlinge, auch wenn die meisten nur wenige Tage bleiben, bis sie das Geld für Bus oder Bahn ins Inland haben, wo Verwandte oder Freunde eine erste Anlaufstelle darstellen.

Republikaner wollen Heimatschutzminister stürzen

Nahezu sämtliche Auffanglager entlang der Grenze zu Mexiko platzen aus allen Nähten. In Brownsville, wo am Wochenende ein mehrfach vorbestrafter Mann mit dem Auto in eine Gruppe von meist männlichen Asylsuchenden aus Venezuela fuhr und acht Menschen tötete, wurde kurzerhand ein Baseball-Spielfeld umfunktioniert. „Wir müssen diese Leute von der Straße holen”, sagen Mitarbeiter vom Roten Kreuz.

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Die Republikaner schlachten die teilweise hilflos wirkende Regierungsarbeit in Washington nach Kräften aus: Amerika habe sträflich offene Grenzen. Die Kriminalität nehme überhand. Die von Donald Trump angefangene Grenzmauer müsse unbedingt weitergebaut werden. So lauten einschlägige Slogans der Konservativen. Sie verlangen die rigorose Rückführung der Flüchtlinge und wollen Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas des Amtes entheben.

Alejandro Mayorkas steht in der Kritik, weil die Rückführung der Flüchtlinge den Republikanern nicht schnell genug geht.
Alejandro Mayorkas steht in der Kritik, weil die Rückführung der Flüchtlinge den Republikanern nicht schnell genug geht. © Getty Images via AFP | Michael Gonzalez

Demonstrativ hat der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, die Entsendung von 10.000 Nationalgardisten und einer Truppe von Spezialfahndern an die Grenze befehligt. Sein Motto: „Texas muss sich selbst schützen, Washington versagt.”

Aber Joe Biden wird auch aus der eigenen Partei angegangen. Der linke Flügel wendet sich gegen einen „inhumanen Umgang” mit Schutzbedürftigen. Dass der Präsident Soldaten an die Grenze schickt, ist aus Sicht des demokratischen Senators Bob Menendez ein falsches Signal: „Migranten suchen Arbeit und die Abwesenheit von Gewalt, Banden-Kriminalität und Perspektivlosigkeit. Sie sind keine Bedrohung.”