Berlin . Erich Vad war General und saß im Kanzleramt. Im Ukraine-Krieg ist er abgedriftet. Fallhöhe: groß. Die Tragödie einer Selbstverzwergung.

Die nächste Marke: eine Million Unterschriften. Dann wäre "Manifest für Frieden" eine der meistgezeichneten Petitionen. Machbar ist es, keine Frage. Schließlich ist sie nach etwas mehr als einem Monat schon 757.107 Mal unterzeichnet worden.

Zu verdanken ist die Akzeptanz auch einem Mann, der kein Pazifist ist, sondern ein Soldat und gerade deshalb vor der Logik des Krieges warnt: Brigadegeneral a. D. Erich Emmerich Hugo Vad, ein einstmals in höchsten Kreisen geschätzter Berater. Man nannte ihn "Merkels General".

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Man muss über den Mann inzwischen in der Vergangenheitsform sprechen. Denn für die breite Öffentlichkeit ist Vad nur noch ein Soldat auf dem falschen Pfad. Seine Einschätzungen zum Ukraine-Krieg, zu Russland und Kremlchef Wladimir Putin erwiesen sich mit verstörender Regelmäßigkeit als falsch.

Erich Vads Mitstreiter: Oskar Lafontaine (l-r), Sahra Wagenknecht (Die Linke), Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin. Inzwischen will der frühere Brigadegeneral und Berater von Kanzleron Angela Merkel weder mit Wagenknecht noch einmal auftreten noch Interviews geben.
Erich Vads Mitstreiter: Oskar Lafontaine (l-r), Sahra Wagenknecht (Die Linke), Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin. Inzwischen will der frühere Brigadegeneral und Berater von Kanzleron Angela Merkel weder mit Wagenknecht noch einmal auftreten noch Interviews geben. © dpa | Monika Skolimowska

Merkels General: Keine Interviews mehr, keine Auftritte mit Wagenknecht

Je mehr er um seinen Ruf kämpfte, desto mehr driftete Vad ab. Bis er zuletzt am politischen Rand zu sehen war: Auf einer Bühne, buchstäblich am 25. Januar in Berlin, mit Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Alice Schwarzer. Auf der Kundgebung von Manifest für Frieden.

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Vad will sich den Hass und Häme, die er in der Folge erlebte, nicht länger antun. Gerade hat er in der Neuen Zürcher Zeitung kategorisch angekündigt: "Das ist mein letztes Interview. Es ist vorbei." Eine Maßnahme zum Selbstschutz.

Wobei: Eine Ausnahme ist vielleicht noch drin, für "Emma", Schwarzers legendärer Frauen-Zeitschrift. In die Bütt mit Wagenknecht ist Vad nach eigenen Worten nur wegen Schwarzer gegangen. "Ich habe das für Alice gemacht", sagte er in seinem erklärtermaßen letzten Interview. "Aus Dankbarkeit, dass sie mir in ‹Emma› die Möglichkeit gegeben hat, meine Gedanken zu den Waffenlieferungen darzulegen."

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Eigentlich vertrat Vad eine ausbalancierte Position. Er war nicht grundsätzlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine; wohl wollte er sie mit einem politischen Plan verbinden. Mit dieser Ansicht wäre er zum Beispiel in der Kanzlerpartei SPD monatelang mehrheitsfähig gewesen.

Aber seine Glaubwürdigkeit ist erschüttert, seine Expertise wird angezweifelt, weil Vad mit der Unbeirrbarkeit eines Geisterfahrers immerzu irrte:

  • Nach der Invasion gab der der Ukraine nur wenige Tage;
  • und prophezeite die Einkesselung Kiews;
  • oder sah die Luftherrschaft bei den Russen;
  • und hielt Militärhilfe anfangs für überflüssig ("bringt nichts mehr"), später schwere Waffen für den "Weg in den Dritten Weltkrieg";
  • Russland sah er auf breiter Front den Donbas einnehmen, kurz bevor sich die Russen zurückziehen mussten.
  • Über Odessa glaubte er, "die Stadt wird auch in Kürze genommen werden".

Viele diese Einschätzungen gab er im Fernsehen ab. Sie sind in Ton und Bild gut dokumentiert. Je mehr er daneben lag, desto häufiger wurde er in Talk-Shows eingeladen; eine schrille Stimme weckt Neugier. Aber auch: Ablehnung, "Der Vorwurf, ich hätte keine Ahnung, hat mich hart getroffen", bekannte er ein und dachte vermutlich nicht zuletzt an die Bundeswehr.

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Vad verhielt sich wie ein Mann, der sein ganzes Geld im Casino verspielt hat. Nur, dass in seinem Fall die Währung sein Renommee war. Beim nächsten Mal spielte er mit noch höherem Einsatz, um auf einen Schlag seine Verluste wettzumachen. Kaum war eine Fehleinschätzung verklungen, trumpfte er mit der nächsten auf. Je mehr, je vergeblicher er gegen seinen Bedeutungsverlust ankämpfte, umso tragischer wurde der Prozess der Selbstverzwergung.

Die Fallhöhe war ja auch gewaltig. Immerhin war Vad nicht nur Kompaniechef gewesen, sondern auf dem Höhepunkt seines Ansehens der militärische Berater von Kanzlerin Angela Merkel.

Ukraine-Krieg: Es gibt einen Resonanzboden für den Ruf nach Diplomatie

Vad hat zu unvorsichtig formuliert und auch den öffentlichen Konformitätsdruck unterschätzt. Den bekam selbst ein so behutsamer und erfahrener Ex-Diplomat wie Wolfgang Ischinger zu spüren, als er in einem Beitrag für den "Tagesspiegel" dazu aufrief, Friedensverhandlungen vorzubereiten. Prompt musste er klarstellen, "natürlich soll die Ukraine nicht zu Verhandlungen gedrängt werden". Man müsse sich auf mögliche diplomatische Optionen vorbereiten.

Ischinger wurde missverstanden, konnte Kritik aber leichter als Vad an sich abperlen lassen. Ischinger hatte sich anders als der General nicht als Putin-Versteher blamiert und sich vor allem nicht mit Wagenknecht und Schwarzer gemein gemacht und ihr Manifest unterschrieben.

Gibt es in der Diskussion Denkverbote?

Tendenziell gibt es in Deutschland durchaus einen Resonanzboden für die Forderung nach mehr Diplomatie. Deswegen wäre es auch keine Überraschung, sollte demnächst tatsächlich eine Million Menschen das Manifest für Frieden unterschrieben haben.

Längst gibt sich Vad zerknirscht. Der NZZ sagte der Militär, er werde sich mit Wagenknecht auf keine Bühne mehr stellen. Sie gehöre zu den Leuten in Deutschland, die von den "Denkverboten" profitierten, die es in der Debatte über den Krieg gebe. "Da müssen wir aufpassen." Der Rest ist Schweigen.

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