Berlin. Auch Russen sind durch den Ukraine-Krieg verunsichert. Viele suchen eine Exitstrategie. Schwangere Russinnen haben längst einen Plan B.

Tausende sind es inzwischen, Zehntausende. Jeden Tag spielen sich – seit Monaten – am Flughafen in Buenos Aires die gleichen Szenen ab: Hochschwangere russische Frauen an den Passkontrollen. Angeblich wollen sie Urlaub machen, in Wahrheit aber ihre Babys in Argentinien zur Welt bringen. Was steckt hinter der Entbindungsmigration?

Die Erklärung für den Geburtstourismus hat mit dem Ukraine-Krieg zu tun, die kürzeste Antwort lautet: Es ist eine Exit-Strategie. Viele lehnen den Krieg ab, sind verunsichert. Manche bleiben, die meisten kehren nach der Entbindung nach Russland zurück. Argentinien ist ihr Plan B. Sie können entweder sofort auswandern oder erst später, wenn sich die Lage in ihrer Heimat verschlechtern sollte. Argentinien ist keine schlechte Option, denn

  • die Neugeborenen erhalten die argentinische Staatsbürgerschaft;
  • ihre Eltern ein Aufenthaltsrecht; später können sie leichter eingebürgert werden;
  • es ist die Option für eine Zukunft in Frieden und für Väter nicht zuletzt die Chance, der drohenden Einberufung zu entkommen.

2022 sind nach Behördenangaben 21.757 Russen eingereist, darunter 10.500 schwangere Frauen. Der Trend setzte sich im Januar und Februar fort. "Buenos Aires wird zu "klein Moskau" spottete die Zeitung "Clarin". Auch interessant: Wann endet der Krieg in der Ukraine? Drei Szenarien

Schwangere Russinnen: Argentinien ist ihr Plan B

Die Privatkliniken gelten als gut und relativ günstig. Eine Entbindung mit drei Tage Krankenhausaufenthalt kostet 3000 US-Dollar. Die Agentur RuArgentina organisiert Reise, Entbindung sowie Behördengänge. Bis zu 15.000 US-Dollar kostet ein Rundum-Paket.

Befragungen in Argentinien ergaben, dass die Mütter ein mittleres oder hohes Einkommen und einen Universitätsabschluss haben. Privatkliniken berichten von bis zu 50 russischen Geburten im Monat. Lesen Sie auch: 100.000 IT-Experten kehren Putins Russland den Rücken

Argentinien versteht sich als Einwanderungsland, seit jeher als Schmelztiegel der Völker; laut Verfassung sind alle willkommen, "die argentinischen Boden bewohnen wollen." Trotzdem sind die Behörden konsterniert, obgleich die Frauen legal einreisen. "Irgendwas ist komisch, wenn Schwangere in der 34. Woche kommen. Deshalb vermuten wir, dass sie nicht nur Urlaub machen wollen", sagte denn auch die Leiterin der Einwanderungsbehörde, Florencia Carignano, der Zeitung "La Nacion". Das könnte Sie auch interessieren: Ukraine-Krieg: Nato-General schockiert mit Opferzahlen

Argentinier zu sein, öffnet ihnen die Welt

Die Behörden befürchten kriminelle Agenturen, also Schlepper; seit Langem laufen Ermittlungen. Ihr Argwohn wurde nicht kleiner, als in Slowenien mutmaßliche russische Agenten mit argentinischen Pässen festgenommen wurden, was einen Missbrauch von Dokumenten zumindest befürchten lässt.

Russische Touristen dürfen seit Langem ohne Visa nach Argentinien einreisen und drei Monate bleiben. Die Europäische Union hat ihre Einreisebestimmungen für Russen nach dem Angriff auf die Ukraine hingegen verschärft.

In den Krankenhäusern lernen sie Russisch

Attraktiv ist ein argentinischer Pass allemal. Mit ihm kann man in rund 170 Staaten ohne Auflagen einreisen. Im Mercosur-Handelsraum kann man zwischen Uruguay, Paraguay und Brasilien reisen, dort wohnen und arbeiten. Und: Ein Visum für die USA für zehn Jahre beantragen. Auch interessant: Shoppen gehen, Ausflug machen: In Moskau ist alles ruhig

Dafür nehmen die Mütter Reisestrapazen in Kauf, meist mit Zwischenstopps in Armenien oder Türkei. Auf Telegram-Kanälen diskutieren sie über Kliniken oder Mieten und organisieren sich Dolmetscher, wobei sich das Personal in den Krankenhäusern längst auf die Klientel eingestellt hat. "Ich kenne schon ein paar Worte und Sätze auf Russisch, um sie zu verstehen", sagte eine Verwaltungsangestellte des Hospitals Rivadavia der Zeitung "La Nación".

Zurück nach Russland: Nicht ohne meinen Pass

Der Leiter der Entbindungsstation im Krankenhaus Finocchietto in Buenos Aires, Guido Manrique, ist in den argentinischen Medien als "der russische Geburtshelfer" bekannt und als Russen-Versteher gefragt. Er sagt, "in diesem Land empfinden sie keine Russophobie, es gibt keinen Hass, den sie in Europa empfinden können."

Viele Russinnen würden ihren Babys am Ende argentinische Namen geben: Lionel, Lio, León. Vor allem eines ist Manrique aufgefallen: Sie treten die Rückreise nach Russland erst an, "wenn sie ihren Pass haben". Das könnte Sie auch interessieren: Schock für Messi – Schüsse auf Supermarkt seiner Frau

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