Ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges ist Russland keineswegs komplett auf Kreml-Linie. Zwar stehen nach Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada rund 80 Prozent der Bevölkerung hinter Präsident Wladimir Putin. Aber wenn man sich umhört, gehen die Meinungen über den Krieg durchaus auseinander.
Seit Wochen legen Passanten am Denkmal der ukrainischen Dichterin Lessja Ukrajinka Blumen nieder. Mitten in der Moskauer Innenstadt. „Ukraine, wir sind mit Dir!“ hat jemand vor ein paar Tagen in den frisch gefallenen Schnee geschrieben. Die kleine, unbedeutend scheinende Szene zeigt, dass die Menschen in Russland nicht alle nur kriegsbegeistert sind. Protest gegen die russische Invasion in der ist noch im Kleinen möglich. Die Oppositionsmedien dagegen sind weitgehend verboten, Menschenrechtsorganisationen mussten ihre Arbeit einstellen.
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Ukraine-Krieg: Viele junge Russinnen und Russen sind nachdenklich geworden
Trotzdem gibt es gerade unter den Jüngeren viel Nachdenklichkeit. „Im Moment, den Nachrichten nach, die wir aus der Ukraine hören, gibt es schwierige Kämpfe“, sagt Iwan, ein 35-jähriger Moskauer. „Das bedeutet, dass die Armee Verluste hat.“ Und ja, er denke, es werde eine zweite Mobilisierungswelle geben. Iwan will weg aus Russland, sucht nach Möglichkeiten, im Ausland zu arbeiten. Antonia dagegen, 40 Jahre alt, ist mit ihrem Leben ganz zufrieden. Vor einer erneuten Mobilmachung hat aber auch sie Angst. „Ich hoffe sehr, dass es nicht passieren wird. Ich mache mir furchtbare Sorgen um meinen Mann.“
Die Kämpfe werden noch lange weitergehen und vielleicht sogar eskalieren, befürchten viele Menschen in Russland. Auch Natascha, Rentnerin in Moskau, sieht das so. Doch: „Russland ist ein großartiges Land. Wie oft haben sie versucht, es zu zerstören? Und was ist daraus geworden? Russland hat immer gewonnen!“ Natascha erzählt, was sie tagtäglich im Staatsfernsehen hört und sieht. Russische Soldaten „schützen die Menschen im Donbass, die acht Jahre lang von der ukrainischen Macht gnadenlos bombardiert und zerstört wurden“, glaubt sie.
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Weggehen, das Land verlassen – rund 700.000 Russen haben das bereits getan
Natalja aus Samara an der Wolga sieht das ganz anders. „Ich habe Freunde, von denen einige Särge aus der Ukraine erhalten haben, andere verstecken ihre Söhne. Ich habe ständig ernsthafte Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, die Putins Position unterstützen, aber ich habe schon lange daran gezweifelt.“
Alexander hat in Perm als Rechtsanwalt gearbeitet. „Ich habe den Eindruck, dass der Staat uns nicht wahrnehmen will. Es ist einfacher für sie, etwas zu verbieten, etwas zu bestrafen“, sagt er. „Deshalb habe ich den Koffer gepackt und bin weggegangen.“ Weggehen, das Land verlassen, rund 700.000 haben das bereits getan, nicht nur aus Angst zum Militär eingezogen zu werden.
Zum Jahrestag der Invasion plant der Kreml offenbar keine Feierlichkeiten
In den großen Städten hat sich seit Beginn der Invasion in der Ukraine der Alltag kaum verändert. In der russischen Provinz ist das anders. Die 33-jährige Olga zum Beispiel, lebt in der Region Saratow, arbeitet als Verkäuferin im Einzelhandel. „Es ist schwieriger geworden, Geld zu verdienen. Die Nachfrage ist stark gesunken und für kleine und mittlere Unternehmen ist dies ein großes Problem“ sagt sie. Und: „Es wird viel über die Ukraine geredet, was es vorher nicht gab. Für uns ist dies ein Land, das irgendwo sehr weit weg ist. Und jetzt scheint es nahe zu sein.“
Am Jahrestag der Invasion selbst wird es keine großen Feierlichkeiten in Russland geben. Aufgerufen wird zu kleineren, regionalen Aktionen unter dem Motto „Helden unserer Zeit“. Die Teilnehmer sollen per Video Glückwünsche an die Front schicken. Und warme Socken und Fäustlinge stricken. Verpackt in Beuteln mit der Aufschrift „Vorwärts zum Sieg“.
Vera packt mit ihrer Freundin Pakete für die Front
Auch Natascha, die Moskauer Rentnerin, hat zusammen mit ihrer Freundin Vera inzwischen ein Paket in die Ostukraine geschickt. Warme Sachen und Zigaretten. „Ich denke, unsere Jungs an der Front werden sich freuen. Und es ist ihnen wichtig, dass wir uns erinnern, dass wir wissen, wie schwierig es für sie ist. Dass unsere Herzen und Gedanken mit ihnen sind.“
Konstantin aus St. Petersburg hat das Land verlassen, lebt inzwischen in Israel. Gerade hat er dort die Staatsbürgerschaft bekommen. Aber er will eigentlich wieder zurück in seine Heimat. „Ich hoffe auf das Beste, auf eine Lösung des Konflikts. Wenn das passiert, werde ich sicher nach Hause zurückkehren.“
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