Berlin. Eigentlich wollte die Koalition Abtreibungen erleichtern. Aber über den Weg gibt es Streit. Nun sollen erst Experten darüber beraten.

In kleinen Schritten verbessert die Ampel-Bundesregierung die gesundheitliche Situation von Frauen in Deutschland: Im Juli letzten Jahres wurde das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gekippt. Seitdem können sich Schwangere direkt auf den Internetseiten von Ärzten zu den Methoden informieren.

Warum das so wichtig ist, sagte eine Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung Pro Familia: "Weil der Schwangerschaftsabbruch in einem engen zeitlichen Rahmen stattfinden muss, ist es für die Planung sehr wichtig, früh über diese Informationen zu verfügen, insbesondere, wenn sich herausstellt, dass die nächste Praxis oder Klinik weit weg ist.“

In vielen Orten fahren Frauen 100 Kilometer zur Abtreibung

Frauen müssten neben Anfahrt und Termin häufig noch die Abwesenheit im Job und von der Familie organisieren. "Dadurch, dass Ärzte und Ärztinnen nun selbst auf ihren Webseiten informieren können, vermindert sich außerdem die Gefahr für Schwangere, auf unseriösen Webseiten zu landen“, sagte die Sprecherin von Pro Familia. Lesen Sie auch: Paragraf 218: Warum Abtreibungen bald legal sein könnten

Im Zuge der Abschaffung des Paragrafen 219, in dem es um die Beratung bei Abtreibungen geht, gibt es seit Ende Januar eine medizinische Leitlinie zu diesem Thema. Darin ist das Fachwissen zum Schwangerschaftsabbruch im ersten Schwangerschaftsdrittel zusammengefasst. Es wird aufzeigt,

  • wie ein Abbruch sicher ausgeführt werden sollte;
  • welche Nachsorge nötig ist;
  • wie man Frauen am besten berät.

Die Autoren des Papiers stellen fest, dass zur Bewertung der verschiedenen Abbruchmethoden zu wenige Daten vorliegen und es insgesamt zu wenig Forschung gibt. Das ist allerdings nicht verwunderlich: "In manchen anderen Ländern ist der medikamentöse Abbruch schon stärker verbreitet, da hinkt Deutschland etwas hinterher“, sagte der Koordinator der Leitlinie, Matthias David (Charité Berlin). Im europäischen Vergleich der Schwangerschaftsabbruchraten belegt Deutschland einen der hinteren Plätze.

Protest gegen Paragraf 219a StGB (Archivbild). Der Gesetzgeber hat das umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben.
Protest gegen Paragraf 219a StGB (Archivbild). Der Gesetzgeber hat das umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben. © Silas Stein/dpa

Mehr Abtreibungen: Rund 26.500 Schwangerschaftsabbrüche im dritten Quartal 2022

Im dritten Quartal 2022 wurden rund 26.500 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gemeldet. Das ist eine Zunahme um 16,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Eine mögliche Erklärung dafür liegt laut Pro Familia darin, dass die Bevölkerung im Jahr 2022 in Deutschland unter anderem durch über eine Million Flüchtlinge deutlich stärker gewachsen ist als in den Vorjahren. Eigentlich ist die Zahl der Abbrüche seit Jahren rückläufig: Im Jahr 2010 wurden noch 110.431 Abbrüche durchgeführt, elf Jahre später waren es nur noch 94.596.

SPD, Grüne und FDP prüfen, wie man den Schwangerschaftsabbruch regeln könnte, wenn der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen würde. Das hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) im Gespräch mit unserer Redaktion angekündigt. Paus forderte damit eine generelle Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen. Derzeit gilt der Schwangerschaftsabbruch als Straftat, bleibt aber unter bestimmten Bedingungen straffrei.

Mediziner und Juristinnen prüfen den Rechtsrahmen für Abbrüche

Eine Expertenkommission aus Juristen und Medizinern soll prüfen, ob es ein verfassungsfestes Modell geben könne. Es müsste das ungeborene Leben ausreichend schützen, aber ohne das Strafgesetzbuch auskommen. Sie sollen zudem Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und die altruistische Leihmutterschaft bewerten. Auf die Kommission hatten sich die Regierungsparteien schon im Koalitionsvertrag geeinigt. Getagt hat das Expertengremium jedoch noch nicht. Lesen Sie auch: Diese bizarren Konsequenzen haben die Abtreibungsverbote in den USA

Also kommt die Bundesregierung auch bei ihrer Entscheidung nicht voran. Denn Bundesjustizminister Marco Buschmann will das Votum einer Expertenkommission abwarten: "Die Kommission wird noch vor Ostern ihre Arbeit aufnehmen“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. Ziel sei es, dass innerhalb eines Jahres ein Ergebnis vorliege.

Dieses muss jedoch nicht automatisch bedeuten, dass Abtreibungen in Deutschland noch in dieser Legislaturperiode keine Straftat mehr sind. "Wenn die Kommission eine Lösung findet, werden wir das gründlich ansehen und dann politisch entscheiden“, beschreibt Buschmann das weitere Prozedere. "Wir sollten nicht den Fehler begehen, der Kommission ein Ergebnis vorzugeben.“

Frauen empfinden eine Abtreibung häufig als Stigma

Warum schätzt unter anderen die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung die Abschaffung von Paragraf 218 als entscheidend ein? Die Entkriminalisierung werde dazu führen, dass das Stigmata Schwangerschaftsabbruch ein Ende habe, erklärte eine Sprecherin von Pro Familia. Zurzeit gibt es in etlichen Landesteilen gravierende Versorgungsengpässe. Oft findet sich im Umkreis von 100 Kilometern keine Gynäkologin mehr, die Abbrüche durchführt.

Bereits im Dezember 2022 hatte der Deutsche Juristinnenbund in einem Papier erarbeitet, wie eine Alternative zur aktuellen Regelung für Schwangerschaftsabbrüche aussehen könnte. Darin schlagen sie eine Regelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz vor, mit einer längeren Frist für den Abbruch als bislang, angelehnt an den Zeitpunkt, an dem ein Fötus eigenständig lebensfähig ist. Das wäre nach dem aktuellen Stand der Medizin frühestens in der 22. Woche. Nach dem Konzept des Verbands gäbe es auch bei Abbrüchen nach diesem Zeitpunkt keine Konsequenzen für die schwangere Person.

Die aktuelle Rechtslage gehe auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, binde daher auch den Gesetzgeber, mahnte Buschmann. Natürlich könne Paus ihre Meinung dazu äußern. "Es besorgt mich aber, dass durch öffentliche Vorfestlegungen, was man sich als Ergebnis der Kommission wünscht, diese sich nicht frei in ihrer Arbeit fühlt“, kritisierte Buschmann. Obwohl sich die Ampel im Willen zur gesellschaftlichen Veränderung grundsätzlich einig ist, hat eben jedes Ministerium seine eigene Gangart.

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